Oberbürgermeister von München:Chef mit Kosenamen und ewigem Schnurrbart gesucht

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Zwischen weltläufig und bodenständig: Die Riege der fünf bisherigen Münchner Nachkriegs-Stadtoberhäupter eint nur wenig, zu unterschiedlich waren ihre Politikstile. Welche Eigenschaften sollte der nächste Oberbürgermeister haben? Ein Anforderungsprofil für Bewerber.

Peter Fahrenholz

Mit dem politischen Gedächtnis verhält es sich seltsam. Es ist meist viel flüchtiger als andere Erinnerungen. Während sich die meisten Menschen oft präzise an persönliche Ereignisse erinnern können, die lange Jahre zurückliegen, verschwimmen politische Begebenheiten und Daten nach einiger Zeit.

Christian Ude tritt nicht noch einmal als Oberbürgermeister von München an: Wer wird ihn beerben? (Foto: picture alliance / dpa)

Wer als Politiker nur kurz amtiert, wird schnell vergessen, wer dagegen lange im Amt ist, hat alle Chancen, als ewiger Regent verklärt zu werden, fast so, als habe es nie jemand anderen gegeben. Insofern werden viele bei der Frage nach dem idealen Münchner Oberbürgermeister ohne Zögern auf Christian Ude tippen.

Hat er nicht immer schon mit zwei knappen Schlägen das erste Fass Wiesn-Bier angezapft? Spricht nicht allein sein ewiger Schnauzbart dafür, dass er schon immer die Geschicke der Stadt gelenkt haben muss? Dabei ist die Frage nach dem idealen Münchner Oberbürgermeister ganz einfach zu beantworten: Es gibt ihn nicht.

Denn diese Rolle ist seit dem Krieg von insgesamt fünf Männern (wenn man den von den Amerikanern eingesetzten ersten Oberbürgermeister Karl Scharnagl, CSU, einmal weglässt) ganz unterschiedlich interpretiert und ausgefüllt worden. Und mindestens drei von ihnen galten den Zeitgenossen als die Verkörperung des idealen OB, einer konnte es zumindest an Popularität mit den anderen Dreien aufnehmen, und nur einer fiel ein wenig aus dem Rahmen - nach unten.

Die Münchner, die jenseits der 80 sind, erinnern sich noch voller Sentimentalität an Thomas Wimmer. Schon dessen Kosename "Wimmer-Dammerl" verrät, dass es sich um einen volkstümlichen, bodenständigen Typen gehandelt hat, der in den Nachkriegsjahren die Münchner Identifikationsfigur schlechthin war. Wimmer, ein gelernter Schreiner, verkörperte die Aufbruchszeit, sein Aufruf "Rama dama" zur Trümmerbeseitigung ist Legende geworden. Wimmer war der erste Münchner OB, der am 16. September 1950 mit dem Ruf "Ozapft is" das Oktoberfest eröffnete, eine Zeremonie, bei der seither jeder Münchner Oberbürgermeister ein gewisses Lampenfieber hat, auch wenn er es nicht zugeben mag.

Zu Wimmers Zeiten war München noch weit entfernt von einer weltläufigen Großstadt. Zugereiste, die es in jener Zeit nach München verschlug, können sich noch gut daran erinnern, dass sich die Auswahl in den Metzgereien der Stadt hauptsächlich auf Leberkäs, sowie hellen oder dunklen Presssack erstreckte.

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Dass man auch völlig ohne Volkstümlichkeit zum Volkstribunen aufsteigen konnte, bewies nach Wimmer der junge Hans-Jochen Vogel. Für die älteren Münchner, also etwa die jenseits der 70, ist der "Vogel-Hansi" der eigentliche ideale OB gewesen. Ein strenger Pedant, der gerne schon in der Früh um sieben zu Sitzungen einlud. Unter Vogel hat die Stadt jenen stürmischen Aufstieg genommen, von dem sie noch heute profitiert. Und sie hat auch jenen Glanz erhalten.

Hans-Jochen Vogel gilt inzwischen neben Helmut Schmidt als die zweite Ikone der SPD. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Vogel hat nicht nur die Wohnungsnot jener Jahre mit Großsiedlungen wie Neuperlach oder dem Hasenbergl lindern geholfen. Er hat mit der S- und der U-Bahn die Grundlagen für eine moderne Verkehrsinfrastruktur geschaffen. Und er hat die Olympischen Spiele nach München geholt. Vogel ist einer der wenigen Politiker, die erst eine glanzvolle Kür hingelegt und danach Jahre der Pflicht abgeleistet haben. Als Bundesjustizminister, als kurzzeitiger Regierender Bürgermeister von Berlin, als Kanzlerkandidat gegen Helmut Kohl, als Oppositionsführer in Bonn.

Heute ist Vogel, der im Alter spürbar milder, wenn auch nicht weniger präzise geworden ist, neben Helmut Schmidt die zweite Ikone der SPD.

Sein Nachfolger Georg Kronawitter konnte da nicht heranreichen, auch nicht an den Esprit seines eigenen Nachfolgers Christian Ude. Aber Kronawitter ist ein Beispiel dafür, dass man keineswegs eine großstädtische Erscheinung sein muss oder ein studierter Einserjurist, um ein populärer Münchner OB zu werden.

Kronawitter, der ebenso wie Wimmer aus kleinen Verhältnissen stammte, hatte sich als Agrarexperte im Landtag einen Namen gemacht, ehe er Münchner OB wurde. Und eine durchtriebene Bauernschläue hat ihn sein ganzes politisches Leben ausgezeichnet. Sonst hätte er kaum die politischen Wirren der Münchner SPD mit ihren ideologischen Grabenkämpfen überstanden und das Kunststück fertig gebracht, sein eigener Nachfolger zu werden.

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Wer Anfang 1984 über den einsamen Herrn lächelte, der in der Fußgängerzone Moosröschen an die Passanten verteilte, wurde bei der Kommunalwahl im Frühjahr eines Besseren belehrt. Kronawitter schaffte, was in Bayern nur sehr selten gelingt: Er vertrieb den Amtsinhaber Erich Kiesl (CSU) aus dem Rathaus.

Im Wahlkampf hatte Kiesl seinerzeit auch einmal die Frühschicht einer Münchner Fabrik beglückt. Die Arbeiter stapften mürrisch an ihm vorbei, bis ihm einer zurief: "Sie, der Kronawitter war fei scho da". Kronawitter mag nicht der glanzvollste OB der Münchner Geschichte gewesen sein, einen härteren Wahlkämpfer als den "Schorsch" hat es aber mit Sicherheit nicht gegeben.

Erich Kiesl ist in dieser Liste der Ausreißer. Nicht nur deshalb, weil er der einzige CSU-OB seit dem Krieg in München war. Kiesl, der in seiner Zeit als Innenstaatssekretär wegen seiner Vorliebe für Hubschrauber-Flüge den Beinamen "Propeller-Erich" trug, steht eher für eine unglückliche Episode der Stadtgeschichte. Mit einer Leutseligkeit, die immer eine Spur zu aufgekratzt war, verkörperte Kiesl einen Politiker-Typus, der irgendwie nicht recht zu München passen wollte.

Eher eine Art Vorstadt-Stenz, immer einen Tick zu großmäulig. Vielleicht ist es kein Wunder, dass Kiesl der einzige Münchner OB war, dessen Karriere unrühmlich endete. Von seinen eigenen Parteifreunden an den Rand gedrängt, ein mosernder Hinterbänkler im Landtag, geriet Kiesl zuletzt auch in juristische Strudel. Als Anfang 1998 der Gerichtsvollzieher zusammen mit Polizeibeamten bei Kiesl zu Hause auftauchte, um eine lang angemahnte Unterschrift für dessen Offenbarungseid zu erzwingen, verlor der in einer Weise die Contenance, die man von einem Münchner Alt-OB eher nicht erwartet.

Kiesl drohte den ungebetenen Gästen an, sie mit einem Messer abzustechen; neben diversen Kraftausdrücken entschlüpfte ihm damals die selbst für bayerische Verhältnisse kräftige Formulierung "verschissene Idiotenschnösel".

So etwas würde Christian Ude natürlich nie über die Lippen kommen. Ude ist der Mann für die Salons, die Personifizierung des weltläufigen, liberalen Münchens, wenn auch mit zum Teil monarchischen Allüren. Weit entfernt vom eher sparsamen Arbeitseifer seines Berliner Amtskollegen Klaus Wowereit, aber mindestens so präsent auf sämtlichen Bühnen der Stadt. Ude ist der eloquente Repräsentant einer hippen Stadt, die zwar auch ihre Sorgen hat, der es aber weit besser geht als vergleichbaren Metropolen.

Und der Nächste? Wird er auch ein idealer OB werden, oder nur ein Mann des Übergangs (eine Frau des Übergangs ist weniger wahrscheinlich)? Wie muss er beschaffen sein? Bodenständig wie Thomas Wimmer oder Georg Kronawitter? Voller Esprit und urbanem Lebensgefühl wie Christian Ude. Oder der brillante Architekt einer neuen Epoche wie Hans-Jochen Vogel?

Noch kann man weder bei Josef "Seppi" Schmid von der CSU noch bei seinem mutmaßlichen SPD-Gegner Dieter Reiter die Konturen klar erkennen.

© SZ vom 25.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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