Pasing:Heimeliges Versuchslabor

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Die Pasinger Fabrik, Münchens erstes Bürgerzentrum, feiert 30. Geburtstag. Einst Spielball im städtischen Kulturkampf zwischen CSU und SPD, setzt das Haus heute selbstbewusst eigene Akzente und wird dafür von den Menschen geliebt

Von Jutta Czeguhn, Pasing

"Man muss sich immer wieder neu erfinden", sagt Frank Przybilla am Telefon. Dann ist er für einige Augenblicke nicht zu verstehen, Stimmen, Lachen im Hintergrund. Bis zum Jubiläumsfest "30 Jahre Pasinger Fabrik" am Samstag, 16. Juli, ist es nicht mehr lange hin. Geschäftsführer Przybilla und seine Mitarbeiter sitzen beim Vormittagskaffee zusammen und besprechen den Tag. "Geht's euch gut?", hört man ihn fragen, und wieder Gegacker. "Dieses Team ist der Oberhammer", schwärmt Przybilla. Um 10 Uhr am 1. August 2001 hat er seinen Job angetreten, das weiß er noch genau. Damals hatte die Pasinger Fabrik ihre ersten, ausgesprochen turbulenten 15 Jahre als Kultur- und Bürgerzentrum bereits hinter sich, und der Ruf als Pionierhaus hatte sich etwas abgeschliffen. Heute gehört die Fabrik ganz selbstverständlich zum Leben vieler Menschen im Münchner Westen, ist für sie gar eine Art verlängertes Wohnzimmer.

Die bewegte Geschichte des Hauses dürfe den wenigsten bekannt sein. Wie weit soll man da den Blick zurück werfen? 1986 wäre wohl zu kurz gesprungen, zumal die Programmplaner selbst beim Jubiläumsfest das Fernrohr ausfahren mit der Dokumentation "Von den Ritterwerken und der Schuhfabrik Heymann bis zur Pasinger Fabrik". Einst wurden also Lederschuhe hergestellt, wo heute die Kultur und soziale Angebote zu Hause sind. Der Architekt August Exter hatte die Industrieanlage 1895 erbaut. Zunächst wurde sie von Julius Stein geführt, 1896 übernahm David Heymann eine Hälfte der Fabrik, 1899 wurde er Alleinbesitzer, nach einem Brand im Schuhlager musste der Betrieb 1904 geschlossen werden. Die Heymanns waren geachtete Leute, Teil der Pasinger Gesellschaft - und sie waren Juden. Ortschronistin Almuth David hat ihr Schicksal erforscht. Mit einem der ersten "Judentransporte" wurde die Familie im November 1941 ins litauische Konzentrationslager Kaunas deportiert und wenig später ermordet.

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(Foto: SZ Photo)

Abbruchreif waren die Ritterwerke anno 1986,...

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(Foto: Hilda Lobinger / oh)

... ehe sie von Kulturschaffenden wie dem "Theater viel Lärm um Nichts" bespielt wurden.

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(Foto: N/A)

In der Fabrik ist für Kinder und Jugendliche viel geboten. Auch ein Kindergarten, ein Hort und eine Familienbildungsstätte sind im Haus untergebracht.

Nach dem Brand im Schuhlager hatte David Heymann die Fabrik an Franz Ritter verkauft, der dort dann unter anderem Flaschenreinigungs- und Messerputzmaschinen herstellen ließ. Vor der Fabrik, aber noch auf dem Gelände von "Ritter & Sohn" stand die Bahnhofsrestauration "Storchenburg", von der nur einige Reste der Außenanlagen blieben. Der Bau mit seinem markanten Turm fiel 1938 der Verbreiterung der Pasinger Gleisanlagen zum Opfer, die Teil war von Hitlers absurden Umbauplänen für die "Hauptstadt der Bewegung". Die Ritterwerke selbst hielten dem Standort Pasing erstaunlich lange die Treue. 1982 siedelt das Unternehmen für Haushaltswaren nach Gröbenzell um, wo es heute noch besteht.

Die Stadt München erwarb das 4200 Quadratmeter große Fabrik-Areal und die Gebäude am Nordausgang des Pasinger Bahnhofs. Im Frühsommer 1986 begann das Herz der Pasinger Fabrik, die damals freilich noch nicht so hieß, zu schlagen: Der Bau wurde zu der Zeit bereits von der "Pädagogischen Aktion", einer Vorläuferin der heutigen Kinder- und Jugendkulturwerkstatt, genutzt. Dann brachte eine Theatergruppe um die Schauspieler Andreas Seyferth und Margrit Carls im Westtrakt Shakespeares Komödie "Viel Lärm um Nichts" zur Aufführung, die der Truppe später auch den Namen geben sollte. Für Frank Przybilla ist dieses Ereignis vor 30 Jahren der Geburtsmoment des Pasinger Bürgerhauses, weil kulturelle und soziale Nutzung zusammenkamen, damals ein Novum in der Stadt. Organisatorisch war allerdings noch lange nichts in trockenen Tüchern. Erst 1991 sollte es nach einem unschönen, mit harten Bandagen geführten Kulturkampf zwischen den Stadtratsfraktionen von CSU und SPD, begleitet von diversen Querschüssen der Nutzer, zur Gründung einer städtischen GmbH kommen. Die SPD wollte die Fabrik einem unabhängigen Trägerverein übertragen, weil dies mehr Bürgernähe gewährleisten würde.

Geschäftsführer Frank Przybilla hat noch viel vor. (Foto: Sinem Gökser)

Für die CSU roch dies nach Selbstverwaltung und rotem Chaos, nur das GmbH-Modell kam für sie deshalb in Frage. Am Ende setzte sie sich damit durch. Auch auf den Namen "Pasinger Fabrik" einigte man sich, nachdem "Ritterwerke" oder "Pasinger Kulturbahnhof" durchgefallen waren.

Michael Stanic, der später geschasste erste Geschäftsführer, hatte in der Fabrik ein kulturelles Versuchslabor gesehen, in dem der Enkel wie der Großvater Angebote finden. Es gibt Oper, Ausstellungen, Tanz und Theater. Frank Przybilla fasst es ähnlich weit, er will mit dem Haus "auf die Entwicklungen in der Gesellschaft reagieren", Brücken bauen wie etwa im kommenden Herbst mit dem Länderschwerpunkt Türkei. In seinen bis dato 15 Jahren als Chef hat der Schwabe in Kooperation mit dem Kultur- und Sozialreferat neue Akzente gesetzt, etwa die Sommerpause abgeschafft, mit dem Ebenböckhaus eine Dependance eröffnen können, Renovierungen vorangetrieben - und noch etliche davon auf seinem Wunschzettel, denn irgendwie ist die Fabrik ein Provisorium geblieben, das immer aufs Neue Schritt halten muss mit seinen Nutzern. Frank Przybilla hat dazu viele Ideen, ist wie immer kaum zu bremsen, denn er ist ja überzeugt, den "besten Job Münchens" zu haben. Noch Fragen? Nein? In der Fabrik geht die Kaffeepause zu Ende. Noch ist jede Menge zu tun.

Jubiläumsfest "30 Jahre Pasinger Fabrik", August-Exter-Straße 1, Samstag, 16. Juli, von 15 bis 22 Uhr bei freiem Eintritt: Es gibt Führungen, Mitmachaktionen für Kinder und Erwachsene, ein Konzert mit dem Pasinger Madrigalchor, eine Flamenco-Show oder die Pasinger Film- und Videonacht mit Doku-Streifen des Stadtteil-Filmemachers Josef Veith. Informationen unter www.pasinger-fabrik.com.

© SZ vom 14.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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