Papiertheater-Festival:Winzige Welten

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Dieses Mal hat Rotkäppchen nicht viel zu befürchten: Denn der alte Wolf hat längst keine Zähne mehr und ist auf Hundefutter angewiesen. (Foto: Ulrich Chmel)

"Alles Papier": Unter diesem Motto lädt das kleine Theater im Pförtnerhaus zu einem Papiertheater-Festival im Bürgerpark Oberföhring.

Von Barbara Hordych

Der Wolf hat großen Hunger und streift durch den Wald auf der Suche nach halb leeren Hundefutterdosen. Er kann nur mehr weiche Nahrung fressen, denn er hat keine Zähne mehr. Da hatte Mutter Wolf wohl doch recht, die ihm dieses Schicksal einst voraus gesagt hatte, weil er immer so große Angst vor dem Zahnarzt hatte ... Nicht ganz textgetreu, dafür gespickt mit viel Witz spielt Ulrich Chmel aus Wien auf seiner Bauchkastenbühne Märchen der Brüder Grimm.

"Rotkäppchen" und "Hänsel und Gretel" gehören zu den Stücken, die das kleine Theater im Pförtnerhaus zu dem Festival "Alles Papier" geladen hat: Liselotte Bothe, die seit 30 Jahren die Puppen auf ihrer Kasperlbühne tanzen lässt, präsentiert auf dem Gelände des Bürgerparks Oberföhring vier Tage lang Meister des Papiertheaters, einer nahezu vergessenen Form der Theaterkunst.

"Das Papiertheater braucht nicht viel Platz, weshalb man es gut im privaten kleinen Kreis, mit Freunden oder in der Familie, spielen konnte", sagt Liselotte Bothe. "Stücke wie den 'Freischüz' oder das 'Rheingold', 'Oberon' oder 'Wilhelm Tell' nachzuspielen oder selbst erdachte Geschichten umzusetzen, war ein großes Vergnügen für Leute, die über die nötige Fantasie verfügten, um eine große Welt in ein winziges Format zu übersetzen." Jeder, der Zeichenstift, Schere, Kleber und ein paar Bögen Papier im Haus hatte, konnte Dramen und sogar Opern dank der Erfindung der Lithografie Ende des 18. Jahrhunderts ins eigene Wohnzimmer holen.

Der Erfolg des "Freischütz" 1821 ermunterte 16 Firmen sogar dazu, 25 verschiedene Figurenbögen allein zu dieser Oper herauszubringen. Vor allem beim Bildungsbürgertum des ausgehenden Biedermeiers, zur Zeit der Romantik und des späten 19. Jahrhunderts, kannte die Begeisterung keine Grenzen. Bis die Erfindung des Fernsehens das Papiertheater weitgehend in der Versenkung verschwinden ließ.

Einige der Künstler, die das Fach noch beherrschen, zeigen nun Stücke für große und kleine Zuschauer: Gabriele Brunsch aus Kitzingen ist mit einer "Kalif Storch"-Version dabei, Lise und Jochen Dybdahl-Müller vom Theater Joli aus Vilsbiburg überraschen mit Stücken von Karl Valentin, Loriot, Agatha Christie und einer Episode aus Boccaccios "Decamerone". Das Papiertheater am Ring aus Wilmersdorf spielt Lortzings Oper "Zar und Zimmermann", während Hans-Günter Papirnik mit kleinsten Mitteln das Publikum mit Richard Wagners "Der fliegende Holländer" verzaubert.

Wer dabei Lust bekommt, sich noch etwas weitergehender mit der Materie zu beschäftigen, der sei an Ulrich Chmel verwiesen. Der Papierkünstler bringt zusätzlich zu seinen Bearbeitungen der Grimmschen Märchenklassiker seine Ausstellung zur Geschichte des Papiertheaters aus Wien mit nach Oberföhring, wo sie während des Papiertheater-Festivals im Bürgerpark zu sehen ist.

Alles Papier, Do., 19. bis So., 22. Okt., Kleines Theater im Pförtnerhaus, Bürgerpark Oberföhring, Oberföhringerstr.156, 089/985857

© SZ EXTRA vom 19.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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