Neuhausen:Schnittmuster fürs Leben

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Im Kreativquartier an der Schwere-Reiter-Straße absolvieren Flüchtlinge in der "Kuniri Akademie" zertifizierte Schneider-Kurse. Die Teilnehmer hoffen auf den Einstieg in den Arbeitsmarkt

Von Franziska Gerlach, Neuhausen

Eine Schere tanzt durch die Luft, gierig schnappt sie nach den Konturen eines Ärmels. Zentimeter um Zentimeter löst er sich aus dem Schnittbogen heraus. "Hinsetzen!", ruft Emine Çapartas. Für einen Augenblick klingt sie streng. Dann verflüchtigt sich die Strenge aus ihrer Stimme, und sie lächelt. Denn eigentlich ist Emine Çapartas eine Lehrerin der lieben Sorte. Und geduldig obendrein.

Die junge Frau, der die Verwarnung galt, setzt sich. Mit einem Blick, der sagt: Es wird nicht wieder vorkommen. Nach mehreren Wochen Nähkurs weiß die junge Somalierin natürlich, dass man im Stehen nicht schneiden sollte, weil die Konturen dann ungenau werden. Und was eine Schere ist, das weiß sie erst recht. Nicht nur, weil es davon in dem kleinen Raum im Kreativquartier an der Schwere-Reiter-Straße jede Menge gibt - sie hat es auch im Deutschkurs gelernt. Seit Mitte November kommen an drei Nachmittagen pro Woche die Teilnehmer der sogenannten "Kuniri-Akademie" zusammen. In Zusammenarbeit mit Hubert Burda Media und der Handwerkskammer bieten Eva Schatz, Viola Zimmer und Sophie Graber einen zertifizierten Schneiderkurs an: Das Angebot ist aus "Kuniri" hervorgegangen, einer von den Frauen gegründeten offenen Nähwerkstatt für Flüchtlinge - der Name ist Esperanto und bedeutet "gemeinsam gehen". In der "Kuniri-Akademie" haben an diesem kalten Winternachmittag sieben Frauen und drei Männer drei Stunden lang Unterricht im Nähen, anschließend lernen sie noch eine Stunde Deutsch. "Die Sprache ist ein Teil der beruflichen Integration", sagt Schatz. Ohne geht es schlichtweg nicht.

Amina Ali spricht schon recht flüssig. Die 36 Jahre alte Somalierin legt das Geodreieck an den Stoff, zeichnet die Linie nach. "Wenn der Kurs fertig ist, bekommen wir ein Zertifikat", sagt sie, "und das hilft uns vielleicht, eine Arbeit zu finden". Amina Ali hält den Saum ihres bodenlangen Kleids hoch. Dass sie inzwischen nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Nachbarinnen Kleider näht, gibt ihr Selbstvertrauen. Und vielleicht lässt sich das Nähen sogar zu einer Geschäftsidee ausbauen. Denn die Teppiche, die Ali aus ausgepolsterten Stoffresten fertigt, kommen richtig gut an bei den Münchnern. Rund und weich sind sie. Und so bunt wie die Gruppe selbst.

In der "Kuniri-Akademie" wird drei Stunden lang im Schneidern unterrichtet. Im Anschluss lernen die Teilnehmer noch eine Stunde lang Deutsch. (Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Dennoch gibt es natürlich ein offizielles Kurrikulum für den Kurs. Schneidermeisterin Çapartas hat es in Abstimmung mit der Handwerkskammer entwickelt. Die Teilnehmer lernen das Schneiderhandwerk von der Pike auf, am Ende soll jeder ein Oberteil und eine Hose selbst genäht haben. Zunächst aber mussten die Flüchtlinge verstehen, was eine Nahtzugabe ist, und dass man den Stoff zwischendrin immer wieder bügeln muss. Aber natürlich auch, wie man mit einem Schnittbogen umgeht. Die Grundlagen eben. Durch das gemeinsame Werkeln ist die Gruppe zusammengewachsen. "Die geben sich viel Mühe", sagt die Lehrerin. Auch mit der Sprache.

Wael Salameh kann noch nicht viel sagen auf Deutsch, vor anderthalb Jahren ist er mit seinem Sohn vor dem Krieg in Syrien nach München geflohen. Trotzdem zeigt er stolz her, was er am besten kann: sticken. Die Werkzeugtasche, die sich alle Kursteilnehmer selbst genäht haben, hat er mit Schmetterlingen und Blumen verziert. Und später, so erklärt er mit Händen und Füßen, möchte auch er Arbeit als Schneider finden. Der Markt, auf den die Flüchtlinge treffen werden, gilt als schwierig. Jobs sind rar, gut bezahlte erst recht. Eva Schatz und Viola Zimmer, die im Nebenraum Organisatorisches erledigen, kennen die Begebenheiten der Branche natürlich. "Wir verstehen uns als Schnittstelle zwischen dem Ankommen in Deutschland und der beruflichen Integration", sagt Schatz. Trotzdem kann die Münchnerin sich bei einigen Teilnehmern vorstellen, dass sie tatsächlich Fuß fassen werden in der Mode.

Gut drauf: Schneidermeisterin Emine Çapartas vermittelt die Grundlagen des Handwerks ebenso wie gute Laune. Streng ist sie nur, wenn es sein muss. (Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Vielleicht gelingt es den Kuniri-Gründerinnen ja sogar, ein eigenes Label aufzubauen. Oder eine kleine Produktionsstätte, in der die Flüchtlinge die Entwürfe lokaler Designer umsetzen. Dann könnten die Münchnerinnen manche beschäftigen. Und noch ein Stück gemeinsam gehen.

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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