Prozess in Landshut:Unerklärliche Verletzungen

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Bianca T. im Gerichtssaal des Landgerichts Landshut. (Foto: dpa)

Vor Gericht gesteht Bianca T., ihre drei Kinder erstickt zu haben. Dann sei sie mit ihrem Auto in eine Leitplanke gesteuert. Doch nun hat ein Gutachter an den toten Kindern unerklärbare Schädelbrüche entdeckt.

Von Hans Holzhaider

Ist Bianca T., die am 13. November 2012 am Stadtrand von Freising ihre Kinder Anna-Lea, Fabian und Lisa getötet hat, wegen einer akuten psychischen Belastungsreaktion vermindert schuldfähig? Vielleicht - vielleicht aber auch nicht.

Eine endgültige Antwort auf diese prozessentscheidende Frage konnte am Montag auch der Gerichtspsychiater Norbert Nedopil nicht geben. Denn die Gutachten, die an den letzten beiden Prozesstagen vor dem Landgericht Landshut von dem Gerichtsmediziner Helmut Pankratz und dem Diplomphysiker Erich Schuller erstattet wurden, geben dem Fall eine völlig neue Wendung. Sie legen die Möglichkeit nahe, dass Bianca T. die beiden Zwillinge Fabian und Lisa nicht, wie sie selbst berichtete, nur durch Zuhalten von Mund und Nase erstickte, sondern dass sie ihnen darüber hinaus auf nicht geklärte Art und Weise tödliche Kopfverletzungen beibrachte.

Die Vorsitzende Richterin Gisela Geppert fasste das gerichtsmedizinische Gutachten in drastischen Worten zusammen: "An Fabians Kopf war kein Stück mehr heil", sagte sie. Der Sachverständige Pankratz sprach von drei Schädelbrüchen, zwei an der Seite, einer an der Stirnseite. Außerdem waren beide Oberarme und ein Oberschenkel vollständig gebrochen. Bei Lisa fand der Gerichtsmediziner einen Schädelbruch am Scheitel. Diese Verletzungen, sagte Pankratz, hätten ohne weiteres zum Tode führen können. Ob Fabian und Lisa letztlich durch das Ersticken oder durch die Schädelverletzungen gestorben sind, konnte er nicht definitiv sagen.

Besondere Brisanz bekommen diese Befunde aber erst durch das physikalische Gutachten des Sachverständigen Schuller. Die Staatsanwaltschaft war davon ausgegangen, dass die Zwillinge ihre schweren Schädelverletzungen durch den Unfall erlitten, den Bianca T. auf der Autobahn bei Oberschleißheim absichtlich herbeigeführt hatte. Der Physiker Schuller hält das für unmöglich. Das Auto mit den drei Kindern im Kofferraum hatte sich dreimal überschlagen, ehe es auf der Fahrerseite zum Liegen kam. Bei einem Überschlag, so Schuller, träten aber keine physikalischen Kräfte auf, die so gravierende Verletzungen verursachen könnten.

"Wir haben eine Lücke, die wir nicht füllen können", sagte die Vorsitzende Richterin, zur Angeklagten gewandt. "Jemand anderen, der diese Verletzungen verursacht haben könnte, haben wir nicht." Bianca T. jedoch blieb bei ihrer bisherigen Darstellung. "Ich kann nicht erklären, wie die Kinder zu diesen Verletzungen gekommen sind", sagte sie. "Es tut mir aufrichtig leid, dass ich dazu nichts beitragen kann."

Wenn das Gericht dieser Aussage glaubt, könnte Bianca T. an einer lebenslangen Freiheitsstrafe vorbeikommen. Denn der Psychiater Nedopil glaubt, dass Bianca T. zum Zeitpunkt der Tat in einem psychischen Zustand war, in dem ihre Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt war. Für sie sei die Welt zusammengebrochen, als sie merkte, dass ihr Lebensgefährte Norman H. nicht gewillt war, sie wieder nach Hause zu begleiten, nachdem er sich ohne ihr Wissen in die Psychiatrie begeben hatte.

Sie habe mit Norman H., ebenso wie in ihren vorangegangenen Beziehungen, den Traum von der heilen Familie geträumt. "Dieser Traum war wie eine Plombe, die einen hohlen Zahn füllt", sagte Nedopil. "Wenn die Plombe herausfällt, ist der Mensch leer, und alles bricht zusammen." In einer solchen Situation könne es zu einer emotionalen Einengung kommen, in der nur noch die Gefühle von Verzweiflung und Wut wahrgenommen würden.

Über die Möglichkeit eines Suizids habe Bianca T. zweifellos schon früher nachgedacht. Mütter, die sich selbst und ihre Kinder töten wollen, handelten, so Nedopil, oft auch aus dem Gefühl heraus, dass die Kinder Teil ihrer selbst seien: "Das ist dann die Mitnahme dessen, was man als sein Eigentum betrachtet."

Das Urteil im Prozess gegen Bianca T. soll an diesem Donnerstag verkündet werden.

© SZ vom 26.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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