Parkstadt Schwabing:So erforscht IBM in München das Internet der Dinge

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Alles voller Chips, alles voller Daten - auch am Körper von Menschen. IBM analysiert sie jetzt in der Parkstadt Schwabing. (Foto: N/A)

30 Milliarden vernetzte Geräte weltweit - und alle produzieren ständig Daten: Um sie zu analysieren, eröffnet der Konzern sein erstes Hauptquartier außerhalb der USA.

Von Helmut Martin-Jung, München

Vernetzte Produktionsanlagen, Sensoren in allen möglichen Gegenständen, womöglich sogar im Körper von Menschen - schon in drei Jahren sollen 30 Milliarden dieser Geräte weltweit im Einsatz sein. Und im "Internet der Dinge" sollen die Daten, die dabei entstehen, neue Einsichten liefern und Geschäftsideen ermöglichen. München wird dabei eine wichtige Rolle spielen, denn der US-Technologiekonzern IBM hat hier sein globales Zentrum für das Zukunftsthema Internet der Dinge angesiedelt.

Wer hierher kommt, in die Highlight-Towers im Münchner Norden, dem geht es also um Daten. Aber nicht jedem ist klar, was das wirklich heißt. Deshalb hat sich der Zentrumsleiter Niklaus Waser, 47, Wirtschaftsingenieur und früher Berater, etwas einfallen lassen. Wer das IBM-Zentrum in der Parkstadt Schwabing besucht, bekommt am Flughafen ein Elektroauto. Im Hochhaus angekommen sieht er als erstes eine Plattform mit Dutzenden Bauteilen aus einem solchen Auto. In jedem davon stecken Sensoren, einer oder mehrere, die Daten liefern.

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Im Anschluss daran gelangt der Besucher in eine sonderbare Bibliothek. Die Bücher darin sind nicht echt, die Rückwände der Regale bestehen aus Bildschirmen, auf denen Datenströme wie Regen herabrieseln, fast wie im Film "Matrix". 800 Bücher stehen in diesen Regalen, 800 deshalb, weil moderne Autos in etwa so viele Sensoren haben. "Wie lange, schätzen Sie", fragt Waser dann, "wie lange dauert es, bis die Sensordaten ein Buch vollgeschrieben haben?" Der Besucher denkt: nicht lange, und murmelt etwas von "wenigen Stunden". Es sind 15 Sekunden.

"Wir haben so viele Daten, aber wir nutzen bis jetzt nur einen Bruchteil davon", sagt Waser. Das sollen die Besucher verstehen, es soll ihnen klar machen, wo er mit seinen Leuten ansetzen will. Es geht darum, die umstürzlerische Kraft nutzbar zu machen, welche die Datenflut entfesseln kann - wenn man sie denn lässt. IBM bietet die digitalen Werkzeuge dafür an, die Expertise der hauseigenen Spezialisten.

Daten fallen heute in jeder Branche an, daher ist auch die Liste der ersten Firmen, die mit IBM in München an Daten-Projekten arbeiten, ein Querschnitt durch alle möglichen Branchen. Zur Eröffnung an diesem Donnerstag gaben unter anderem Bosch, der Finanzdienstleister Visa, die Bank BNP Paribas und das Beratungsunternehmen Capgemini ihre Zusammenarbeit mit IBM in München bekannt, der Autohersteller BMW gehört schon länger zu den Kooperationspartnern.

Der US-Konzern investiert 200 Millionen Dollar

Bosch erforscht mit IBM unter anderem, wie Autohersteller die zunehmend komplexe Software für ihre Fahrzeuge über das Internet überspielen können - ohne dass die Autos dafür in die Werkstatt müssen. Der Zahlungsdienstleister Visa tüftelt an Projekten, bei denen Sensoren zum Beispiel einen Fehler in einem Bauteil melden. Per Knopfdruck kann der Kunde dieses Ersatzteil dann sofort bestellen und natürlich auch bezahlen.

In den Highlight-Towers hat IBM 15 Stockwerke mit insgesamt 15 000 Quadratmetern Fläche angemietet. In den nächsten Jahren investiert der US-Konzern hier etwa 200 Millionen Dollar - es ist das erste Hauptquartier für einen seiner Geschäftsbereiche, das nicht in den USA steht. Das Besondere am Münchner Zentrum ist, dass IBM-Kunden es nicht nur besuchen und sich zum Staunen bringen lassen können. Ganze Abteilungen können dort für kurze Zeit oder auch für länger einziehen, um mit Hilfe von IBM ein Projekt zu entwickeln.

Voraussetzung dafür ist, dass die Kunden dann auch die Technologien von IBM nutzen, etwa deren kognitive Plattform Watson. Mit dieser Software können große Datenmengen, egal ob Texte oder Messwerte, auf Muster hin untersucht werden. So hofft etwa die französische Staatsbahn SNCF, dass sie mithilfe von Sensoren in Zügen und an 30 000 Kilometern Gleisen eher und besser erkennen kann, wann eine Wartung fällig wird - und zwar bevor die Schäden zu groß werden.

Waser ließ die 15 Stockwerke völlig entkernen, "da waren nur noch die Glasfassade und die Statik da", sagt er. Das machte es möglich, das IBM vieles von dem, woran man mit den Kunden arbeiten will, selber schon im Einsatz hat. Das fängt bei dem per App gesteuerten Kaffee-Vollautomaten im Foyer an und reicht bis zu Hightech-Konferenzräumen. Darin ist eine etwa zehn Meter breite Monitorwand installiert, an einer Seitenwand steht eine Glasscheibe, etwa so groß wie ein großer Fernseher. Auf Knopfdruck wird die transparente Scheibe zum Milchglas, genauer: zu einem interaktiven Whiteboard, einer Tafel also, die man elektronisch beschreiben und wieder löschen kann. Ihr Inhalt lässt sich auf die Monitorwand ziehen, diese ist überdies vernetzt, der Bildschirminhalt kann also über das Internet zu entfernt arbeitenden Kollegen übertragen werden.

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Schon als 2015 bekannt wurde, was IBM in München vorhat, fragten bei Waser die ersten Firmen wegen einer Kooperation an. Doch da hatte er noch nicht einmal Räume gemietet. Auch an Bewerbern für Jobs fehlt es Waser nicht. Viele Studenten wollen ihre Abschlussarbeiten hier schreiben, Absolventen möchten hier anfangen, aber auch erfahrene Mitarbeiter anderer Firmen bewerben sich, um am Zukunftsthema Internet der Dinge mitzuarbeiten.

300 Menschen arbeiten bislang im IBM-Zentrum, bis zu 1000 sollen es werden. Beim Gang durch die Flure sind neben vielen jungen Leuten aus verschiedenen Nationen auch welche mit grauen Haaren zu sehen - eine bewusste Entscheidung, sagt Waser. Mitarbeiter verschiedenen Alters inspirierten sich gegenseitig, "da braucht man eine gute Mischung". Wenn er Leute einstellt, ist ihm vor allem ihre Begeisterung für das Thema und für das Neue wichtig, weniger die Papierform.

Labors, in denen alles steht, was Hardware-Bastler begehren

Auf den 15 Stockwerken gibt es nicht nur genug Platz, um industrielle Anwendungen in kleinem Maßstab auszuprobieren. Hier sind auch Labors, in denen alles steht, was Hardware-Bastler begehren, von der Laser-Schneidemaschine bis hin zum 3-D-Drucker. Die Mitarbeiter sitzen alle in Großraumbüros, auch Waser, der Chef, hat kein eigenes Büro. Dafür gibt es viele kleine Besprechungsräume, in die man sich zurückziehen kann. Auch sie werden natürlich von Sensoren überwacht. So kann jeder von seinem Arbeitsplatz aus sehen, welcher Raum gerade frei ist.

Sieht man aus den Türmen nach Norden, fällt der Blick gleich auf einen anderen US-Konzern, Microsoft, der gleich nebenan seine Deutschland-Zentrale hat. Warum München? Für IBM war die Sache ziemlich schnell klar. Zum einen sitzt in Europa, vor allem in Süddeutschland, eine mächtige Industrie, die sich mit dem Internet der Dinge auseinandersetzen muss, dazu Versicherungs-Konzerne und natürlich die Autoindustrie. Zum anderen gibt es vom Münchner Flughafen gute Verbindungen nach Asien. Und vom Norden der Landeshauptstadt aus ist der Flughafen im Erdinger Moos sogar in weniger als einer halben Stunde erreichbar.

© SZ vom 17.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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