Oktoberfest-Jobs im Test: Straßenreinigung:Mit dem Besen gegen die Wiesnsuppe

Lesezeit: 5 min

Morgens um sechs kommt langsam die Müdigkeit: Unterwegs mit Ilias Hatjilaskaris von der Straßenreinigung (Foto: Stephan Rumpf)

Nichts für Zimperliche: Wenn die Party vorbei ist, rücken auf dem Oktoberfest die Putztrupps an. Bis zu 15 Tonnen Müll produziert das größte Volksfest der Welt - täglich. Unsere Autorin hat eine Nacht lang bei der Münchner Stadtreinigung angeheuert und dabei einen kleinen Schatz gefunden.

Von Anna Fischhaber

Gute Wiesn-Gschichten bleiben gut. Wir haben die schönsten Texte der vergangenen Jahre aus dem Archiv gekramt. Der folgende Artikel erschien erstmals am 2. Oktober 2013.

Mitten im nächtlichen Getümmel spielt sich eine Art Hindernislauf ab. Aus der Bar am Haupteingang dröhnen Wiesnhits, einige Fahrgeschäfte leuchten grell. Arbeiter, bewaffnet mit Tupperdosen voller Essenreste, laufen nach Hause, Trachtler wanken ins Nirgendwo. Es ist bereits kurz nach halb drei Uhr morgens, doch das Oktoberfest schläft nicht. Zwischen Buden und Betrunkenen fahren nun Kehrmaschinen umher, säubern Putztrupps die Theresienwiese. "Wenn wir fertig sind, kann man hier vom Boden essen", hatte die Chefin der Münchner Straßenreinigung am Nachmittag versprochen. Noch sieht es nicht danach aus.

Reste von Regenschirmen und kaputte Maßkrüge bedecken den Boden, vermengt mit Zigarettenstummeln, abgenagten Hendlknochen und Brezen, die aussehen, als wären sie bereits verdaut worden. Dazwischen kleine Schätze: das Foto eines Mädchens in Dirndl, ein Ausweis, ein Ehering. Aus den Festzelten, in denen mit Gartenschlauch gereinigt wurde, läuft eine undefinierbare Brühe. "Wiesnsuppe" heißt das Gemisch bei der Straßenreinigung.

Oktoberfest-Kuriositäten
:Braucht's des?

Drogen-Tipps vom Wiesnwirt. Ein Handyaufladeautomat. Und ein "Wiesenpostamt" (sic!). Wir haben Kurioses rund um das Oktoberfest gesammelt.

Von SZ-Autoren

Was mich qualifiziert? Ich putze gerne

Wenn die letzte Maß ausgetrunken ist und die Menschenmassen die Festzelte geräumt haben, bleibt: Müll. Viel Müll. Bis zu 15 Tonnen produziert das größte Volksfest der Welt jeden Tag, am Ende der 16 Tage werden es bis zu 250 Tonnen sein. Jede Nacht säubert ein Putztrupp das etwa 34 Hektar große Gelände - schließlich gilt München als geradezu klinisch sauber und das Oktoberfest als Aushängeschild für Touristen. 150.000 Euro kostet das die Stadt. Geld, das auf die Standmiete umgelegt wird. Eine Nacht lang will ich helfen beim großen Reinemachen. Was mich qualifiziert? Ich putze gerne.

Als in dieser Nacht der Wecker um halb zwei Uhr morgens zum zehnten Mal klingelt, schaffe ich es, aufzustehen. Am Treffpunkt vor dem Schützenzelt steuert ein Franzose auf mich zu. Das Zelt hat inzwischen seit mehr als drei Stunden zu, doch er will noch eine Maß. Es dauert eine Weile, bis er verstanden hat, dass ich hier kein Bier verkaufe. Dabei trage ich nicht mal ein Dirndl.

Gespenstisch leer ist nur die Wiese neben der Bavaria, auf der tagsüber die Bierleichen wie kaputte Schiffe stranden. "Sie funktionieren wie ein Uhrwerk, irgendwann wachen sie auf und gehen nach Hause. Den Rest nimmt das Rote Kreuz mit", erklärt mir der Mann vom Sicherheitsdienst. Endlich kommt meine Arbeitskleidung. Eine Hose und eine Jacke in Signalorange, dazu Handschuhe, alles viel zu groß. Bei der Straßenreinigung in München arbeiten nur Männer, die einzige Frau ist die Chefin.

"Sauber - aber zu langsam"

An den Geruch gewöhne ich mich überraschend schnell - nur als mein neuer Kollege Tchenhin Kamshade Erbrochenes von einem Pfosten kratzt, muss ich mich wegdrehen. Der Mann ist für die Zeltstraße zuständig und eine Art Vorarbeiter unter den Wiesn-Kehrern, seit zwanzig Jahren lebt er in München, seit 14 Jahren arbeitet er hier. "Muskelkraft", sagt er, als ich frage, was man zum Kehren braucht. Er mustert mich. Kamshade ist nicht nur doppelt so groß, sondern auch doppelt so breit wie ich. Jede Nacht arbeitet er einen Besen durch.

Ein wenig Technik gehört zum Kehren natürlich auch. Das merke ich, als ich den Besen zum ersten Mal in Hand nehme, und Kamshade in Gelächter ausbricht. Später in dieser Nacht lerne ich: den Stiel mit einer Hand weit oben halten, den Schwung mit dem ganzen Körper mitnehmen. Doch da kann ich meine Arme schon nicht mehr fühlen. Am Ende ist Kamshade dennoch gnädig: "Sauber", sagt er zu dem Haufen, den ich ganz alleine ein paar Meter weiter geschoben habe. "Aber zu langsam."

Verdienst von Wiesnwirten
:Geldmaschine Oktoberfest

Das Wiesn-Prinzip ist schnell erklärt: Wir Gäste bezahlen mehr als zehn Euro pro Mass, damit der Festwirt reich wird. Aber wie hoch ist sein Gewinn nach 16 Tagen wirklich?

Von Katja Riedel

Auf der Theresienwiese muss es nachts schnell gehen: Erst wird der Müll mit Wasser fixiert, damit er nicht wegfliegt. Ein Wagen verspritzt 63.000 Liter, was etwa 450 Badewannenfüllungen entspricht. Dann fährt eine Kehrwalze über den Müll - sie soll die Scherben zerkleinern, damit die Reifen der Kehrmaschinen später heil bleiben. Acht Kehrer säubern die Ecken, dort wo die Maschinen nicht hinkommen. Die Müllsäcke sammelt ein Baggerwagen mit Fangarm ein. Damit dieses Zusammenspiel funktioniert, muss jeder Handgriff sitzen - nur vier Stunden hat der Putztrupp Zeit.

Zeitgleich werden Essen und Getränke geliefert, immer wieder muss ich beim Kehren zur Seite springen, an die vorgeschriebene Schrittgeschwindigkeit hält sich kaum ein Lastwagenfahrer. Für uns sind die Zelte nachts tabu - sie haben ihr eigenes Reinigungspersonal. Kamshade stört das nicht, er selbst war erst zweimal im Bierzelt, zum Mittagessen, abends muss er früh schlafen. Ein wenig wundersam findet er das Oktoberfest. "Bei uns in Togo gibt es so etwas nicht", sagt er. Er mag die Stimmung nachts, wenn die Fahrgeschäfte wie Raumschiffe leuchten. Und in den Gesichtern der letzten Gäste die Freude. Kamshade zeigt auf eine Truppe Trachtler.

Oktoberfest
:Welcher Wiesnhit ist das?

Emojis können alles, auch Bierzelt-Klassiker. Raten Sie mit.

"Wiesnvirus", nennt sein Chef die Begeisterung der Kehrer. Anders als für Bedienungen gibt es keinen Bonus, nur den üblichen Straßenkehrerlohn. Trotzdem ist der Job beliebt. Wer einmal auf dem Oktoberfest geputzt hat, meldet sich wieder. "Ich bin stolz darauf, Teil des größten Festes der Welt zu sein", sagt Ilias Hatjilaskaris, der seit acht Jahren dabei ist.

Eine Bremse gibt es nicht

Er hat als Kehrer angefangen, inzwischen hat er einen kleinen Bauch - und eine kleine Kehrmaschine, in die wir kaum zu Zweit passen. Dennoch braucht er einen Lkw-Führerschein. Und viel Geschick. Eine Bremse gibt es nicht, man kann nur auf Null schalten. Betrunkene machen sich einen Spaß daraus, den Kehrmaschinen hinterherzulaufen. Hatjilaskaris muss aufpassen: 1900 Umdrehungen macht seine Turbine in der Minute, wer da reingerät, hat wenig Chancen, zu überleben.

Wir machen in dieser Nacht so viele Drehungen und Wendungen, dass ich bald nicht mehr weiß, wo wir sind. Etwa 50 Kilometer fährt Hatjilaskaris jede Nacht. Eine Kamera filmt den Boden hinter uns, damit wir sehen können, ob wir alles aufsammeln. Manchmal müssen wir aussteigen und mit der Hand nachhelfen. Bei zu langen Holzstücken und harten Plastikdeckeln streikt der Sauger, die vielen Champagnerflaschen vor dem Käferzelt nimmt er dagegen ohne Ruckeln auf. Plötzlich blinkt etwas im Scheinwerferlicht zwischen den leeren Mandeltüten. Hatjilaskaris stoppt sofort den Wagen und steigt aus. Als zurückkommt, hält er einen Ehering in der Hand, Gold mit türkisem Stein.

Der Müll hat sich zu einer grauen Schlammmasse vermengt

Solche Schätze finden die Straßenkehrer nur selten. Vor den Putztrupps kommen die Flaschensammler - und mit ihnen die Schatzsucher. Hatjilaskaris hat vor ein paar Jahren eine Cartier-Uhr gefunden, 15.000 Euro war das limitierte Stück wert. Er hat sie beim Fundbüro abgegeben, die Straßenreiniger sind dazu verpflichtet. Einen Finderlohn bekam er nie, nicht einmal einen Dankesbrief. Ein paar Münzen sind ihm deshalb lieber, mit denen kann er den Kollegen später Brezen spendieren.

Plötzlich ruckelt es wieder, die Kehrmaschine ist inzwischen so schwer, dass wir kaum noch vorankommen. Im Bauch der Maschine hat sich der Müll zu einer grauen, stinkenden Schlammmasse vermengt. Vor einem Autoscooter laden wir ab. Hier warten bereits die Kollegen, jemand hat Kaffee geholt.

Die Zeltstraße, die wir eben noch geputzt haben, gehört nun wieder den Gästen. Noch ist es dunkel, doch um kurz vor sechs Uhr singt vor dem Hofbräuzelt bereits eine Gruppe Australier in Billigtracht, manche mit Bier in der Hand. Ein Mädchen lässt ihre Breze fallen, dreht sich weg. Dabei könnte sie jetzt sogar vom Boden essen.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

After-Wiesn-Partys
:Das Schlimmste kommt nach dem Bierzelt

Wer nach der fünften Mass noch nicht genug hat, feiert im After-Wiesn-Club weiter. Das endet auch mal zwischen Bunnyohren und Kotze im P1. Vom Versuch, den Wiesn-Wahnsinn noch zu steigern.

Reportage von Elisa Britzelmeier

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: