München:Symphonie aus Glas

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Der Klang in Münchens Biergärten steht auf der Hitliste des internationalen Publikums ganz oben. Eine Hörprobe im Aumeister

Von Thomas Kronewiter

Ohne dieses ganz spezielle Gläserklirren, dieses permanente Geschirrklappern fehlte dem Münchner Sommer ein ganz entscheidender Sound. Der ist, wie so vieles, eine Mischung, ein Hintergrund-Klangteppich, aus dem sich gelegentlich einzelne Akustik-Elemente herausschälen lassen. Volltönend, wie es nun mal klingt, wenn zwei - oder gleich ein halbes Dutzend - Ein-Liter-Glashumpen aneinanderstoßen. Dazu wie in einer Endlosschleife das Klirren von Besteck auf Porzellantellern, das Scharren der Humpen auf der Edelstahl-Spüle, das Zischen, wenn Sprudel oder Bier aus den Zapfhähnen in die Gläser schäumen, das etwas andere Zischen von Steckerlfisch-Fett über glühender Holzkohle: So klingt es im Biergarten - in jedem Biergarten.

Der Versuch, den bekannten Münchner Trink- und Brotzeit-Oasen eine typische Klang-Signatur zuzuweisen, muss vor diesem Hintergrund eigentlich scheitern. Denn zwei Maßkrüge stoßen mit dem gleichen Geräusch am Chinesischen Turm wie im Michaeli-Garten zusammen, Besteck auf Tellern klingt im Hirschgarten genauso wie im Englischen Garten. Nur ganz besondere Lage-Merkmale machen feine Unterschiede hörbar. So fängt sich im Hofbräukeller-Biergarten am Wiener Platz wegen der eng stehenden Randbebauung der Biergarten-Sound wie auch der Geruch besonders intensiv, macht die vorüberfahrende Tram den Augustiner-Biergarten an der Arnulfstraße auch bei geschlossenen Augen unverwechselbar - gelegentliche Vibrationen inklusive, wenn die Tram ratternd an der Kreuzung Fahrt aufnimmt oder vor der roten Ampel scharf die Bremsen greifen.

Was allen Biergärten aber gleichermaßen zu ihrem Erfolg verhilft - beim Manager genauso wie beim Biersieder, bei den Angestellten wie der immer gut gelaunten Sport-Clique -, ist neben der oft beschriebenen Postkarten-Idylle unter schattigen Kastanien ein akustisches Phänomen. Denn wie im windstillen Auge eines Hurrikans sitzt der Gast auf seiner Bierbank inmitten eines Stimmen- und Klang-Vakuums, das ihm eine Privatheit garantiert wie sonst nur auf dem heimischen Balkon.

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(Foto: Robert Haas)

Gemütlich an der frischen Luft: Schon die Kleinsten haben im Biergarten ihren Spaß, wenn auch alkoholfrei.

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(Foto: Robert Haas)

Besonders an sonnigen Tagen ist der Andrang im Aumeister groß ebenso wie der Geschirrberg.

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(Foto: Robert Haas)

Für die Angestellten wie Melanie Jäkel ist es harte Arbeit,

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(Foto: Robert Haas)

...für die Selbstabholer gern getaner Weg.

Beispiel Wiener Platz. "Was bedeutet es mittelfristig . . .", "Keine Zeit mehr . . .", "Ich meine, früher war das . . ." - so klingt es, wenn man mit dem Tablett in der Hand durch die Reihen geht. Allenfalls Satzfetzen sind zu hören. Wollte man mehr erlauschen, man müsste stoppen, sich an die Stirnseite der Biertische stellen und selbst in das Palaver einmischen. Da das aber kaum jemand macht, wenn er die Plaudernden nicht gerade kennt, lassen sich im Biergarten-Klangvakuum selbst privateste Unterhaltungen nahezu ungestört führen. Vermutlich würden sich sogar die Lauschwerkzeuge weltweiter Nachrichtendienste schwer tun, Einzelstimmen zu filtern.

Das Personal hat es noch schwerer, einzelne Hör-Elemente aufzufangen. Zur Biergarten-Saisoneröffnung im Frühsommer, sagt Aumeister-Biergartenchef Josef Reinmoser, höre er noch an den ersten zwei oder drei Tischreihen den nahen, zu diesem Zeitpunkt noch unzureichend von Gebüsch und Baumkronen abgeschirmten Föhringer Ring. Spätestens am dritten oder vierten Tag aber sei das vorbei, obwohl zu diesem Zeitpunkt das Blattwerk noch nicht entscheidend zugelegt habe. "Ich hör's dann nimmer", sagt Reinmoser.

Melanie Jäkels akustischer Horizont reicht weit über ihre eineinhalb mal zwei Meter große Kabine hinaus, die sie sich mit einer Kollegin teilt. Die 26-jährige Tiermedizin-Studentin hat an der Kasse des Aumeister-Biergartens den für sie perfekten Sommerjob gefunden, mit Haupteinsatzzeiten am Wochenende, wenn sie Zeit hat. Sie hat das Weghören noch nicht so verinnerlicht wie ihr Chef, hört Gläser gegen Gläser klirren, Gläser dumpf auf Holz stoßen, das Martinshorn am nahen Ring, Stimmengewirr hinter dem Kassenhäuschen, das Schaben bloßer Füße auf Holzbänken, Hundebellen, Feuerzeuge klicken, Autos hupen, Tassen auf Untertassen klappern. Stress ist das inmitten des Biergarten-Gewusels für sie nicht, denn: "Das sind alles Freizeitgeräusche." Probleme macht ihr eher der trockene Mund. Nicht wegen des Redens, sondern weil sie vor lauter Kassieren selbst nicht mehr zum Trinken kommt.

"Zwölf Euro zehn bitte", Jäkel wendet sich dem nächsten Gast zu, "ein Tüchlein zum Abputzen?" Sie reicht ein zitronenfrisches Erfrischungstüchlein, das von Hendl-Genießern gerne zum Hendl genommen wird. Das viele Reden bei vollem Biergarten sei dann irgendwann schon anstrengend. Wiewohl: Wenn es dann ruhiger wird in den Abendstunden, wechselt sie gerne auch mal ein persönlicheres Wort mit den Gästen - weil's Spaß macht.

"Siebzehndreißig", wieder geht ein Erfrischungstüchlein geräuschlos über den Tresen. "Wo kann man denn sitzen, Mensch?" Der Satz kommt von einem beleibteren Gast, der sich zu orientieren versucht. Die Mutter mit ihren Kindern, eben mit den Tabletts an der Kasse vorbei, hat bereits den Siedepunkt erreicht: "Schmeiß' das Tablett nochmal so hin und wir gehen ans Auto, mein Gott."

Melanie Jäkel hört geübt weg, hat den Satz vielleicht auch tatsächlich nicht aufgefangen in ihrem den Lärm dämpfenden Kassenhäuschen. Je mehr Gäste, desto lauter das Hintergrund-Summen - bis hin zu den Musik-Acts, von denen in dieser Saison nicht nur einer wetterbedingt ausgefallen ist. Rund 1500 Gäste tummeln sich Samstag am späten Nachmittag im Aumeister, dazu ein Bewirtungs-Team, gut und gerne 30 Leute. Wenn die Cagey Strings spielen und auch noch ihre Fans mitbringen, wird es voll. Dann füllen auch mal etwas mehr als 3000 das Biergarten-Idyll . Dreimal hat Melanie Jäkel schon solch einen Abend in dieser Saison miterlebt. Auch Biergarten- Chef Reinmoser freut sich darauf, denn dann lohnt sich auch der Umsatz. Die Klang-Signatur des Aumeister-Biergartens - sie ist dann natürlich eine ganz andere.

Am Montag lesen Sie: Der Sound der Stadt in der Philharmonie im Gasteig

© SZ vom 20.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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