Neuhausen:Widerstand und Gegenrede

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Aktionskünstler Wolfram Kastner plant ein Projekt am Platz der Freiheit. Doch nach seinem provokanten Eingriff an einem Soldaten-Denkmal misstraut ihm die Neuhauser CSU - und lädt ihn zum Rapport

Von Sonja Niesmann, Neuhausen

Wolfram Kastner provoziert gerne. An seiner jüngsten Aktion hat sich die CSU-Fraktion im Neuhauser Bezirksausschuss (BA) derart gestoßen, dass sie nun ein ganz anderes Vorhaben des Aktionskünstlers in Frage stellt: eine geplante Installation am Platz der Freiheit zum Gedenken an Widerstandskämpfer in der NS-Zeit. Der BA hatte das Projekt vor einem Jahr einstimmig begrüßt, vertagt die Entscheidung über einen Zuschuss von 6000 Euro jedoch seither immer wieder. Der Unterausschuss Kultur, der Themen in kleinerer Runde vorberät und abstimmt, bat Kastner also zu einer klärenden Aussprache. Die verlief, um es vorweg zu nehmen, weitgehend sachlich und konzentriert, auch wenn der Vorsitzende Leo Agerer (CSU) die Diskussion ausgerechnet mit den Worten "Feuer frei" eröffnete.

Im Februar hatte Kastner an einem Denkmal auf dem Bundeswehrgelände, das an die bayerische Eisenbahntruppe im Ersten Weltkrieg erinnert, fünf Buchstaben entfernt. Aus "Sie starben für Deutschlands Ruhm und Ehre" wurde " . . . für Deutschlands Unehre". "Das hat mich doch sehr irritiert", rügte Wolfgang Schwirz (CSU), "deshalb habe ich Zweifel, ob ich bei der Zustimmung für das Widerstandsprojekt bleiben kann." Für Kastner war diese Verknüpfung nicht ganz nachvollziehbar. "Ich arbeite an unterschiedlichen historischen Ereignissen und der Art, wie daran erinnert wird - oder auch nicht", entgegnete er. Seine jährliche Aktion am 10. Mai auf dem Königsplatz, die an die Bücherverbrennung durch die Nazis erinnert, sei etwas anderes als das Projekt "Weiße Koffer", das er 2013 in Neuhausen den deportierten und ermordeten Juden aus dem Viertel gewidmet hatte - und auch etwas anderes als das Gedenken an Widerstandskämpfer. Das Vorhaben auf dem Platz der Freiheit sei überdies kein "Projekt Kastner", sondern das eines Teams, dem zum Beispiel auch der von den Nazis verfolgte Ernst Grube angehört.

Er wolle auch keineswegs die Eisenbahner "von Opfern zu Tätern zu machen", wie ihm Sabine Nasko (CSU) vorgeworfen hatte, ihm gehe es um die "militaristischen Formulierungen" an dem Denkmal, das 1926 errichtet, nach dem Zweiten Weltkrieg entfernt und 1965 erneut aufgestellt wurde. Was Kastner angemessen findet, machte er in einer Nachfolgeaktion am Eisenbahner-Denkmal vor einigen Tagen deutlich. Er brachte eine Tafel an, auf der steht: "Wir trauern um alle, die im Weltkrieg 1914 - 1918 grausam und sinnlos ihr Leben verloren. Die Toten mahnen uns, mit allen Kräften für Frieden zu sorgen und Kriege zu verhindern." Nicken in der Runde - wer wollte schon etwas einwenden gegen solche Aussagen? Aber: "Die Art und Weise der Aktion ist falsch", insistierte Schwirz. Dem Vorwurf der Beschädigung, der Schändung eines Denkmals aus CSU-Reihen begegnete Kastner mit dem Hinweis, er habe zuvor in einem Schreiben an das Bundesverteidigungsministerium und an den hiesigen Standortkommandanten eine Änderung oder Ergänzung des Textes am Denkmal angeregt - vergeblich.

Kritik gibt es in der CSU-Fraktion zudem daran, dass unter den Widerstandskämpfern, die Kastner und seine Mitstreiter stellvertretend für viele andere ausgewählt haben, ein Deserteur ist: der 20-jährige Franz Fellner, der deshalb zum Tode verurteilt wurde. "Ließen sich nicht stärkere Beispiele des Widerstands finden?", wollte Agerer wissen. Für Kastner stehen die verschiedenen Formen von Widerstand gleichberechtigt nebeneinander - gleich, "ob jemand Flugblätter verteilte, den Hitlergruß verweigert hat oder desertiert ist". Mit dieser Meinung steht er nicht alleine da: Auch im NS-Dokumentationszentrum wird Franz Fellner als Widerstandskämpfer gewürdigt. 160 000 Männer seien in der NS-Zeit als Kriegsdienstverweigerer oder Fahnenflüchtige verurteilt worden, merkte Kastner an und im Jahr 2009 vom Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen rehabilitiert worden.

Für SPD-Fraktionssprecher Otmar Petz hat dieses Gespräch "Missinterpretationen" ausräumen können. Für die CSU aber erbat sich Leo Agerer noch einmal Bedenkzeit. Da das Baureferat im Herbst den Platz der Freiheit ansprechender gestalten will, kann die Installation ohnehin erst 2016 aufgebaut werden. Geklärt werden muss deshalb noch, ob formal ein neuer Zuschussantrag nötig ist. In der September-Sitzung soll die Entscheidung fallen.

© SZ vom 23.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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