Pasing:Ideologische Webfehler

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Was wird denn da gezimmert? Experten sollen untersuchen, ob sich auf dem Gobelin im Pasinger Rathaus NS-Symbole verbergen. (Foto: Stephan Rumpf)

Zeigt der Gobelin im Pasinger Ratssaal ein Hakenkreuz und andere nationalsozialistische Symbole? NS-Dokumentationszentrum, Stadtmuseum und Stadtarchiv gehen der Frage jetzt nach

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Alle Augen folgen dem winzigen Lichtpunkt, wie er über die raue Stoffoberfläche tänzelt. "Hier bei diesem Mann mit dem Querbalken, drüber der im Kettenhemd . . .", sagt Evelyn Lang, die mit dem Laserpointer vor dem riesigen Gobelin im Pasinger Ratssaal fuchtelt. "Mit viel Fantasie könnte man . . .", fährt sie fort. Ihre Demonstration scheint die Leute am großen Ratstisch zu amüsieren. "Haha, ja, man könnte, haha . . ." Evelyn Lang kann die Heiterkeitsausbrüche ihrer Kollegen im Bezirksausschuss Pasing-Obermenzing nicht teilen. Sie hat gerade die Befürchtung von Bürgern weitergegeben, dass der Wandschmuck bislang unbemerkt gebliebene ideologische Webfehler tragen könnte: ein Hakenkreuz und andere nationalsozialistische Symbole. Weil dieser Verdacht - so abstrus ihn einige unter den Stadtteilpolitikern finden mögen - nicht einfach von der Hand zu weisen ist, wird sich nun die Stadt mit dem Pasinger Teppich-Thema befassen müssen.

Es hat den Anschein, als habe sich mit dem dekorativen Großkitsch, der im Ratssaal ein disneylandhaftes Mittelalter-Flair verbreitet, noch kaum jemand näher befassen wollen. Abgesehen wohl von denjenigen, die das Gewebe hin und wieder zu entstauben haben. Bei genauerer Betrachtung, die allerdings aufgrund der Lichtverhältnisse und der bereits ausgebleichten Farben nicht leicht fällt, erzählt einem der Gobelin die Geschichte der Stadtgründung Münchens: Überlebensgroß in Ganzkörper-Rüstung steht Heinrich der Löwe mit Schild und Schwert in der Mitte.

Den Kopf trägt der Herrscher zur Seite gewandt, trotzdem wird klar, mit diesem Mann sollte man sich besser nicht anlegen. Weshalb sich die Lego-Häuschen zu seinen Füßen auch irgendwie wegzuducken scheinen. Immerhin, das kleine München hatte Mitte des 12. Jahrhunderts schon eine Stadtmauer. Links oben auf dem Tableau ist Bischof Otto von Freising zu erkennen, mit dem sich Heinrich um das Monopol im Salzhandel stritt. Und natürlich die brennende Isarbrücke bei "feringa" Oberföhring, die er deshalb zerstören ließ. Des Weiteren bevölkern den Teppich Bauern, Schäfer, Händler, ein Falkner, Soldaten. Und jene Figuren, die eine Brücke zusammenzimmern und dabei mit den Holzbalken eigentümliche Formationen bilden. Sind es Hakenkreuze? Dass dieser Verdacht nun aufgekommen ist, hängt mit der Person des Künstlers zusammen, aus dessen Werkstatt der Gobelin stammt: Bruno Goldschmitt, Jahrgang 1881, war ein Maler, Grafiker und Illustrator, der unter anderem bei Stuck an der Akademie in München studiert hatte. 1900 gründete Goldschmitt mit Hermann Hesse die Künstlerkolonie am Unteren Bodensee, war ziemlich erfolgreich und gut beschäftigt. 1932 soll er in die NSDAP eingetreten sein, was der Auftragslage wohl zuträglich war. Er gehörte auch zu den Malern, die Hitlers Reichsautobahn großflächig bewerben durften. Und er sollte 1934 für den alten Münchner Ratssaal einen zwölfteiligen Gobelin-Zyklus anfertigen, der die Stadtgeschichte behandelt. Laut Evelyn Lang ist der Wandteppich, der nun im Pasinger Sitzungssaal hängt, der erste und einzig fertiggestellte aus dieser geplanten Serie, beziehungsweise der einzige, der den Zweiten Weltkrieg überdauert hat. Wie das Stück nun ausgerechnet ins Pasinger Rathaus kommt, muss die Stadt ebenfalls klären.

Seit den Fünfzigerjahren soll der Wandschmuck im Ratssaal hängen. Merkwürdig ist, dass Goldschmitts Arbeit in Presseberichten aus jener Zeit keine Beachtung findet. Hat Münchens damaliger Oberbürgermeister Thomas Wimmer den Gobelin mitgebracht, als er Anfang Januar 1952 eine Feierstunde zur Wiederinstandsetzung des im Krieg schwer zerstörten Pasinger Rathauses besuchte? Launige Worte sind von Wimmer zur Eingemeindung Pasings überliefert, die 1938 durch die Nazis mehr oder weniger unter Zwang erfolgt war. "Jede Ehe ist ein Kompromiss", soll der OB gesagt haben. Ein Wandteppich, auf der die Gründungsgeschichte Münchens verherrlicht wird, dürfte da - sollte es so gewesen sein - als ein ziemlich freches Mitbringsel interpretiert worden sein. Auch 1963, als 1200 Jahre Pasing mit großem Brimborium begangen wurden und OB Hans-Jochen Vogel Glückwünsche im Ratssaal übermittelte, bleibt Goldschmitts Webkunststück unerwähnt.

Die Bitte um Prüfung der Gobelin-Historie hat mittlerweile das städtische Kulturreferat erreicht. Laut Sprecherin Jenny Becker wurden das NS-Dokumentationszentrum, das Münchner Stadtmuseum und das Stadtarchiv mit diesem Thema befasst. "Die Expertisen der Fachleute werden dann dem Ältestenrat des Stadtrats zur Kenntnis und zur Entscheidung über das weitere Vorgehen gegeben", teilt sie mit. Voraussichtlich Ende September sei mit ersten fundierten Ergebnissen der Recherchen zu rechnen.

Was aber, wenn die Experten tatsächlich NS-Symbolik im Gobelin entdecken beziehungsweise die Person des Künstlers sich als untragbar erweist? Für die Mitglieder stellt sich die Frage, wie Pasing dann mit dem Wandteppich umgehen soll. Frieder Vogelsgesang (CSU) schlug vor, keinen Bildersturm zu betreiben, sondern sich mit der Geschichte des Teppichs aktiv auseinanderzusetzen. Etwa in Form einer Hinweistafel, welche die geschichtlichen Zusammenhänge erklärt.

© SZ vom 23.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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