Ausstellung zum Oktoberfest-Jubiläum:Das pralle Herz der Wiesn

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Vom bayerischen Nationalfest monarchischer Prägung zum globalen Bierrausch: Das Stadtmuseum zeigt eine opulente Ausstellung zu 200 Jahre Oktoberfest.

Hans Kratzer

Welch einen Spagat das Münchner Stadtmuseum mit seiner Ausstellung über die 200-jährige Geschichte des Oktoberfests meistern musste, das erahnt der Besucher bereits am Eingang, der erfüllt ist vom Grundrauschen der Wiesn: Das Publikum grölt und pfeift, dahinter die Kakophonie aus Blasmusik und scheppernden Maßkrügen. Ein Panoramafoto zeigt eine Traube von Jugendlichen vor einem Wiesnzelt.

Historisches Exponat bei der Oktoberfest-Ausstellung im Stadtmuseum: "Das Pferde-Rennen bey der Vermählungs Feyer" von Peter Heß aus dem ersten Wiesnjahr 1810. (Foto: Münchner Stadtmuseum/oh)

Direkt gegenüber, an der linken Wand des Durchgangs, ist ein Spruch des Kronprinzen Ludwig zu lesen, den er 1810 äußerte, nachdem ihm eine Münchner Deputation die Einladung für ein Pferderennen anlässlich seiner Hochzeit überbracht hatte: "Volksfeste freuen mich besonders. Sie sprechen den Nationalcharakter aus, der sich auf Kinder und Kindeskinder vererbt."

Die Bipolarität des Oktoberfestes ist bereits hier mit Händen zu greifen. Ludwigs hehrem Ziel der Festigung des Nationalcharakters steht der heute übliche Brauch des alkoholischen Vorglühens gegenüber. Dieser Spannungsbogen ist geschickt arrangiert, zwei kleine Klammern der Oktoberfestgeschichte reichen, um zu zeigen, wie ein von Bürgern initiiertes Volksfest als Huldigung für das bayerische Königshaus zum größten Volks- und Sauffest der Welt mutierte.

Das Stadtmuseum hat freilich nicht im Sinn gehabt, das Phänomen Oktoberfest nur vom exemplarischen Detail aus zu deuten. Nein, es hat dafür die Depots ausgeräumt, es ist ja fast ein Fluch, dass die Sammlungen des Museums zu diesem Thema so viel hergeben. Der Besucher bekommt unglaubliche Überraschungen zu sehen, aber schon in der zweiten Abteilung ist er schier erschlagen von den Objekten und Sensationen, geradeso, als käme er nach sechs Maß Bier und einer fetten Schokofrucht vom Italienerwochenende auf der Wiesn nach Hause.

Aber mit ihrer Fülle entspricht die Ausstellung hundertprozentig dem Prinzip der Wiesn: Sie ist maßlos, bunt, schrill, laut und eigentlich nur im bedudelten Zustand ganz zu begreifen.

Ausstellung zur Jubiläums-Wiesn
:Vom Kronprinz zum Glitzerdirndl

Das Stadtmuseum zeigt in einer Oktoberfest-Ausstellung Sehenswertes aus 200 Jahren Wiesn-Geschichte - und macht die immerwährende Skurillität des weltgrößten Volksfests greifbar.

Felicitas Kock

Florian Dering, der rein äußerlich selber einen hervorragenden Wiesnwirt darstellen würde, hat bereits die letzte Oktoberfest-Ausstellung vor 25 Jahren als Inszenierung gestaltet und die Münchner ein wenig provoziert, indem er zum Beispiel vom Plakat unter anderem Hitler und Lenin herunterglotzen ließ. Diesmal aber steigt er hinein ins pralle Herz der Wiesn, zeigt kein Bilderbuch, sondern echte Relikte, die in den vergangenen 200 Jahren Wiesngeschichte geschrieben haben.

Dabei kann der größte Schatz gar nicht im Museum gezeigt werden, nämlich das Gelände der Theresienwiese. Es ist wie ein Wunder, dass die Stadt das Fest nie verlegt hat, es wird immer noch auf dem gleichen Boden gefeiert, auf dem 1810 die Pferderennen zu Ehren des Kronprinzenpaares die Initialzündung für das Oktoberfest bildeten.

Exponate wie die Originalstandarten von 1810 und die Dirndl-Mini-Kleider von heute machen eindrucksvoll anschaulich, wie sich der Charakter des Festes verändert hat, wie das bayerische Nationalfest monarchischer Prägung zum globalen Bierfest mit bayerischer Anmutung wurde.

Auch in den Details gelingt der Ausstellung so manche Überraschung. Zum Beispiel ist ein Exemplar der Fliegenden Blätter von 1867 zu sehen, auf dem vermerkt ist, dass die Münchner zum Saufen auf die Wiesn hinaus gehen. Es ist ein erster Hinweis darauf, dass schon damals viel getrunken wurde. In den offiziellen Darstellungen wurde so etwas nie erwähnt.

Um 1900 begann der Wandel zum Bierfest, für das man nun riesige Festhallen brauchte. Plakate zeigen die ersten Selbstdarsteller, die bis heute die Promi-Zelte füllen. Der Wirt Georg Lang ließ schon anno 1898 Plakate und Postkarten mit seinem Konterfei anfertigen, was ihn zum Prototypen des geschäftstüchtigen Wiesnwirts werden ließ.

Dass er im Übrigen aus Nürnberg stammte, belegt, dass die Wiesn nicht ausschließlich eine urmünchnerische Besetzung hatte, wie heute gerne behauptet wird. Man will es den Ausstellern nicht unterstellen, aber es schaut so aus, als hätten sie die Ausstellung gerade mit Fleiß mit diesem kleinen Seitenhieb bereichert.

Verstärkte Aufmerksamkeit verdienen einige Gemälde. Da ist nicht einmal jenes Plakat mit dem Mammutzelt von 1913 gemeint, in dem sage und schreibe 15000 Menschen Platz fanden. Es war, als ob sich damals die alte monarchische Epoche der Wiesn ein letztes Mal aufbäumte.

Geradezu magisch wirkt Alfred Schwarzschilds Bildnis eines glücklichen Oktoberfest-Paars von 1928, das von einer eigenartigen Melancholie umhüllt ist, und nicht nur, weil der junge Mann einen Steckerlfisch wie ein Zepter hält, was so noch nie zu sehen war.

Die Nazis haben das Fest erstaunlicherweise nicht okkupiert, vielleicht, so vermutet Kurator Dering, weil Hitler kein Bier trank. Es gibt folglich wenige Exponate aus dieser Zeit.

Dafür machen einen andere Bilder und Szenen immer noch betroffen. Jene Aufnahme von Heinz Gebhardt etwa, die Ende September 1980 eine verwaiste Wiesn zeigt, nachdem ein Attentäter am Haupteingang eine Bombe gezündet hatte: Es gab viele Tote und Verletzte, das Oktoberfest war damals einen Tag lang geschlossen.

Heute werden die Zelte wegen Überfüllung geschlossen. Nicht nur hier wird evident, welch ein Rätsel diese Wiesn im Grund genommen ist. Am Ausgang der Ausstellung sitzt ein computergesteuerter Harlekin auf einem Stuhl und kringelt sich vor Lachen. Daneben läuft in einer Endlosschleife ein Video, auf dem OB Christian Ude alle fünf Sekunden verkündet: O'zapft is. Das Spektakel ist nach fünf Minuten nüchtern kaum noch auszuhalten. Wie die echte Wiesn halt.

Bis 31. Oktober, täglich 10 bis 20 Uhr, Telefon 089/233-22370.

© SZ vom 09.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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