Prozess:Gilchinger Jugendtrainer soll nackte Kinder gefilmt haben

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  • Ein 45-Jähriger soll etwa 80 Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Sportanlagen gefilmt haben.
  • Der Computer-Experte war ein beliebter Trainer beim TSV Gilching-Argelsried.
  • Seine damalige Lebensgefährtin fand die Aufnahmen in Jahr 2015.

Von Christian Deussing, München/Gilching

Mit Minikameras soll ein beliebter und erfolgreicher Trainer über Jahre hinweg beim TSV Gilching-Argelsried Mädchen, Buben, Jugendliche und auch Erwachsene heimlich gefilmt haben - in Duschen, Toiletten und Umkleidekabinen sowie in Schlafräumen. Die "Überwachungsmaterialien" und viele Nacktbilder entdeckte laut Staatsanwaltschaft die Ex-Lebensgefährtin vor zwei Jahren auf PC-Festplatten in Umzugskartons des Computerfachmanns in Unterschleißheim.

Auf den Datenträgern des Mannes seien "etwa 500 Bilddateien sowie zirka 1000 Videoaufnahmen" gefunden worden, teilte die Staatsanwaltschaft München I auf Anfrage der SZ mit. Auch weitere etwa 11 000 Aufnahmen ähnlicher Art gerieten in den Blick der Ermittler. Der 45 Jahre alte Computer-Experte wurde nun wegen "Besitzes und Herstellens kinderpornografischer Schriften" vor dem Amtsgericht München angeklagt.

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Der Prozess soll am 22. Januar 2018 stattfinden, dem Angeklagten droht eine mehrjährige Haftstrafe. Sein Verteidiger Florian Zenger wollte sich so kurz vor der Verhandlung nicht konkret zum Fall äußern. Die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft lassen darauf schließen, dass der Fall ähnliche Taten der Vergangenheit aus München und dem Landkreis in seiner Dimension um ein Vielfaches überragt: Demnach gibt es etwa 80 Geschädigte, mutmaßlich überwiegend Mädchen und Buben vom TSV Gilching-Argelsried. Betroffen sind aber auch Kinder und Jugendliche aus anderen Vereinen, die zu Sportwettkämpfen in Gilching und woanders angetreten waren. Erfahrungen aus anderen Fällen, bei denen etwa Vermieter ihre Mieter mit Kameras ausspionierten, zeigen, dass die Opfer teils jahrelang mit den Folgen solcher Taten zu kämpfen haben und von Therapeuten betreut werden müssen.

Im Gilchinger Fall musste die Staatsanwaltschaft zunächst umfangreich und kompliziert ermitteln, um anhand der nicht verjährten Aufnahmen die ahnungslosen Opfer überhaupt erst zu identifizieren. Aufgeflogen waren die mutmaßlichen Taten des Mannes im Dezember 2015. Nach der Strafanzeige der früheren Partnerin entließ der TSV Gilching-Argelsried den Trainer sofort fristlos. Doch nichts wurde zunächst von dem Fall bekannt - bis schließlich 68 Eltern von der Staatsanwaltschaft angeschrieben wurden.

Die Strafverfolger gingen dem Verdacht nach, dass der Betreuer funkgesteuerte Kameras in Luftentfeuchtern oder Rauchmeldern versteckt hatte und die Aufnahmen starteten, wenn sich etwas vor den Linsen bewegte. Der 45-Jährige soll auch bei Wettkämpfen, Trainingslagern und auf Veranstaltungen seine Minikameras getarnt installiert und danach wieder unbemerkt abmontiert haben. Eine damalige TSV-Spartenleiterin berichtete einst davon, dass sie selbst und ihre Töchter von dem befreundeten Sportkameraden in einem Badezimmer in Montreal heimlich aufgenommen worden sei. Dort hatten sie mit dem Mann an einem Wettbewerb teilgenommen.

Als die Vorwürfe bekannt wurden und die Kripo anfing zu ermitteln, standen viele Mitglieder in dem Großverein unter Schock. TSV-Präsident Peter Kramer erinnert sich daran, dass sich der Übungsleiter zuerst "uneinsichtig" gezeigt habe und die sofortige Kündigung nach acht Jahren verantwortlicher Tätigkeit nicht akzeptieren wollte. "Er war aber ein guter und beliebter Trainer", sagt Kramer. Niemand habe Verdacht geschöpft. Seit dem Fall seien alle im Verein sensibilisiert und schauten "noch genauer hin". Sobald etwas Merkwürdiges beobachtet werde oder sich ein Verdacht rechtswidrigen Verhaltens ergebe, müsse das sofort dem Vorstand gemeldet werden. Allerdings könne "man nicht in jeden Menschen hineinschauen", gibt der Vereinsvorsitzende zu bedenken.

Der Verteidiger des Angeklagten versichert, dass sein Mandant seit seiner Gilchinger Zeit nicht mehr in einem Verein oder in der Jugendarbeit aktiv gewesen sei. Das solle auch so bleiben, betont Florian Zenger, der auf Sexual- und Jugendstrafrecht spezialisiert ist. Prinzipiell wisse er von anderen Fällen dieser Art, dass oft ein "Suchtfaktor" bei den Angeklagten eine Rolle spiele und ein abgeschlossener Prozess für diese Personen sogar "befreiend" sein könne. Ob das auch für die gefilmten Opfer gilt, ist eine andere Frage.

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Zenger hat bereits vor elf Monaten mit einem Fall zu tun gehabt, der unfassbar erschien: Ein 50-jähriger Mann musste sich vor dem Amtsgericht Erding verantworten, weil er mehr als 70 000 kinderpornografische Bilder und Videos auf seinem Computer gesammelt hatte. Cybercops des Bundeskriminalamtes waren dem Arbeiter auf die Spur gekommen. Im Prozess führte Anwalt Zenger seinerzeit an, dass ein großer Teil der Daten nicht strafbar sei, sondern aus dem Bereich des Nudismus stamme. Der Angeklagte, der ein umfassendes Geständnis ablegte, wurde zu 15 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Therapie verurteilt. In einem anderen Fall erhielt ein 44-jähriger Münchner, der seine Nachbarn beim Sex gefilmt hatte, vor Gericht eine Geldstrafe.

Im Gilchinger Fall wurde laut Staatsanwaltschaft der "höchstpersönliche Lebensbereich durch Bildaufnahmen verletzt". Der mutmaßliche Täter sei also in die Intimsphäre vieler junger Sportler eingedrungen, die ihn gut kannten und als engagierten Betreuer schätzten. Viele der Gefilmten und auch ihre Eltern mussten sich die Bilder während der Ermittlungen ansehen, die sich immer mehr ausweiteten.

Generell nehme man "derartige Anschuldigungen sehr ernst, Vorfälle dieser Art sind nicht nur im Sport aufs Schärfste zu verurteilen", erläutert Christian Henßel, Sprecher des Bayerischen Sportverbands. Aber was bedeuten solche Straftaten, Übergriffe und schlimmen Grenzverletzungen für die jungen Opfer und deren weitere Entwicklung? Das hängt nach Meinung von Experten mit der jeweiligen Person und der Art des Übergriffs ab. Das Ausmaß der psychischen Folgen müsse daher sehr individuell bewertet werden.

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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