Pasing:Die Grenzen des Wachstums

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Bei ihrer Bürgerversammlung kritisieren die Anwohner Münchens rasante Stadtentwicklung. Sie beklagen fehlende Infrastruktur, zu viel Verkehr und schwindendes Grün

Von Jutta Czeguhn, Pasing

"Wieso wird ungefragt dem Wachstum hinterhergejagt, obwohl dies der Stadtqualität und Vielfalt zuwiderläuft und vor allem keine sozialen Verbesserungen bringt? Was ist Münchens Ziel?"Große Fragen, die da in der Bürgerversammlung für den Stadtteil Pasing gestellt wurden. Antworten bekam Maria Ecke-Bünger, die das Münchner Wachstumscredo anprangerte, nicht. Die Vertreterin der rührigen Interessengemeinschaft Offenbach-/Meyerbeerstraße aus dem Pasinger Norden hatte bewusst darauf verzichtet, einen Antrag zu stellen. Sie wolle der Verwaltung Zeit schenken, die Anträge der vergangenen Jahre abzuarbeiten. "Es ist alles bereits beantragt, gefragt und von den Bürgern mit großer Mehrheit abgestimmt", sagte Ecke-Bünger in ihrem knappen, viel beklatschten Redebeitrag in der Turnhalle der Anne-Frank-Realschule. Für Pasinger Verhältnisse war es eine Bürgerversammlung von eher nüchterner Gangart, womöglich weil sich bei vielen im Viertel, nicht nur bei Ecke-Bünger, eine gewisse Ernüchterung eingestellt hat. Kann die Stadtverwaltung noch Schritt halten mit der rasanten Entwicklung?

Fehlende Schilder: der Radweg im Wolkentunnel. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Boom-Town München. Bürgermeister Josef Schmid (CSU), auch Referent für Arbeit und Wirtschaft der Stadt, hatte als Versammlungsleiter via Tortendiagrammen beeindruckende Zahlen präsentiert; ein robustes Steueraufkommen, ein stabiler Schuldenabbau, aber auch beträchtliche Investitionen etwa in Schulausbau und Infrastruktur, einhergehend wachsende Sozialausgaben, immer mehr Wohnungslose beispielsweise, die untergebracht werden müssen. In den Anträgen der Bürger, es waren deutlich weniger als in den vergangenen Jahren, spiegelten sich die Folgen dieser Entwicklung wider. Die Auswirkung im Kleinen, heruntergebrochen auf einzelne Straßenzüge, in denen die Bewohner die Veränderungen spüren. In München bedeutet das vor allem eines: Mehr Verkehr, der sich neue Wege sucht, wenn die Hauptadern nichts mehr aufnehmen können.

Pasings Polizei registriert mehr Anzeigen gegen Sprayer. (Foto: privat)

Überrollt fühlen sich beispielsweise die Menschen in der Kolonie I und in den Wohngebieten im Pasinger Norden, die an das Neubaugebiet an der Paul-Gerhardt-Allee angrenzen. Sie klagen über Baustellenverkehr, der durch enge Wohnstraßen brettert, die zumeist auch Schulwege der Pasinger Kinder sind. Die Baulaster wiederum erscheinen nur als Vorhut der 5000 bis 7000 Neu-Pasinger, die in zwei, drei Jahren zuziehen und dann den Verkehr in den Wohnstraße zusätzlich belasten werden. Auch in dieser Bürgerversammlung wurde deswegen das Verkehrskonzept für den Pasinger Norden eingefordert, das seit nunmehr fünf Jahren aussteht. Von Referatsseite hören sie in der Bürgerversammlung dazu nur die vage Mitteilung, dass man an einer Vorlage für den Stadtrat arbeite. Mit Ankündigungen wie diesen wollen sich die Betroffenen offenbar nicht mehr abfinden, wie Hermann Wolter von der IG Exter Kolonie 1 ankündigte: Die Stadt reagiere nur noch auf rechtliche Mittel, weshalb den Bürgern nur mehr der Weg über ein Normenkontrollverfahren bleibe, was die Aussperrung des Lastwagenverkehrs aus den Wohngebieten angehe.

Zweck erfüllt? Die neue Markierung in der Bäckerstraße. (Foto: privat)

Groß ist die Frustration auch bei den Anwohnern der Maria-Eich-Straße, die seit Jahren eine durchgehende Tempo-30-Zone fordern. Die "Flickschusterei" in diesem Straßenzug müsse ein Ende haben, appellierte etwa Georg Strauß und berichtete der Versammlung von 250 Unterschriften, die man binnen kürzester Zeit gesammelt habe. Die Bürger können nicht nachvollziehen, warum auf der Maria-Eich-Straße in ihrem südlichen Bereich bis zur Ortsgrenze nach Lochham Tempo 50 gelte. Dort liege ein gut frequentiertes kleines Ladenzentrum, zudem gebe es dort einen Zebrastreifen, der täglich von vielen Kindern und älteren Menschen benutzt werde. Obendrein nehme die Straße dort eine schlecht einsehbare Kurve. Auch den Anwohnern der Maria-Eich-Straße wurde an diesem Abend seitens des Kreisverwaltungsreferats kaum Hoffnung gemacht, dass sie sich mit ihrem Anliegen durchsetzen werden. "Ein Trauerspiel", sagte der Bezirksausschussvorsitzende Romanus Scholz (Grüne).

Dringlicher Wunsch: durchgängig Tempo 30 auf der Maria-Eich-Straße. (Foto: privat)

Als solches sehen auch die Mitglieder des ESV Pasing das, was in den vergangenen Monaten an der Ostseite ihres Geländes an der Lortzingstraße geschehen ist. Marianne Manz schilderte im Namen der Tennisspieler die Abholzaktion am Rande der Sportanlage durch einen Investor und die Angst der Vereinsmitglieder, dass dieser nicht nur die angrenzende Kleingartenanlage, sondern auch das ESV-Areal in Bauland verwandeln würde. Im Namen des Vereins forderte sie, dass die Stadt das Immobilien-Unternehmen zu Ersatzpflanzungen auf dem abgeholzten Terrain verpflichtet.

Bei der Bürgerversammlung gab es noch Anträge und Anfragen zu Fahrradstraßen, Radwegbeschilderungen oder Schallschutzwänden. Oft als "Partikularinteressen" diskreditiert, wie Maria Ecke-Bünger in ihrem Redebeitrag meinte. Aber im Grunde doch bürgerschaftlicher Einsatz "für eine lebenswerte Stadt".

© SZ vom 27.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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