Öffentlicher Nahverkehr:Münchner Verkehrsprojekte in der Warteschleife

Münchner S-Bahn

Der zweite S-Bahn-Tunnel für München ist derzeit im Bau, er soll 2026 fertig sein. Bei anderen Verkehrsprojekten wird es noch länger dauern, bis sie realisiert werden.

(Foto: dpa)
  • Abgesehen von der zweiten S-Bahn-Stammstrecke geht beim Ausbau des Bahnverkehrs wenig voran, etwa beim Regionalzughalt an der Poccistraße oder dem Ringschluss zwischen Flughafen und Erding.
  • Ursache sind nach SZ-Informationen nicht fehlendes Geld, sondern es mangelt viel mehr an baureifen Plänen.
  • Auch die Abstimmung mit diversen Beteiligten, Genehmigungsverfahren und Bürgerbeteiligungen verzögern, dass Verkehrsprojekte bald angegangen werden.

Von Maximilian Gerl und Christian Krügel

Die zweite S-Bahn-Stammstrecke soll 2026 fertig sein. Doch der dringend notwendige weitere Ausbau des Bahnnetzes dürfte sich noch zwei Jahrzehnte hinziehen. Ein interner Entwurf des bayerischen Verkehrsministeriums für einen "Drei-Stufen-Plan" zum Bahnausbau von Ende Juni zeigt: Selbst seit Jahren befürwortete Projekte wie ein Ringschluss zwischen dem Flughafen und Erding, ein Regionalzughalt an der Poccistraße oder der Ausbau der S 4 nach Eichenau dürften erst weit nach 2026 fertig werden.

Ursache dafür ist nach SZ-Informationen nicht fehlendes Geld, es mangelt viel mehr an baureifen Plänen. Für die Hälfte der gewünschten Projekte haben konkrete Planungen noch nicht einmal begonnen - trotz jahrelanger Diskussionen darüber. "Wir haben fast nichts fertig in der Schublade liegen", heißt es aus dem Umfeld der Bahn.

Ende 2016 hatten sich Bund, Bahn und Freistaat auf den bis zu 3,8 Milliarden Euro teuren zweiten S-Bahn-Tunnel durch München geeinigt. Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte damals an, auch das übrige Bahnnetz in der Region zügig ausbauen zu wollen. Bis Ende Juli will er einen "Drei-Stufen-Plan" in Kabinett und Landtag vorlegen. Deshalb versuchen Ministerium, Baubehörden und die Bahn derzeit, einen konkreten Zeit- und Finanzierungsplan für eine lange Wunschliste an Projekten zu erstellen. Alle zusammen sollen die S-Bahn deutlich leistungsfähiger machen.

"Zeitfresser" Genehmigungsverfahren und Bürgerbeteiligung

Doch je konkreter Herrmanns Masterplan wird, desto deutlicher wird dabei auch: Zügig wird nur wenig gehen. Die Opposition im Landtag sieht sich bestätigt. Grünen-Abgeordneter Markus Ganserer sagt, nun werde offensichtlich, dass wegen des zweiten S-Bahntunnels "die nächsten 30 Jahre sämtliche Bundesfördermittel in München vergraben" wären. Und sein SPD-Kollege Herbert Kränzlein spricht schon jetzt von einer "Bankrotterklärung der bayerischen Verkehrspolitik".

Doch Geld ist wohl noch das geringere Problem. Das Verkehrsministerium verweist darauf, dass mittlerweile die Finanzierung für den Ausbau der S 4-West, der Sendlinger Spange und auch für den Erdinger Ringschluss stehe. Bei den Planungen liege man auch gar nicht so schlecht: Von den bisher geplanten 48 Maßnahmen für den Bahnausbau in der Region München seien "bereits die Hälfte an Maßnahmen in Planung" und auch schon Fachplaner beauftragt, heißt es aus dem Ministerium.

Das bedeute allerdings auch: "Da können morgen noch nicht die Bagger anrollen." Zudem stünden selbst bei diesen Projekten noch schwierige Umweltprüfungen, Bürgerbeteiligungen und nicht zuletzt Genehmigungsverfahren mit dem Eisenbahnbundesamt an - das seien "unvorhersehbare Zeitfresser". "50 Prozent, die parallel in Planung sind, sind wohl eine sehr beachtliche Zahl für Infrastrukturprojekte in der Größe", heißt es aus dem Ministerium.

Das sehen die Verkehrspolitiker im Landtag, auch in der CSU-Fraktion, ganz anders. Sie müssen jetzt erkennen: Trotz jahrzehntelanger Debatte über den Bahnausbau in der Region steht man bei der Hälfte der Projekte ganz am Anfang. Der Frust ist parteiübergreifend groß. "Mal hängt es an der Bahn, mal an der Stadt, mal an was anderem", sagt ein CSU-Abgeordneter. Viele sehen das Hauptproblem bei der Bahn, bei der es einen Planungsstau gebe. "Das dauert bei der Bahn ewig", sagt der CSU-Abgeordnete Eberhard Rotter aus dem Allgäu. Und selbst wenn der Freistaat finanziell in Vorleistungen gehe, wie etwa beim Ausbau der S 4, gehe kaum etwas voran.

Versäumnisse seit 1972

Kritik gibt es aber auch der Verkehrsgesellschaft der Stadt München: Sie habe lange Zeit zu sehr auf ihre Interesse geachtet, zu wenig gemeinsame Lösungen mit der Bahn im Blick gehabt - so etwa bei den derzeitigen Überlegungen für einen möglichen Regionalbahnhalt an der Poccistraße.

Bei der Bahn will man von einem Planungsstau nichts wissen. Die interne Abteilung arbeite mit Hochdruck an allen beauftragten Projekten, es würden auch externe Büros zur Verstärkung herangezogen. Solange aber nicht klar gewesen sei, ob der zweite Tunnel gebaut wird, sei die Arbeit an vielen anderen Projekten wenig sinnvoll gewesen. Zudem müsse bei allen Zeitplänen bedacht werden, dass der normale Verkehr weiterlaufen müsse. "Wir können nicht alles stilllegen, und ein paar Jahre in Ruhe bauen. Das muss nach und nach gehen", sagt ein Bahnsprecher. Und schließlich gebe es bei jedem Projekt eine Vielzahl von beteiligten Behörden, Kommunen und Bürgern mit sehr unterschiedlichen Interessen, die es erst auszugleichen gelte.

Das räumen die Verkehrspolitiker im Landtag auch ein. Und dennoch ist offen von jahrelangen Versäumnissen die Rede. Seit der Bahnreform 1996 ist die DB Netz für den Streckenausbau zuständig, die wiederum vom Bund beauftragt werden muss. Bund und Bahn hätten sich aber viel zu sehr um Großprojekte wie die Stammstrecke, viel zu wenig um kleine Maßnahmen gekümmert. "Wenn man ehrlich ist, ist seit 1972 in der Region nicht mehr viel passiert", sagt ein Verkehrsexperte.

Robert Niedergesäß, CSU-Landrat von Ebersberg, hatte als Sprecher der Landräte der MVV-Region im April deren Vision für das S-Bahnnetz 2050 vorgelegt - vieles dürfte tatsächlich so lange dauern. "Wir haben in den letzten Jahren aber vieles auf den Weg gebracht, das zuvor unmöglich erschien." Natürlich könne es nicht sofort die Lösung für alle Probleme geben, "wir sind nicht naiv", sagt Niedergesäß. Aber er fordert wie die CSU-Landtagsfraktion deutliche Nachbesserungen. "Wir machen aus dem Umland entsprechenden Druck. Positiv."

Und Eberhard Rotter kündigt an: "Der Drei-Stufen-Plan ist sicher noch nicht die endgültige Lösung." Aus dem Umfeld der Verkehrsbetriebe heißt es, Herrmann müsse deutlich ehrgeizigere Ziele vorgeben, um den wachsenden Verkehrsproblemen der Region gerecht zu werden. Tatsächlich wird im Innenministerium die Prioritätenliste derzeit weiter überarbeitet. Bei der Bahn ist man darauf gespannt: "Wir freuen uns, wenn in die Sache eine gewisse Dynamik kommt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: