Neue Räume:Einzigartige Kombination

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Der Verein für heilende Erziehung betreibt an der Ackermannstraße die Parzivâlschule, eine private Schule zur Lernförderung und eine heilpädagogische Tagesstätte. Jetzt wird die Erweiterung gefeiert

Von Ellen Draxel, Schwabing

Konstantin steht an der Werkbank und verleimt Bretter mithilfe von Schraubzwingen. Sie sollen einmal als Bodenplatte eines Häuschens dienen. Sein Lehrer Thomas Schütz, gelernter Schreinermeister mit sonderpädagogischer Zusatzausbildung, begutachtet die Arbeit und eilt dann zu Malte, der gerade mit einer Standbohrmaschine ein Loch in eine Kugel treibt. Die rollende Holzschildkröte, die der Schüler anschließend stolz präsentiert, hat er selbst gefertigt.

Es ist kurz vor Mittag, in der Parzivâlschule summt es wie in einem Bienenstock. Während die Erst- und Zweitklässler schon im Speisesaal sitzen und sich Salat, handgemachte Gnocchi und als Dessert Topfenkaiserschmarrn mit Apfelmus schmecken lassen, erklingt im Musikraum noch das Herbstlied "Hejo, spann den Wagen an". Vier Achtklässlerinnen intonieren mit ihrer Lehrerin Julia Kraushaar die Volksweise auf Orff-Instrumenten. "Ah, das klingt schön", schwärmt Andreas Loichinger. "Ich genieße dieses lebendige Treiben, wenn ich durch die Gänge spaziere."

Den individuellen Bedürfnissen angepasst: Im Musikraum der Parzivâlschule gibt es jetzt auch Bongos, Orff-Instrumente, Gitarren und einen Flügel. (Foto: Catherina Hess)

Loichinger ist Geschäftsführer des Vereins für heilende Erziehung. Der Verein betreibt an der Ackermannstraße 83 die Parzivâlschule, eine private Schule zur Lernförderung für Kinder von der ersten bis zur neunten Klasse, und das Michael-Haus, eine heilpädagogische Tagesstätte mit Platz für 45 Mädchen und Jungen. Beide Einrichtungen arbeiten auf Grundlage der Waldorfpädagogik - eine Kombination, die in Bayern einzigartig ist. Dabei kann Loichinger auf seinen Erkundungen durch das Schulhaus seit einigen Monaten mehr Meter zurücklegen als bisher. Denn im vergangenen Januar wurde der langersehnte zweite Gebäudeteil in Betrieb genommen. Es riecht noch förmlich nach Neubau, wenn man die Schwelle von Bau eins zu Bau zwei überschreitet.

Die Schule verfügt seitdem nicht mehr nur über eine helle Aula und großzügige Flure, um die sich pro Etage jeweils fünf Klassenzimmer gruppieren. Es gibt jetzt auch den Musikraum mit jeder Menge Bongos, Orff-Instrumenten, Gitarren und einem Flügel. Und den neuen Werkraum mit von der Decke herabhängenden Steckdosenwürfeln und diversen Werkzeugmaschinen. Seit der Verein 2012 von der Schleißheimer Straße an den Ackermannbogen gezogen ist, hatte Schütz mit seinen Schülern im Michael-Haus arbeiten müssen. Vom Umzug des Werkraums ins Schulhaus im Januar profitiert deshalb ebenfalls die Tagesstätte: Dort hat man nun wieder einen Bewegungsraum mehr.

Die Räume der Parzivâlschule spiegeln die anthroposophische Weltanschauung der Waldorfpädagogik wider. (Foto: Catherina Hess)

Noch nicht ganz fertig eingerichtet im Gebäude der Parzivâlschule sind ein neuer Computerraum mit 16 Arbeitsplätzen sowie der sogenannte PCB-Raum. Bis Ende des Jahres soll sich das aber ändern. Die Naturwissenschaften Physik, Chemie und Biologie, für die die Abkürzung PCB steht, mussten bislang in normalen Klassenzimmern unterrichtet werden, experimentieren war da eher schwierig. Künftig dürfen die Kinder dann selbst Versuche starten. Geplant sind zudem eine Bibliothek für Lehrer und eine für Schüler, letztere auch nutzbar als Entspannungsraum. Dort fehlen jedoch noch Regale, weshalb die Bücher noch eine Weile in Kartons ausharren müssen.

Die "größte Erleichterung" ist für Schulleiter Johannes Lell aber die neue Turnhalle. "In den vergangenen Jahren waren wir mit dem Sportunterricht zum Teil an vier verschiedenen Standorten, bis rauf nach Freimann." Froh ist der Rektor auch, nun drei eigene Räume und einen zusätzlichen Speiseraum für die etwa 60 Kinder zu haben, die die offene Ganztagsschule besuchen. "Kleinquerelen, ausgelöst durch das mehrfache Belegen von Zimmern, gehören damit der Vergangenheit an."

Insgesamt 180 Mädchen und Jungen besuchen täglich Schule und Tagesstätte. (Foto: Catherina Hess)

Ein Novum ist außerdem das "Kleine Klassenzimmer". In diesen Raum werden Schüler geschickt, wenn sie unter- oder überfordert sind und dann den Unterricht stören würden. Die rund 180 Schüler, die Tag für Tag in die Schule und Tagesstätte an der Ackermannstraße strömen, passen selten ins klassische Raster. Autisten sind darunter, junge Menschen mit ADHS, Frühchen, traumatisierte Schüler. "Bei mir kriegen sie einen warmen Tee, was zu knabbern und eine Beschäftigung", erklärt Lehrerin Christine Maletius. In dem neuen Zimmer dürfen die aufgewühlten Kinder mit Kreide an einer Wandtafel malen, sie können basteln, schreiben, sich ausruhen. Der Ort hat inzwischen viele Namen: Wärmenest, Trainingsraum, Förderort, Auszeitraum.

Räume sind an einer Waldorfschule besonders wichtig, sie spiegeln die anthroposophische Weltanschauung wider. In der Architektur der Parzivâlschule finden sich daher ungewöhnliche Details: Alle Zimmer etwa haben zu den Wänden hin abfallende Decken, sie sind nicht rechteckig. Dadurch wirken die Räume heimeliger, alles konzentriert sich auf den Unterricht. Um Ablenkungen von draußen zu vermeiden, fallen die Holzfenster verhältnismäßig klein aus. Zentral auch das Konzept des "Bewegten Klassenzimmers": Statt Stühlen stehen in diesen Zimmern Bänke im Kreis. Man kann sich auf sie setzen, man kann sie stapeln, umdrehen und auf ihnen balancieren.

Knapp 13,8 Millionen Euro an Kosten hatte der Verein für den Bau der Schule und des Michael-Hauses samt Grundstück errechnet, am Ende werden es wohl fünf bis sechs Prozent weniger sein. Wie viel davon der Träger übernehmen muss, ist noch nicht raus. Zu Baubeginn galt die Regelung 80 Prozent Förderung durch den Freistaat, 20 Prozent Eigenanteil für den Betreiber, finanziert unter anderem durch Schulgeld. Dann aber änderten sich vor zwei Jahren die Regularien für private Förderschulen: Von Mitte 2015 an sollten die Schulen zu hundert Prozent gefördert werden, dafür aber kein Schulgeld mehr verlangen dürfen. Die Krux für den Verein für heilende Erziehung an dieser an sich positiven Wendung: Mit dem zweiten Bauabschnitt wurde wenige Wochen vor dem Stichtag der Zuschuss-Änderung begonnen. Der Verein soll deshalb nach wie vor für die 20 Prozent Kosten selbst aufkommen, jedoch ohne die Querfinanzierung durch Schulgeld. Für den kleinen Verein ein dicker Brocken.

Gefeiert wird an der Ackermannstraße trotzdem. Am 6. Oktober finden ein Festakt zur offiziellen Eröffnung des zweiten Bauabschnittes mit geladenen Gästen und später eine Jubiläumsparty zum 21-jährigen Bestehen des Vereins statt. Und einen Tag später, am Samstag, 7. Oktober, sind alle Interessenten eingeladen, die Parzivâlschule und das Michael-Haus beim Tag der offenen Tür plus Herbstfest zwischen 10 und 14 Uhr näher kennenzulernen.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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