München:Stiller Hilferuf der Natur

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Späte Blüte: Robinien, Apfelbäume und Kastanien - wie hier im Hirschgarten - reagieren auf den heißen Sommer mit einem Austrieb im Herbst. (Foto: Robert Haas)

Überall im Stadtgebiet stehen Bäume ein zweites Mal in Blüte

Von Berthold Neff, München

Vertraut man dem Bauernkalender, verheißt es nichts Gutes, dass Apfelbäume, Robinien und Kastanien in diesen Tagen zu einer zweiten Blüte ansetzen. "Vor späten Baumblüten soll den Gärtner Gott behüten", lautet eine dieser Regeln. In der ganzen Stadt ist derzeit das seltene Phänomen zu beobachten, dass die Bäume mitten im Herbst erneut austreiben. Ob Kastanien im Hirschgarten, Robinien im Olympiapark oder Apfelbäume in Hadern - sie blühen wie einst im Mai. Warum sie es tun, ist nicht so ohne Weiteres zu klären. Für Martin Hänsel, Diplom-Volkswirt und stellvertretender Geschäftsführer des Umweltverbands Bund, ist der Fall klar: "Die Natur spielt nicht verrückt, vielmehr handelt es sich um einen Hilferuf der Bäume."

Unklar ist, was ihnen so zugesetzt hat, dass sie nun diese ungewöhnliche Reaktion zeigen. Ist eine Krankheit schuld daran oder ist es lediglich der überaus warme und trockene Sommer? Oder aber eine Kombination dieser beiden Faktoren? Tatsache ist, dass die Blüten vor allem an denjenigen Bäumen sprießen, die während des heißen Sommers einen Großteil ihrer Blätter verloren haben. Der Wassermangel ließ bei vielen Bäumen die Fotosynthese stocken.

Auch einige schädliche Pilze könnten ihren Teil dazu beitragen. Bei Apfelbäumen zum Beispiel hat der Apfelschorf zur Folge, dass die befallenen Blätter die Früchte nicht mehr ernähren können, Blätter und Äpfel gleichermaßen fallen ab. Dem Baum kommt das Zeitgefühl abhanden, er überspringt den Winter und wähnt sich plötzlich mitten im Herbst schon im nächsten Frühling. Meteorologen nehmen an, dass auch die aktuelle Wetterlage dieses Phänomen begünstigt hat und den Bäumen den Eindruck vermittelte, der Mai sei gekommen: Die Tage sind kürzer geworden, die Temperaturen tagsüber recht mild und der Boden ist einigermaßen feucht.

Bei den Kastanien ist es die Miniermotte, die den Bäumen zusetzt. Sie frisst sich durch die Blätter und lässt sie schon im Frühsommer herbstlich verwelkt aussehen. Kommt noch die Dürre hinzu, ist ein massiver Laubabfall die Folge; die Fotosynthese, die dem Baum das Überleben sichert, gerät ins Stocken. Durch die Herbstblüte laufen die Bäume allerdings Gefahr, im kommenden Jahr viel weniger Blütenknospen zu entwickeln, die Ernte fällt geringer aus. Es hat jedoch schon Jahre gegeben, da blühten die Bäume noch später im Jahr. Eine Bauernregel gibt es auch dafür: "Baumblüt' im November gar, noch nie ein gutes Zeichen war."

© SZ vom 06.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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