Philharmoniker:Ein Konzert mit Putin

Philharmoniker: Der Schlussapplaus für das Orchester aus Münchner und Sankt Petersburger Musikern unter Valery Gergiev ist frenetisch. Auch wenn sich da die Reihen im Saal schon gelichtet haben.

Der Schlussapplaus für das Orchester aus Münchner und Sankt Petersburger Musikern unter Valery Gergiev ist frenetisch. Auch wenn sich da die Reihen im Saal schon gelichtet haben.

(Foto: Christian Beuke)

Valery Gergiev vereint die Münchner Philharmoniker mit dem Sankt Petersburger Mariinsky-Orchester zu einer Art Super-Klangkörper. Wladimir Putin nutzt dieses Freundschaftsspiel zu einem Auftritt am Rande.

Von Rita Argauer

Kurz vor sieben Uhr öffnen sich die Türen zum großen Saal des Moskauer Konservatoriums. Um sieben soll das Konzert beginnen. Es spielen die Münchner Philharmoniker mit dem Sankt Petersburger Mariinsky-Orchester, vereint zu einer Art Super-Orchester. Kurz vorher wurden auf dem Platz vor dem Konservatorium noch Karten gesucht, während sich drinnen das Publikum staute, das Sicherheitskontrollen, ähnlich denen an Flughäfen, hinter sich bringen musste. Doch dann passiert erst einmal nichts.

Eine viertel Stunde vergeht, es drängen sich ein paar jüngere Besucher - wohl Studenten, die Restkarten bekommen haben - ins Parkett. Vorbei an immer wieder telefonierenden Anzugträgern. Die stehen aufgereiht an einer Tür und sehen aus wie das Inventar eines Agentenfilms. Kurz geschorene Haare, uniformer Anzug und ein unauffälliger Knopf im Ohr.

Putins Platz ist in der Mitte des Parketts

Um kurz nach halb acht kommt Bewegung in Sache. Wladimir Putin wird zu seinem Platz in der Mitte des Parketts eskortiert. Das ganze dauert keine 30 Sekunden. Es gibt dennoch einen kurzen Applaus für den Politiker, dann betreten die Musiker die Bühne.

Er ist also doch gekommen, der russische Präsident. Im Orchester ging das Gerücht um, seit man in Moskau angekommen war. Mit Putins Besuch erhält das Konzert, das als große kulturelle Vereinigungsgeste verstanden werden sollte, nun doch noch eine klare politische Note. Auch wenn von der Bühne herab keinerlei Statements zu Putins Besuch folgen. Musik aber verändert sich, mit dem jeweiligen Anlass, zu dem sie gespielt wird. Die Münchner Philharmoniker haben das in München gerade erst zu Ostern erlebt, als Zubin Mehta Mozarts Requiem den Opfern in Brüssel widmete und sich den Applaus danach verbat.

Ein Konzert, fast wie eine Andacht

Das Konzert war so kein profanes Abo-Konzert mehr, es bekam etwas von einer Andacht. Als nun die Philharmoniker und das Mariinsky-Orchester als vereinigtes Geschwisterpaar unter Valery Gergiev in Moskau mit Ausschnitten aus Prokofjews "Romeo und Julia" beginnen, klingt das noch staatstragender als gewohnt. Die Musik ist an sich schon theatral, vor allem der marschierende "Tanz der Ritter", mit dem das Konzert eröffnet wird. Doch unter Gergiev spielt das Orchester in diesem Moment besonders kräftig. Stampfend und drückend mit peitschenden Geigen und scharfkantigen Bläsern.

Wie viel dieser musikalische Ausdruck mit Putins Besuch zu tun hat, bleibt im Gefühlsbereich. Gergiev - das zeigen auch die Proben in Moskau - mag es generell, wenn Musik drückt. Das erklärt er, wenn er redet und mit einer Hand in die andere schlägt und "Bam" dazu sagt. Er kennt diese Effekte und hat wenig Scheu, sie auch zu nutzen. Daran ist nichts Verwerfliches. Er bedient die Musik, er lässt sie den Hörer überwältigen, wenn das Potenzial dazu da ist. Und Gergiev ist gut, das ist keine Frage, denn er hat trotzdem ein Ohr für Feinheiten. Seine Interpretationen verkommen nie zu Geboller. Mit Alexei Volodin hat er dafür beim Konzert in Moskau einen passenden Partner. Auch er legt einen vor Kraft strotzenden Auftritt hin, kennt aber in Prokofjews zweitem Klavierkonzert auch feine Süße und jazzige Lässigkeit.

In Moskau geschieht Ungewöhnliches

Doch was passiert da eigentlich in Moskau? Es ist ungewöhnlich. In vielerlei Hinsicht. Dass namhafte Dirigenten mehreren Orchestern vorstehen, ist nichts Neues. Dass sie aber diese Orchester vereinen, vor allem in nur zwei Proben, scheint zunächst seltsam. Sind doch Klangkörper meist sehr darauf bedacht, ihren spezifischen eigenen Klang zu kultivieren. In zwei Proben mit einem anderen Orchester verschmelzen, das kann nur ein Kompromiss werden. Diese Skepsis klingt zaghaft auch bei ein paar Musikern vor der ersten Probe durch.

Kulturpolitisch sind die Philharmoniker mit diesem Projekt ganz auf der Line von Kunstminister Ludwig Spaenle. Er ließ nach seiner Russland-Reise im Kabinett verlauten, den kulturellen Austausch von Russland und Bayern noch verstärken zu wollen. Mit Bruckner und Prokofjew zeigt sich das auch im Programm dieses Konzerts. Eigentlich hätten die Philharmoniker in dieser Zeit auf Tournee in Skandinavien sein sollen. Die wurde jedoch abgesagt. Und Gergiev ist - gemessen an den sonstigen Gepflogenheiten des Klassikbetriebs - erstaunlich spontan. Erst vor rund sechs Wochen organisierte er das russisch-deutsche Austausch-Konzert in Moskau.

Zeit bleibt nur für zwei Proben

"Ich glaube, wir sollen dabei voneinander lernen", meint der Bratscher Wolfgang Berg: "die Petersburger von uns den Bruckner und wir von ihnen den Prokofjew." Und gerade Prokofjew war nicht einfach für die Philharmoniker. Das zweite Klavierkonzert haben sie noch nie gespielt. In Moskau hatten sie nur zwei Proben, im Konzert erklang es dennoch selbstbewusst und treffend. "Gergiev ist ein Glücksfall für das Orchester", sagt Berg noch. Nach der Zerrissenheit, die Thielemann ins Orchester gebracht hätte, täte Gergiev gut, der in seiner Arbeitswut die Musiker wieder zusammenbrächte: "Wir sind uns auch im Orchester wieder nähergekommen", sagt Berg.

Der Abend des 11. Aprils war der einzige freie Termin im Saal des Moskauer Konservatoriums. Um ihn wahrnehmen zu können, flog Gergiev am 10. mit dem Mariinsky-Orchester den weiten Weg von Wladiwostok zur ersten Probe nach Moskau. Am Morgen hatte er mit den Musikern auch noch schnell ein Konzert gegeben. "Eins für Kinder", sagt er, "das dauert nicht so lang" - sein Argument für einen 16, 17 Stunden langen Tag. In gewisser Weise ist Gergiev auch ein Pragmatiker. Was geht, das geht. Und wenn es nicht geht, dann muss man daran arbeiten. Diese Haltung hört man auch in seinen Interpretationen.

Im Münchner Orchester schätzt man diesen neuen Aktionsgeist. "Es ist eine andere Haltung", sagt etwa auch Schlagzeuger Sebastian Förschl, es bewege sich etwas im Orchester, seit Gergiev da ist. "Und die Arbeit mit ihm bringt mich persönlich weiter", fügt er an. Gergiev verlange eine ganz andere Aufmerksamkeit, gerade für Schlagzeuger, die oft ganze Sätze lang nichts zu tun haben, sei das ungewohnt.

Es wird geschaut und gequasselt

Förschl hat sich auch auf das Zusammentreffen mit den Mariinsky-Musikern gefreut. Seit sie 2013 schon einmal als vereinigtes Orchester zusammen spielten und im vergangenen Herbst beim großen Philharmoniker-Festival im Gasteig erneut zusammentrafen, habe er Freundschaft mit den Schlagzeugern des Sankt Petersburger Orchesters geschlossen.

Und dann erklang, besser erdonnerte, Prokofjew vor Putin. Im Konzertverlauf änderte das - außer der halbstündigen Verspätung - allerdings nichts. Keine Ehrerbietungen, keine Hymnen. Viele Blumen gibt es am Ende für den Solisten Alexei Volodin und viel Applaus. Die Stimmung im Moskauer Konzertsaal ist generell etwas geselliger als in München. Es wird geschaut, wer da ist, es wird - vor allem während Bruckners langer vierter Symphonie - auch gequasselt. Es werden mit dem Handy Fotos gemacht und mitfilmt.

Ehrfurcht erzeugt hier vornehmlich das Drumherum. Denn die große Halle des Moskauer Tschaikowsky-Konservatoriums zu betreten, ist eine Zeitreise ins späte 19. Jahrhundert. Ein klassizistischer Bau, der 1866 eröffnet wurde und seitdem wenig Modernisierung erfahren hat, zehn Minuten zu Fuß vom Kreml entfernt, fast alle großen russischen Komponisten haben dort studiert, Tschaikowsky selbst hat hier unterrichtet. Die Seiten des Saals sind gesäumt von Porträts berühmter Komponisten. Schumann findet sich dort neben Mussorgsky, Tschaikowsky folgt auf Beethoven, gegenüber Bach, Mozart, Rimsky-Korsakow und Wagner. Deutsch-russische Vereinigung, diese Programmatik schreibt sich im Saal fort.

Gergiev plauderte über Fußball

Die Münchner Philharmoniker waren schon einmal in Moskau - auch damals in politisch nicht einfacher Lage: Ende der Achtzigerjahre spielte das Orchester vor Kohl und Gorbatschow. Und nun trat der deutsch-russische Orchester-Hybrid vor Putin auf. Am nächsten Tag berichten ein paar prorussische Blogs darüber - Putin hätte sich am Nachmittag mit deutschen Geschäftsleuten getroffen und am Abend das Konzert besucht.

Und was tat Gergiev nach der ersten Probe am Samstagabend? Er plauderte: über Fußball, den philharmonischen Lieblingskomponisten Bruckner und schließlich die Münchner Kulturpolitik. So klar wie nie äußert er sich zu Akustik und Umbau der Philharmonie im Gasteig: "Es wird passieren." Da duldet er keinen Widerspruch. Doch bis dahin müsse man arbeiten mit dem, was man hat. Deshalb experimentiere er, ganz Pragmatiker, mit den Aufstellungen. Außerdem gäbe es einfachere bauliche Lösungen als einen Totalabriss, sagt er.

Eine ganz paritätische Angelegenheit

Vieles schwingt mit in diesen Sätzen. Die Frage nach seinem Vertrag etwa, der noch bis 2020 läuft. Und inwiefern eine mögliche Vertragsverlängerung von seiner Seite an eine akustische Sanierung seines Münchner Wirkungsortes gekoppelt wäre.

Der alte Saal in Moskau klingt gut, dicht, gedrungen und drückend. Und das passt zur Interpretation, die dieser Orchester-Hybrid hier auf die Bühne bringt. Dessen Zusammenstellung ist im Übrigen eine ganz paritätische Angelegenheit. Die Streicher wurden gerecht zu gleichen Verhältnissen aufgeteilt, bei Bruckner sitzen die Philharmoniker außen, bei Prokofjew geben die Mariinsky-Musiker den Ton an. Die Bläser beließ man in ihren Instrumenten-Gruppen: die Oboen und die Posaunen kommen aus München, die Trompeten und Fagotte aus Petersburg. Damit die Stimmgruppen ein einheitliches Timbre behalten.

Orchester-Vorstand und Cellist Stephan Haack stand diesem Orchester-Zusammenschluss schon in der ersten Probenpause zuversichtlich gegenüber. Obwohl eine solche Spontan-Vereinigung ungewohnt sei: "Das ist wie bei Streichquartetten", sagt er, deren Musiker könne man auch nicht einfach so zusammenwerfen. Es sei klar, dass das keinen überragend besonderen und einheitlichen Klang geben würde. Doch das Zusammenspiel im Konzert ist einwandfrei. Und die kulturpolitische Geste dieses Konzerts ist ohnehin größer als die musikalische. Daran ändert auch nichts, dass Putin nach der Pause nicht wieder auf seinen Platz zurückkommt, als Bruckners Vierte auf dem Programm steht.

Bei Bruckner werden die Unterschiede deutlich

Bei Bruckner merkt man, dass die Orchester sich noch nicht so gut kennen. Beide haben diese Symphonie zwar im vergangenen Jahr aufgeführt. Und Gergiev gab ihr in den Moskauer Proben noch einige interpretatorische Feinheiten mit. Doch die könnte ein Orchester, das jahrelang zusammengewachsen ist, deutlicher musizieren. Die ausladende Länge des Werks, die fast bewegungslosen und meditativen Stellen, all das schafft auch nicht jeder im Publikum. Aber die, die bis zum Schluss bleiben, danken großgestisch und ausladend mit riesigen Blumenbouquets und Bravos.

Im Herbst dieses Jahres folgt dann Teil zwei dieses musikalisch-kulturpolitischen Experiments in München. Dann werden die Philharmoniker die Kollegen des Mariinsky-Orchesters als ihre Gäste integrieren und ein gemeinsames mehrtägiges Musikfest veranstalten. In dessen Fokus steht dann Prokofjew.

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