Pasing:Käthe und ich

Lesezeit: 3 min

Bei einer Doppelausstellung in der Pasinger Fabrik sucht der Architekturmaler Alexander Dettmar den Dialog mit 60 Werken der Kollwitz und wird dabei zum Nebendarsteller

Von Jutta Czeguhn, Pasing

"Ich will Kraft spüren, das ist für mich das wichtigste Kriterium bei der Kunst", sagt Alexander Dettmar. Das Bild, vor dem er gerade steht, hat so eine Sogwirkung: Ein knochiger Kahlkopf umschlingt eine Frau von hinten, will das Kind aus ihren Armen entwinden. Die Augen der Frau sind vor Entsetzen geweitet. Die Lithografie stammt aus Käthe Kollwitz' Mappe "Tod", entstanden Mitte der Dreißigerjahre. 60 Werke der Berliner Grafikerin, Zeichnerin und Bildhauerin sind derzeit in den Galerieräumen der Pasinger Fabrik zu sehen. Die Ernst-Barlach-Museums-Gesellschaft hat sie für eine Doppelausstellung nach München geschickt.

Die Hamburger vertrauen erneut dem Architekturmaler Dettmar: Vor knapp zwei Jahren waren seine stark reduzierten, wortkargen Stadtlandschaften in Pasing gemeinsam mit Barlach-Skulpturen zu sehen. Eine sehr reizvolle Paarung war das. Diesmal geht dieses Dialog-Konzept nicht ganz auf. Kollwitz und Dettmar haben sich wenig zu sagen. Neben dieser Künstlerin wirken seine Gemälde wie neutralisiert.

Bei der Begegnung in den nüchternen Räumen der Fabrik scheint nur Kollwitz zu reden, und Dettmar hört zu. Dabei ist der 62-Jährige eigentlich keiner, der sich klein macht, oder Grund dazu hätte. "Mich erkennt man auf den ersten Blick, und Käthe auch", sagt der 62-Jährige selbstbewusst. Was kaum falsch ist, denn beide kultivieren eine große Werktreue - zu sich selbst.

Dettmar ist ein groß gewachsener Mann mit nach unten geschwungenem Schnauzbart. In aller Ruhe, aber begeistert erläutert er die Hängung in den Galerieräumen, die ganz sein eigen Ding ist. Kein Kurator hat ihm da reingeredet und etwa darauf beharrt, dass die Blätter aus den berühmten Werkzyklen der Kollwitz - "Ein Weberaufstand", "Bauernkrieg" oder "Abschied und Tod" - unbedingt zusammen hängen müssen. Was allein zählt, ist Dettmars malerischer Blick. "Ich komponiere Räume wie ein Bild", erklärt er. Man kann ihm nicht widersprechen. Mit Sensibilität hat er seine 60 Werke neben denen "Käthes" platziert. Er nennt die 1945 verstorbene Künstlerin beim Vornamen, was aber nichts Anmaßendes hat, sondern eine respektvolle Intimität herstellt. Die Sockelheilige der Entrechteten holt er damit auf den blanken Boden der Fabrik herunter. Es ist ein wenig so, als wäre die kleine Frau mit dem Dutt, die sich immer wieder selbst porträtiert hat, nur mal eben Kaffee holen gegangen.

Der Kohlezeichnung einer Arbeiterfrau von Käthe Kollwitz (1906) stellt Alexander Dettmar eine seiner Berliner Stadtansichten gegenüber (Foto: privat)

Die Begegnung mit Käthe sei eine "viel leisere" als jene mit Barlach, sagt Alexander Dettmar. Und es kommt einem - kurz ein wenig abschweifend - in den Sinn, dass Barlach seinen berühmten Bronze-Engel "Der Schwebende" mit dem Gesicht der Kollwitz versehen hat. Alexander Dettmar hatte der nordischen Schwere der Barlach-Skulpturen seine Backsteinfassaden und dunklen Erdtöne komplementär gegenübergestellt. Die scharf konturierten Schwarz-Weiß-Arbeiten der Kollwitz verlangen seinem Gespür nach lichttrunkene Bildpartner, die Mauern seiner gedrungenen Stadtlandschaften sind diesmal nun beige, ocker oder grau.

Es sind schöne Sichtachsen zu entdecken in den ineinander übergehenden Galerieräumen. Dettmar hat sich Paarbildungen einfallen lassen. So hängt er sein nahezu weißes, südländisch leuchtendes "Ascona" neben die grünschwarze Kaltnadelradierung "Schlachtfeld" (1907) aus dem Bauernkrieg-Zyklus. Das Auge braucht eine Weile, um auf diesem monochromen Werk der Kollwitz das Sujet zu entschlüsseln, eine düstere Gestalt mit Kapuze, die sich im trüben Lichtkegel einer Laterne zu einem Leichnam hinabbeugt.

Mit anderen Stadtansichten ist Dettmar der Künstlerin geografisch auf der Spur: Sie zeigen München, Paris und immer wieder Berlin, wo Kollwitz' Mann, ein Arzt, seine Praxis hatte und ihm das Elend im Wartezimmer saß. Dettmar will auch thematisch Spiegelungen schaffen; etwa bei der Kreidelithografie "Der Tod wird als Freund erkannt". Kollwitz, deren Sohn und Enkel im Krieg fielen, zeigt auf diesem Blatt Mensch und Tod in klammernder Umarmung. Dettmar wählt als Partner ein Gemälde aus seiner Serie zerstörter Synagogen, die ebenfalls vor Jahren in der Pasinger Fabrik zu sehen war.

Alexander Dettmar schätzt die Kraft in Käthe Kollwitz' Werken. (Foto: Catherina Hess)

Ruhe wolle er den vor Wut, Anklage und Trauer schreienden Elendsbilder dieser so politischen Künstlerin entgegenbringen, sagt Alexander Dettmar. So könne auch das Auge des Betrachters beim Gang durch die Ausstellung immer wieder entspannen. Letztlich aber geht dieser Anspruch, das Ruhekissen zu sein, nicht recht auf. Es ist gerade die von Dettmar selbst so geschätzte Kraft in Käthe Kollwitz' Werken, die Dettmar mit seinen in der Menge doch eindimensionalen Stadtansichten zum Nebendarsteller dieser Schau macht. Bestenfalls nimmt man sie wohlwollend, aber ohne Nachwirkung im Vorübergehen wahr. Im schlimmsten Fall wäre da die Sehnsucht des Betrachters nach einer wirklich weißen Wand zwischen den aufwühlenden, hochaktuellen Bildern der Kollwitz.

Käthe Kollwitz und Alexander Dettmar, Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, Galerieräume, bis 14. Februar, täglich außer Montag von 16 bis 20 Uhr, Eintritt vier Euro, ermäßigt zwei Euro.

© SZ vom 11.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: