Film:Der Regisseur, der sich auch von einem Löwenangriff nicht unterkriegen lässt

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Hans-Jürgen Tögel 2016 am Odeonsplatz in München. (Foto: Catherina Hess)

Hans-Jürgen Tögel hat rekordverdächtige 430 Stunden Fernseh-Film gedreht, vor allem "Traumschiff" und "Schwarzwaldklinik". Doch nicht immer lief alles glatt.

Von Philipp Crone

Wenn jemand die Geschichte über den zubeißenden Löwen so erzählt wie Hans-Jürgen Tögel, fallen zwei Dinge auf. Zum einen: Der 74-Jährige ist ein gelernter Geschichtenerzähler. Und: Wer davon so beiläufig berichtet, muss viel erlebt haben, wenn ihn das so kalt lässt.

Tögel spricht wie ein Opa beim Vorlesen eines Biene-Maja-Kapitels. Die Worte "handtellergroß", "Wade" oder der Halbsatz "einzige Chance, das Bein zu retten" klingen wie die Stimme der automatischen Stationsansage in der Münchner U-Bahn. "Westend" - "Wundbrand". Wer ist dieser Mann? Und: Wurde er so ruhig, weil er so viel erlebt hat. Oder hat er so viel erlebt, weil er so ruhig bleibt?

Tögel hat in 50 Jahren als Regisseur 430 Stunden Fernsehfilm gedreht. "Das hat sonst niemand geschafft", sagt er. Von kapriziösen Darstellern wie Horst Tappert über schwierige schwimmende Sets, neueste Drohnen-Kameras, zubeißende Dressurlöwen bis zu vergesslichen Assistenten, die beinahe eine Produktion zerstören, weil sie Bargeld in Höhe von einer Million Mark in einer Plastiktüte neben einer Bank vergessen, hat er alles erlebt. Und das ist nur das Kapitel Fernsehen.

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Die Geschichte mit dem Löwenbiss ging natürlich gut aus. Wie ja eigentlich immer alles gut ausgeht bei den Dingen, mit denen Tögel beruflich zu tun hat. Aber skurrile und spannende Wendungen hatte sie schon, wie das eben so ist beim Film.

Tögel drehte 1985 eine Folge für die "Schwarzwaldklinik" und näherte sich dabei einmal dem dressierten Löwen, der in der Szene zum Einsatz kommen sollte. Ehe der Tierpfleger eingreifen konnte, hatte das Tier Tögels linke Wade zwischen den Zähnen.

Es dauerte eine ganze Minute, bis das Raubtier den Kiefer öffnete

Es gibt davon ein Foto, weil einer der Polizisten, die das Set absichern sollten, lieber die Kamera zur Hand nahm als zu helfen. Tögel lag blutend da, während der Dompteur verhinderte, dass der Löwe seinem Instinkt folgte und das geschwächte Opfer tötete. Es dauerte eine ganze Minute, bis das Raubtier den Kiefer öffnete. Helfer legten den Regisseur an einen Gully, damit das Blut ablaufen konnte, dann fuhren sie ihn ins nächste Krankenhaus.

Dort diskutierten zwei Ärzte allerdings lieber über die richtige Behandlung als zu handeln. Tögel telefonierte, kurz darauf flog man ihn zu einem befreundeten Arzt nach München. Operation, Bein gerettet, sieben Tage Pause, dann wieder zum Set.

Momente aus 50 Jahren als Regisseur: Hans-Jürgen Tögel 1985 beim Dreh der Schwarzwaldklinik in dem Moment, als ihm der Löwe gerade in die Wade beißt. (Foto: LangenMüller-Verlag)

"Es ist eine seiner großen Stärken, dass er immer eine Lösung findet", sagt Schauspielerin Michaela May, die einige Filme mit ihm gedreht hat. So sichert er meistens die Einhaltung des Budgets, was gerade bei den vielen Auslandsdrehs schwierig ist. Auch deshalb war er bei Produzenten schnell sehr gefragt.

Sein Leben ging los, wie ein Charakter nicht besser in einen Film eingeführt werden könnte: mit einem Stunt. Einer der älteren Brüder ließ den Kinderwagen, mit dem 14 Monate alten Hans-Jürgen darin, einen Abhang runterrauschen. Der Wagen knallte gegen eine Treppe, der Bub flog mit zweifachem Salto durch die Luft, landete unverletzt auf einer Wiese und fing an zu lachen. Wann, wenn nicht durch solche Erlebnisse, wird man ruhig?

Tögel sitzt an einem April-Vormittag im Münchner Literaturhaus und sieht zum Eingang. Thomas Gottschalk kommt rein, die Gäste drehen sich zu ihm um. Zu Tögel dreht sich niemand um, obwohl er mit allen gedreht hat, auch mit Gottschalk.

Seit 50 Jahren ist er Regisseur, hat das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen bekommen und kennt noch die Zeiten, als man "Wert auf Drehbücher legte". Bei Hitchcock seien die drei wichtigsten Dinge gewesen: "Drehbuch, Drehbuch, Drehbuch." Heute komme als erstes das schöne Bild ("einen Sonnenaufgang kannst du immer zeigen"), dann die Musik und zuletzt möglichst sympathische Schauspieler. Bei manchen Serien würden heute täglich 45 Minuten Sendezeit gedreht. "Verrückt", sagt Tögel. Sieben Minuten drehen sie am Tag für eine Folge "Kreuzfahrt ins Glück". Damals ging eine Einstellung sogar mal über 90 Sekunden, "heute kaum mal länger als drei".

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Tögel wurde 1941 geboren, wuchs in Bayreuth auf, sein Vater kam 1947 aus dem Krieg zurück und rief bald für traumatisierte Kriegsheimkehrer eine Laientheatergruppe ins Leben: Flucht in eine andere Welt. Das Prinzip ist das gleiche, ob beim "Traumschiff" oder damals in Bayreuth. Ausblenden durch Wegträumen.

Auch Tögels Mutter spielte Theater, und der Junge machte Musik, allerdings so laut, dass sich Winifred Wagner beschwerte, Schwiegertochter von Richard Wagner, und kurzerhand die Jugendband in eine Bauernstube der Villa Wahnfried einquartierte. So begegnete Tögel der Kultur, er lernte Schlagzeug, "ich war der Mechaniker".

Schlagzeug und Regie. Hinter den Musikern sitzen oder hinter der Kamera, das Geschehen lenken, das Stück exakt kennen, und die richtige Lautstärke.

Tögel studierte Theaterwissenschaften, ging nach München, scheiterte an der Falckenberg-Schule, trug Zeitungen aus, kellnerte, schaffte es an einer anderen Schauspielschule. Dort lernte er Filmleute kennen, bekam kleine Rollen, wurde Stammgast im Filmtreff Alter Simpl, lernte noch mehr Filmleute kennen, zum Beispiel Klaus Lemke, und machte erste kurze Beiträge für das Fernsehen. "Tögel war der Erste von uns, der mit Film wirklich Geld verdient hat", sagt Lemke. Als Regieassistent bei größeren Produktionen bei Rolf von Sydow.

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Dann der entscheidende Moment jeder Biografie: Einer fällt aus, man springt ein. Sydow fiel aus, Tögel übernahm, stand als Regisseur unter einer ZDF-Serie. Bekannt wird er 1967 als Assistent bei "Zur Sache Schätzchen". Die Leute schätzten seine Art, die des präzisen Taktgebers. "Er kann unglaublich schnell umdenken, hat aber immer auch ganz genaue Vorstellungen", sagt Schauspielerin Michaela May. Und er selbst: "Ich habe Geduld, kann zuhören, Menschen beruhigen."

Jedes Wort klingt wie frisch aus der Hörspielkabine. So hören sich Regieanweisungen an von jemandem, der weiß, dass er nicht laut werden muss. Was bei den vielen Menschen mit Allüren in diesem Metier von Vorteil ist. Gerd Fröbe legte er gerne mal die Hand auf den Arm und ließ seine Stimme wirken. "Entscheidend ist immer, dass du den ganzen Film exakt im Kopf hast." Und damit auf alles eine Antwort. "Man muss den Leuten den Wind aus den Segeln nehmen."

Tögel lernte Reiten, Fechten, Tennis, Yoga, "ich kann meinen Schauspielern etwas vormachen". Einmal ging es um eine Nacktszene, die ein Hauptdarsteller nicht spielen wollte. "Der meinte: Spiele ich nur, wenn du dich auch ausziehst." Tögel zog sich aus, sie drehten - Wind aus den Segeln genommen. Auch beim Thema seichte Unterhaltung versus anspruchsvoller Arthaus-Film kann Tögel das. "Es gab Anfang der Achtzigerjahre mal einen Abend, an dem lief mein Film Amphitryon auf dem einen Sender und dagegen die Schwarzwaldklinik." Amphitryon war von den Kritikern gefeiert worden, die Schwarzwaldklinik bekam wie üblich jede Menge Verrisse. "Amphitryon hatte 4 Prozent Marktanteil, die Schwarzwaldklinik 64."

Gerade ist Tögel wieder unterwegs, derzeit in Lissabon für die Landszenen von "Kreuzfahrt ins Glück", er dreht in diesem Jahr zwei Folgen Traumschiff und einen Pilcher-Film. Heute wird das Traumschiff auch mit Drohnenaufnahmen gefilmt, wenn es nicht zu stürmisch ist. "Die Spezialisten bringen dir die Drohnenkamera innerhalb von zwei Sekunden aus 20 Meter Höhe runter auf Augenhöhe."

Drohnen als Mittel der Wahl für die Sehgewohnheiten der Zuschauer heute. "Eine Drohne ist immer in Bewegung, also hat der Zuschauer auch das Gefühl, dass immer etwas passiert." Sie senkt sich zum Beispiel hinter dem Rücken einer Person und zeigt das Messer in der Hand - "das Grundprinzip des Filmemachens wird damit leichter. Das lautet: Spannung aufbauen, Spannung abbauen, im steten Wechsel, wie das Einatmen und Ausatmen."

1988 dreht er eine Traumschiff-Folge mit Heide Keller. (Foto: oh)

Manchmal entsteht die Spannung aber auch dann, wenn die Kameras gar nicht laufen. So wie bei einem Film, in dem eine Bank überfallen wird. "Das war 1977, wir hatten eine Million Mark echtes Bargeld dabei, und mein blöder Requisiteur hat am Ende nach der letzten Einstellung vergessen, die Tüte mit dem Geld wieder an sich zu nehmen." Die lehnte dann eineinhalb Stunden an einer Hausmauer, ehe es ihnen auffiel.

Beim gleichen Dreh zu "Räuber und Gendarm" hatte ein Polizist nicht weitergegeben, dass die Szene eines Bankraubs gefilmt werden würde. Eine Woche zuvor hatten echte Räuber einen Filmdreh vorgetäuscht, um eine Bank zu überfallen. "Also waren auf einmal sechs Einsatzfahrzeuge mit 14 Polizisten und Maschinenpistolen im Anschlag am Set."

Tögel hat eine eigene Stiftung für bedürftige Kinder in Indien. "Ich habe nicht nur meine beiden Söhne, sondern 900 Kinder dazu." Er ist viel unterwegs, seine zweite Frau - "die erste hätte länger bleiben sollen und meine jetzige lasse ich nicht mehr weg" - macht das mit. Er betreut alleinerziehende Frauen und Kinder in Indien, macht Filme und hat nun auch noch ein Buch über sein Leben geschrieben. "Viele Leute", sagt Tögel, "können nicht lange mit mir zusammen sein, weil ich ununterbrochen etwas mache."

Im Literaturhaus wird es an dem Tag im April gegen Mittag immer lauter, Tögel spricht immer langsamer. Gegen ein Uhr verlässt er das Café, in der Innenstadt ist jetzt Rushhour. Der 74-Jährige geht langsam zum Marienplatz, wie jede Woche mindestens einmal, und sieht sich "die ganzen hektischen Menschen" an. "Da werde ich ganz ruhig."

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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