Olympiadorf:An der Pinne

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Steuert das Giengener Rathaus an: Der Däne Henrik Vej-Nielsen will den Sitz im Bezirksausschuss mit dem Bürgermeisterstuhl tauschen. (Foto: Privat)

Henrik Vej-Nielsen, dänischer Staatsbürger und Anwohner im Olympiadorf, kandidiert für das Amt des Bürgermeisters von Giengen in Baden-Württemberg. Zöge er ins Rathaus ein, dann eventuell auf dem Einrad

Von Nicole Graner, Olympiadorf

Man muss schon zweimal hinsehen. Ist er das wirklich? Er ist es: Henrik Vej-Nielsen, bald 54, SPD-Mitglied im Bezirksausschuss Milbertshofen - Am Hart und dänischer Staatsbürger. Aber warum trägt er Anzug? Hemd mit Krawatte? Das ist ungewöhnlich, kennt man ihn normalerweise doch nur mit dezenten Karohemden und Jeans. "Ja", sagt er, "das stimmt. Ich bin eher lässig gekleidet." Außerdem seien in Dänemark Krawatten "völlig out". Es muss also einen triftigen Grund geben, warum der Lokalpolitiker auf den Fotos in feinem Zwirn abgebildet ist: Sie sind gemacht für politische Werbeplakate. Vej-Nielsen hat sich für das Amt des Bürgermeisters im baden-württembergischen Giengen an der Brenz beworben. Mit ihm stellen sich acht weitere Bewerber am 16. Juli zur Wahl. Und da, ja da ist ein Anzug schon mal zwingend.

Seit 2005 lebt der 53-Jährige mit seiner Familie im Olympiadorf. Warum ausgerechnet Giengen? Vej-Nielsen schmunzelt. Es ist ein lange Geschichte, die schon mal damit anfängt, dass sich seine Eltern 1961 in Italien verlieben: er ein Däne, sie aus Sontheim. 1963 wird geheiratet. Der Schnelldurchlauf: Es geht mit der Familie über Kopenhagen nach Allewind, von da nach Hürben - beide nahe bei Giengen an der Brenz. Und in Giengen macht Vej-Nielsen am Gymnasium 1983 das Abitur, trinkt mit seinem Schulleiter das erste Glas Sekt in seinem Leben.

Auf der Webseite, die seine Biografie erzählt und seine Ziele für Giengen öffentlich macht, ist auch ein Bild zu sehen, das Vej-Nielsen beim Segeln in Dänemark zeigt. An der Pinne. "Da sitze ich gerne", sagt er und lacht. Ein Bild, das vieles aussagt: Die Freude am Wasser, am Sport, und das durchaus auch den Wunsch ausdrückt, Steuermann zu sein. Klassensprecher, Jugendsprecher, Studentensprecher - passt in das Bild eines Steuermanns, der lenken, und gestalten will. Daheim - sein Vater ist Architekt, die Mutter Sozialpädagogin - wird viel diskutiert und sein klares Bekenntnis zur Sozialdemokratie liegt, wie Vej-Nielsen glaubt, an seinen dänischen Wurzeln. "Dänemark", so erklärt Vej-Nielsen, der 1963 in Kopenhagen geboren wurde, "ist sehr sozialdemokratisch geprägt". Diese Prägung wird zu seinem Credo. Er wird politisch aktiv in Giengen an der Brenz, studiert Politik in München, später noch Betriebswirtschaft. 1996 lässt er sich als EU-Kandidat für den Münchner Stadtrat aufstellen. Er arbeitet als Gebietsleiter bei der Mars GmbH und beim Königlich Dänischen Generalkonsulat München sowie für das Bayerische Wirtschaftsministerium. Das Wort "Europa" ist in seiner Biografie so etwas wie ein Leitfaden. Und jetzt also ein neues Ziel: Bürgermeister werden. In Baden- Württemberg kann er das als Däne. In Bayern nicht. Die doppelte Staatsbürgerschaft zu beantragen, war seitens Dänemark nicht möglich. Erst seit Ende 2015 kann man die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen. Das will Vej-Nielsen natürlich versuchen. "Ja", sagt der Kandidat aus Bayern, "Bürgermeister möchte ich sehr gerne werden." Nah am Bürger will er sein. Mit Herz und Verstand, wie es auf seiner Webseite heißt. Seinen Wahlkampf finanziert er selbst, Freunde helfen ihm. Unabhängigkeit ist ihm wichtig. Er kandidiert daher nicht für die SPD. Sein Wahlkampfbüro ist das Haus seiner Mutter in Hürben. Unzählige Wahlplakate lagern in der Garage. Und natürlich klebt der 53-Jährige sie selbst. Seit einigen Tagen hängen sie überall in Giengen.

Immer wieder spricht Vej-Nielsen von seinen Zielen, die er für Giengen erreichen will, so als ob er die Wahl schon längst gewonnen hätte. Das sei sie natürlich nicht, sagt er, aber er sei sehr zuversichtlich. Aus diesem Grund klingen seine Projekte, die er als Bürgermeister umsetzen will, schon sehr klar. Wichtig sei ihm zunächst ein gutes Miteinander mit den Menschen in seinem "kuscheligen Giengen", wie er die Kleinstadt mit ihren 20 000 Einwohnern liebevoll nennt. Und dass die Bürger stolz sein könnten, in Giengen zu leben, sagt er. Arbeitsplätze will er in der Region ausbauen und die Wirtschaft fördern. Da, so glaubt der Mann im hellblauen Karohemd, könne er mit seinen Kontakten nach Dänemark durchaus etwas bewirken.

Was passiert, wenn er am 16. Juli tatsächlich Bürgermeister wird? Zieht er aus seiner Wohnung im Olympiadorf aus? "Ja", sagt der bayrisch-dänische Kandidat, "klar, dann ziehe ich nach Giengen. Wohin sonst?" Zunächst allein und später mit der Familie. Die Tochter müsse in München ja noch Abitur machen. Auch der Bezirksausschuss Milbertshofen-Am Hart wird ohne den Mann auskommen müssen, der lieber schweigt als schwätzt. Lieber ernsthaft diskutiert und dann handelt. "Das Abwägen von verschiedenen Meinungen", sagt der noch 53-Jährige, "ist für mich Politik. Und das beste Argument sollte dann auch in die Tat umgesetzt werden."

Im Olympiadorf sieht man Henrik Vej-Nielsen oft mit seinem Einrad Runden drehen. Noch. Denn falls ein Umzug nach Giengen ansteht, ist das Rad mit Sicherheit dabei. "Ohne das fahre ich nicht", sagt Vej-Nielsen. Und so kann es durchaus sein, dass der neue Bürgermeister von Giengen mit dem Einrad ins Rathaus fährt. Aber dann mit Sicherheit nicht im Anzug.

© SZ vom 12.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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