Täter von München:Amok im Kopf

Schütze

Der Schütze auf dem Parkdeck nahe dem Olympia-Einkaufszentrum.

(Foto: Screenshot)

Nach und nach ergibt sich ein zusammenhängendes Bild von David S., dem Schützen von München. Er war in stationärer psychiatrischer Behandlung und litt an Angststörungen.

Von Martin Schneider und Elisa Britzelmeier, München

Als die Polizei in der Nacht zum Samstag die Wohnung von David S. durchsucht, finden die Beamten ein Buch. "Amok im Kopf: Warum Schüler töten" heißt es, erschienen 2009 nach dem Amoklauf von Winnenden, bei dem ein 17-Jähriger an seiner früheren Realschule 15 Menschen und sich selbst tötete. Auf dem Cover des Buches sind drei Einschusslöcher abgebildet. Der Psychologe Peter Langman versucht darin zu erklären, warum junge Menschen eine Waffe in die Hand nehmen und auf andere Menschen schießen. David S. war so ein junger Mensch, 18 Jahre alt. Auch er hat eine Waffe genommen und auf Menschen geschossen.

In seiner Wohnung fanden die Ermittler noch Zeitungsartikel über Amokläufe und Texte zu Polizeieinsätzen nach solchen Vorfällen. David S. war nach Informationen der Süddeutschen Zeitung sogar selbst nach Winnenden gefahren, hatte sich dort umgesehen und Fotos gemacht.

Was die Polizei allerdings nicht fand: Hinweise auf den Islamischen Staat (IS), Hinweise auf einen terroristischen Akt.

Was David S. getan hat, kann man mittlerweile gut rekonstruieren: Mit einer Pistole, Typ Glock 17, 9 Millimeter, tötete er am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) und am benachbarten McDonald's neun Menschen und am Ende sich selbst. Seine Opfer waren fast ausschließlich junge Menschen: Drei waren 14 Jahre alt, zwei 15 Jahre alt, weitere Todesopfer waren 17, 19 und 20 Jahre, eine Tote war 45 Jahre alt.

Wie nun bekannt wurde, handelt es sich bei der Tatwaffe um eine reaktivierte ("reaptierte") Theaterpistole. Das erfuhr die Süddeutsche Zeitung aus Ermittlerkreisen. Das Beschusszeichen stammt von 2014. Danach war die Waffe nicht mehr scharf, allerdings wurde sie in der Folge wieder gebrauchsfähig gemacht. Die Waffe trägt ein Prüfzeichen aus der Slowakei.

Warum der Schüler die Tat beganngen hat, weiß man nicht, es gibt aber Puzzleteile, die sich langsam zu einem Bild zusammenfügen. S. wurde in München geboren und ist auch in München aufgewachsen, er besaß einen deutschen und einen iranischen Pass. Er wohnte in der Maxvorstadt zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder in einer Wohnung. Es ist ein gepflegter, relativ neuer Komplex in zentraler Lage, mit ruhigem Innenhof, darin ein paar Bäume, ein kleiner Spielplatz, Balkone. Einige der Wohnungen hier liegen im oberen Preisbereich, andere würden sozial gefördert, hieß es, als das Quartier vor ein paar Jahren geplant wurde. Im Erdgeschoss werden Luxusautos verkauft, daneben ein Café, eine Hausnummer weiter ein Bäcker und ein Supermarkt.

Ein stiller und angenehmer Mensch sei er gewesen, nebenbei soll er Zeitungen ausgetragen haben. "Man hat sich gegrüßt, sonst ist er nicht aufgefallen", sagte ein Anwohner. Die Familie war bei den Nachbarn beliebt, sie galt als bodenständig. Ein weiterer Anwohner erzählt, mit seinem Sohn habe er öfter S. jüngeren Bruder beim Fußballspielen im nahegelegenen Park getroffen. "Religion schien keine größere Rolle zu spielen in der Familie", sagt er.

Der Polizei war David S. nicht bekannt, zwei Einträge gibt es zu ihm aus den Jahren 2010 und 2012. Einmal wegen einer Auseinandersetzung mit anderen Jugendlichen, einmal wegen Diebstahls. Beide Male war S. der Geschädigte.

David S. war aber wohl in psychologischer Behandlung. Er habe möglicherweise eine Erkrankung "aus dem depressiven Formenkreis" gehabt, formulierte es Staatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch vorsichtig. Das würde ins Gesamtbild passen, sagte er. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sprach von Hinweisen auf eine "nicht unerhebliche psychische Störung". Herrmann deutete an, dass David S. wohl auch schulische Probleme hatte. Innenminister Thomas De Maizière sagte am Samstagnachmittag, der Täter habe kein religiöses Leben geführt. Es gebe Hinweise, dass er gemobbt worden sei. Am Sonntag wird klar: David S. befand sich im vergangenen Jahr zwei Monate in stationärer psychiatrischer Behandlung im Klinikum Harlaching und bis zuletzt in ambulanter Therapie. Er litt demnach an Angststörungen sowie unter sozialer Phobie und wurde medikamentös behandelt.

"Ich bin Deutscher, ich bin hier geboren worden"

Der Täter selbst sagte in einem Video, das ihn auf dem Parkplatz nahe dem Olympia-Einkaufszentrum in einer Auseinandersetzung mit einem Anwohner zeigt: "Ich bin Deutscher, ich bin hier geboren worden. Ich war in stationärer Behandlung." Und: "Wegen euch bin ich gemobbt worden sieben Jahre lang. Und jetzt musste ich mir eine Waffe kaufen, um euch alle abzuknallen." Die Polizei hält das Video für authentisch.

Es gibt Hinweise darauf, dass es keine spontane Tat von David S. war, sondern dass er sie länger geplant hatte. Der Polizei zufolge "spricht vieles dafür", dass der 18-Jährige mit einem ihren Erkenntnissen zufolge gehackten Facebook-Profil junge Menschen in den McDonald's am Olympia-Einkaufszentrum locken wollte. "Kommt heute um 16 Uhr Meggi am OEZ", stand in einem Facebook-Post einer "Selina Akim", der auf Stunden vor der Tat datiert war. "Ich spendiere euch was wenn ihr wollt aber nicht zu teuer." Die Nachricht erreichte vor allem junge Menschen und Schüler.

Das Profil wurde gesperrt, doch auf Screenshots ist zu erkennen, dass der Name von David S. schon am Freitagabend fiel, Stunden bevor die Münchner Polizei in der Nacht die Wohnung der Familie in der Maxvorstadt durchsucht hat. Auf dem Account wurden wiederholt Einladungen in das Fastfood-Restaurant gepostet; befreundet mit dem Account waren Dutzende Jugendliche - von denen allerdings einige schon vor der Gewalttat skeptisch reagierten und warnten. "Der Account ist fake, 100 % (...), der kerl ist psychisch gestört und will nur aufmerksamkeit", schrieb ein Nutzer, der frühzeitig in einem Facebook-Kommentar den Nachnamen von David S. als wahre Identität von "Selina Akim" nannte und laut eigener Aussage auch die Polizei informierte.

Die Leiche von David S. wurde gegen 20.30 Uhr gefunden, einen Kilometer entfernt vom Tatort. Eine Zivilstreife hatte ihn gestellt und auf ihn geschossen, allerdings nicht getroffen, so das Ergebnis der Obduktion. Die Eltern von David S., sagte die Polizei, seien noch nicht bereit für eine Befragung. Auch sie hätten ihr Kind verloren.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Beitrags hieß es, die Polizei hätte auf dem Rechner des Schützen auch das "Manifest" Breiviks, des Attentäters von Utoya und Oslo, gefunden. In diesem Punkt haben sich die Ermittler inzwischen korrigiert; dies entspreche nicht den Tatsachen.

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