Oktoberfest:"Auf der Wiesn passiert alles auf einmal"

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Das Polizisten-Sextett ist auf dem Oktoberfest immer gemeinsam unterwegs, sammelt Missetäter ein - und Lob. (Foto: Johannes Simon)

Betrunkene Football-Spieler, Zechpreller und kollabierte Damen: Unterwegs mit einer Einsatzgruppe der Wiesnwache.

Von Martin Bernstein, München

"Den Gang freimachen, bitte! Wir müssen da jetzt durch . . ." Ein drei Zentner schwerer American-Football-Spieler ist eine logistische Herausforderung für die Mannschaft der Wiesnwache. Der sperrige Klient, mächtig alkoholisiert, hat gerade versucht, seine Mitinsassen in der Gewahrsamszelle zu malträtieren. Jetzt soll er in die Haftanstalt in der Ettstraße verlegt werden. Verlegt, buchstäblich. Doch wie bekommt man ein solches Trumm Mannsbild in den Transportbus zum Präsidium?

Klare Antwort in diesem Fall: gar nicht. Erst sträubt sich der Mann, dann verlassen ihn die letzten Kräfte - und dann stellt sich heraus, dass er nicht in das abgetrennte Abteil passt. Ein zweiter Bus muss her, ohne Trennwände. Einzeltransport für den müden Recken.

Derweil steht die Einsatzgruppe von Polizeikommissar Tim Bradtke im Stau. Solange der Hüne nicht ordnungsgemäß verstaut ist, geht an der Gefangenensammelstelle (Gesa) der Wiesnwache nichts weiter. Bradtkes Leute, vier Männer und eine Frau, alle bis auf einen von der Inspektion Schwabing, haben zwei Übeltäter abzuliefern.

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Zwei junge Männer aus dem Raum Frankfurt haben es offenbar für eine gute Idee gehalten, sich im Schützenfestzelt an einen reservierten Tisch auf dem Balkon zu setzen, dort das Brotzeitbrettl zu plündern und schon mal zwei Mass Bier zu kippen. Und dann die Zeche nicht zahlen zu wollen. Weil sie ebenso alkoholisiert wie renitent sind ("Seid ihr blöd?", schreit einer die Beamten an), hat Bradtkes Einsatzgruppe sie mitgenommen. Die Wiesnwache ist gleich ums Eck.

Dort beginnt dann die Standardprozedur. Die Delinquenten müssen alles abgeben, was sie bei sich haben, Handy, Ausweis, Schlüssel, Uhr, Kettchen. Das wird registriert und dann in Plastiktüten verpackt. Wenn sie - je nach Grad der Aggressivität und Alkoholisierung - in zwei, drei oder auch erst sechs Stunden wieder gehen dürfen, bekommen sie ihre Sachen zurück. Penibel schauen die Beamten drauf, dass alles abgegeben wird, womit ihre Kurzzeit-Logis-Gäste in einer der vier Gewahrsamszellen sich selbst oder anderen gefährlich werden könnten. Dazu zählen Gürtel, Hosenträger und Schnüre an der Beinkleidung.

Mit dem Ergebnis, dass dann jemand wie der Football-Riese im Suff schon mal Koordination und Hose verliert. Oder dass ein trotz hochroten Kopfes noch recht eloquent auftretender Gewahrsamsgast nur in Socken, Unterhose und Hemd Richtung Polizeibus schreitet. Bradtke und seine Leute kennen den Mann, zwei Stunden zuvor haben sie ihn selbst angeliefert. Es war ihr erster Fang des Abends. Irgendetwas war mit seinem Champagner nicht in Ordnung - zu kalt, falsches Glas, da gehen die Informationen auseinander -, jedenfalls hat das den Mann so empört, dass er einem Ordner eine gelangt hat. Weil er den Großteil des prickelnden Getränks schon intus hatte und entsprechend rabiat war, musste er mit auf die Wache.

Der Mann wird im Transportbus verstaut, er darf die Nacht in der Ettstraße verbringen. In den Zellen wird damit Platz frei für die Neuankömmlinge. Zwei Beamte hacken in die Computer, was die beiden Frankfurter angestellt haben, zwei andere begleiten die jungen Männer zum Fotografieren und zur Aufnahme in der Gesa, dann schließen sich die Zellentüren hinter den beiden Hessen. Bradtkes Einsatzgruppe kann endlich wieder los. Viel zu tun an diesem Abend.

Es gibt Ravioli, Salat und Joghurt: Polizeikommissar Tim Bradtke und seine Einsatzgruppe stärken sich, bevor es in eine lange Wiesn-Nacht geht. (Foto: Johannes Simon)

Und trotzdem: "Heute ist die Stimmung auf der Wiesn ganz gut", sagt Polizeiobermeisterin Sara Spankus. Gerade erzählt ihr während des Einsatzes hinter der Bräurosl ein junger Mann von seinem Liebeskummer, während die Beamtin versucht, mit einem Tuch eine kollabierte junge Frau vor den Blicken von Gaffern zu schützen und zwei Meter weiter ein Mann laut ruft: "Da ist mir dieser Typ voll ins Kreuz gesprungen. Ich will Anzeige erstatten." Auf der Wiesn, sagt Sara Spankus, erlebe man alles gleichzeitig. Am Tag zuvor sei aber alles viel aggressiver gewesen.

Ihr Kollege Patrick Desselberger, auch er Polizeiobermeister, ergänzt: "Und am Montag haben alle geweint." Warum das so ist? Darauf können sich die Beamten oft auch keinen rechten Reim machen. Doch sie kommen gerne, sagen sie. Sie alle haben sich für die zwei Wochen Wiesndienst freiwillig gemeldet. An diesem Donnerstag werden sie bis 1 Uhr nachts unterwegs sein. Den Mann, der dem anderen ins Kreuz sprang, nehmen sie mit zur Wache. Standardprozedur. Dann geht es wieder los.

"Jetzt könnte es lebhaft werden", kündigt Bradtke an. Bald ist Zapfenstreich in den Zelten. Die Einsatzgruppe marschiert über die Wirtsbudenstraße. Wenn sie stehenbleiben, zum Beispiel weil eine indische Familie fotografieren möchte, bilden die Beamten einen Kreis, Rücken an Rücken, um sich gegenseitig zu sichern. Es wird die ruhigste Runde dieser Nacht. "Die Wache hat gerade durchgegeben: Momentan null Einsätze auf dem kompletten Festgelände", sagt Tim Bradtke. Am nächsten Tag will er wieder auf die Wiesn. Dann privat. Es wird sein letzter freier Abend vorm Endspurt sein.

© SZ vom 01.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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