Neuhausen:Ein Leben für Andere

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Seit 15 Jahren verkaufen Ursula und Günter Pilipp bei Benefiz-Flohmärkten Bücher für die Kindernothilfe - jetzt ist Schluss

Von Sonja Niesmann, Neuhausen

Tonnenweise Bücher haben sie in den vergangenen 15 Jahren geschleppt: in eine Garage in Neuhausen, die als Lagerraum dient; von der Garage zum Rotkreuzplatz, auf dem die Bücher fünfmal im Jahr auf einem Benefiz-Flohmarkt verkauft wurden. Jetzt aber geht dem Arbeitskreis München der Kindernothilfe buchstäblich die Kraft für dieses erfolgreiche Projekt aus. "Zwei Drittel der Mitglieder unserer Arbeitsgruppe sind älter als 70 Jahre, teils über 80", erzählt Uschi Pilipp, selbst 71. So sehr sie es bedauern: "Wir schaffen die Knochenarbeit einfach nicht mehr." Der Bücher-Flohmarkt am Samstag, 5. September, von 9 bis 15 Uhr am Rotkreuzplatz, wird der letzte unter der Regie der Kindernothilfe sein.

Verzichten müssen die vielen Stammkunden, die sich dort mit Lesestoff zu günstigen Preisen eindecken, auf ihren Nachschub nicht. Der Rotary Club München-Blutenburg wird die Restbestände übernehmen und auch den eingespielten Flohmarkt weiter als Benefiz-Aktion veranstalten. Einziger Unterschied: Die Rotarier werden mit dem Erlös aus dem Bücherverkauf Kinder in München unterstützen, während die Kindernothilfe ihre Einnahmen immer Projekten im Ausland gibt. Der Kreis um Uschi Pilipp und ihren Mann Günter wird sich leichteren Projekten - das ist wörtlich zu nehmen - zuwenden: Künftig wird auf Kunsthandwerks- und Weihnachtsmärkten Selbstgemachtes wie Wollwaren, Deko-Textilien, Lavendelsäckchen oder Kerzen angeboten. Denn dass die Kräfte fürs Herumwuchten von Bücherstapeln nachlassen, muss ja nicht das Ende jeglichen Engagements bedeuten.

Uschi Pilipp ist bereits seit 1988 ist Mitglied der Kindernothilfe. Als Prokuristin in einer Agentur für Kinowerbung hatte sie damals "ein bisschen Leerlauf, wollte etwas tun". Und als sie "einen faszinierenden Fernsehbeitrag" über die Arbeit des gemeinnützigen Vereins sah, wusste sie: Das ist es. Zwölf Jahre lang gehörte sie auch dem Verwaltungsrat des Hilfswerks an, das nach eigenen Angaben 1,8 Millionen Mädchen und Jungen in 29 Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas ein Leben in Würde und mit Zukunft, ohne Armut, Elend und Gewalt ermöglichen will. 799 Projekte betreut die Kindernothilfe weltweit, 140 davon haben sich Uschi Pilipp und ihr Mann angeschaut. Nicht "aus Misstrauen" gegen die Organisation, wie sie betont, sondern weil sie mit eigenen Augen sehen wollten, wohin das Geld fließt und was es bewirken kann. Ganz Südamerika, von Argentinien bis Mexiko, hat das Ehepaar bereist, auch Indien, Äthiopien, Uganda. "Projektreisen statt Urlaub", lacht die 71-Jährige. Die Eindrücke dieser Visiten waren "der Motor zum Weitermachen".

1992 hat sie den Arbeitskreis München der Kindernothilfe gegründet. Mit Tapeziertisch, Sonnenschirm, 20 Broschüren und "ganz viel Enthusiasmus" rückten die vier Gründungsmitglieder damals zu ihrem ersten Infostand am Rotkreuzplatz an; heute zählt die Gruppe mehr als 20 Mitglieder. Der Bücherflohmarkt ist seit dem Jahr 2000 ein elementarer Bestandteil ihrer Arbeit gewesen. Wie aber können 50 Cent für ein Taschenbuch, ein Euro für ein gebundenes Buch nennenswerte Beträge zur Unterstützung von Straßenkindern, Aidswaisen oder behinderten Kindern einbringen? "Die Masse macht's", sagt die Initiatorin stolz. 5000 bis 8000 Bücher hat der Arbeitskreis auf Lager, 2000 etwa finden bei jedem Flohmarkt ihre Käufer. "150 000 Euro haben wir in diesen 15 Jahren umgesetzt", bilanziert Uschi Pilipp. Und trotz der Masse kommt ihnen nur Qualität auf den Verkaufstisch, nichts Abgegriffenes, Zerfleddertes oder Kellermodriges. "Eure Bücher", so hat es einer ihrer Stammkunden einmal ausgedrückt, "kann man ins Bett mitnehmen".

© SZ vom 01.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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