Prozess gegen Todesschützen geplatzt:"Nur schwer zu ertragen"

Im Dachauer Gerichtssaal erschoss er einen Staatsanwalt. Nun ist der Prozess gegen Rudolf U. geplatzt. Derzeit sieht alles danach aus, als wenn die Tat ungesühnt bliebe: Der Angeklagte ist offenbar sterbenskrank - und verweigert jede medizinische Hilfe.

Ein Staatsanwalt wird mitten im Gerichtssaal und damit vor den Augen der Justiz getötet, doch ein Urteil wird es aller Voraussicht nach nie geben. Der Prozess um die Schüsse im Dachauer Amtsgericht ist abgesetzt worden. Grund sei der kritische Gesundheitszustand des Angeklagten, teilte die Justizpressestelle des Oberlandesgerichts München am Freitagmorgen mit.

Ursprünglich hätte der Mordprozess gegen den 54-Jährigen am nächsten Dienstag vor dem Landgericht München beginnen sollen. "Sobald der Gesundheitszustand des Angeklagten eine Verhandlung zulässt, wird die Kammer von Amts wegen neue Termine zur Hauptverhandlung bestimmen", hieß es in einer Pressemitteilung.

Auch ein späterer Termin erscheint allerdings fraglich. Der Angeklagte ist offenbar sterbenskrank - und verweigert jede medizinische Hilfe. Sein Verteidiger beantragte deshalb am Freitag die Einstellung des Verfahrens. Maximilian Kaiser sprach von einem "dauernden Verfahrenshindernis". Mit anderen Worten: Der Anwalt glaubt nicht, dass sein Mandant jemals wieder verhandlungsfähig sein wird.

"Es wäre für die Angehörigen unseres ermordeten Staatsanwalts und für die Justiz nur schwer zu ertragen, wenn dem mutmaßlichen Mörder nicht der Prozess gemacht werden könnte", sagte Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU).

Bedauern über das Platzen des Prozesses äußerte auch Klaus Jürgen Sonnabend, Direktor des Amtsgerichts Dachau: "Die unverletzt gebliebenen Opfer sind nach wie vor mit ihren schlimmen Erlebnissen konfrontiert", sagte er Süddeutsche.de. "Als eine wichtige Etappe auf dem Weg der Bewältigung von Gedanken und Gefühlen hatten sie die Aufarbeitung der Tat in dem Strafprozess erwartet." Die Verzögerung sei daher sehr bedauerlich, aber offensichtlich im Rahmen eines geordneten und korrekten Verfahrens notwendig.

Schüsse im Gerichtssaal

Im Amtsgerichts Dachau soll Rudolf U. am 11. Januar in einem Sitzungssaal sechs Schüsse auf Staatsanwalt und Richtertisch abgefeuert haben. Eigentlich war es eine Routineverhandlung, die an diesem Nachmittag stattfand. Rudolf U. hatte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 44.000 Euro nicht gezahlt, der Richter verurteilte ihn schließlich zu einer einjährigen Bewährungsstrafe. Als das Urteil verlesen wurde, zog der Angeklagte plötzlich eine Waffe aus der Jackentasche und feuerte um sich.

Der Richter, der Protokollführer und die Verteidigerin konnten sich hinter dem Richtertisch wegducken, der erst 31-jährige Staatsanwalt wurde von zwei Kugeln getroffen und starb wenig später. Zwei Zeugen konnten den Schützen schließlich überwältigen. Die Münchner Staatsanwaltschaft hatte Anfang April Anklage wegen Mordes und dreifachen versuchten Mordes gegen den Transportunternehmer erhoben. Sie geht davon aus, dass Rudolf U. aus Hass auf die Justiz so gehandelt hat. Die Staatsanwaltschaft zeichnet das Bild eines Querulanten, der es nicht duldet, dass andere Personen über sein Verhalten urteilen.

"Er will nicht mehr leben"

Nun sollte eigentlich der Prozess beginnen. Es waren bereits 62 Zeugen geladen - unter ihnen auch der Richter des Amtsgerichts Dachau, auf den Rudolf U. geschossen hatte. Am Mittwoch erklärte ein gerichtlich bestellter medizinischer Gutachter den Angeklagten dann für verhandlungsunfähig erklärt. Sollte sich der Angeklagte weiter nicht medizinisch behandeln lassen, werde in absehbarer Zeit der Tod eintreten, heißt es in der Stellungnahme des Mediziners.

Das Landesgericht prüfte zunächst, ob der Prozess auch ohne den Angeklagten beginnen könnte. Die Strafprozessordnung sieht vor, dass ein Prozess auch ohne Angeklagten stattfinden kann. In Paragraf 231a StPO heißt es, wenn sich ein Angeklagter "vorsätzlich und schuldhaft" verhandlungsunfähig mache, dann könne auch ohne ihn verhandelt werden - allerdings nur, wenn seine Anwälte dagegen keine Beschwerde erheben. Der Verteidiger Maximilian Kaiser hatte dies aber abgelehnt. Er sagte zur SZ, er wolle auf seine Rechte nicht verzichten.

Schon vor einigen Monaten war Rudolf U. ein Bein amputiert worden. Nach Auskunft seines Anwalts lehnt er eine weitere Beinamputation, die ihm von Ärzten empfohlen wurde, ab. Es bilde sich nun bereits eine Blutvergiftung, die unbehandelt zum Tod führen kann. "Mein Mandant hat schon vor Monaten erklärt, er wolle nicht mehr leben. Das hat er auch dem Gutachter gesagt", erklärte Kaiser der SZ. "Er hat mit dem Leben abgeschlossen." Rudolf U. habe eine Patientenverfügung, in der er lebenserhaltende Maßnahmen ablehnt. Nur gegen seine Schmerzen bekomme er Morphium.

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