München:Solidarisch mit Senioren

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Damit ältere Menschen auch nach Sanierung und Mieterhöhung weiter in ihrer gewohnten Umgebung leben können, schlägt die SPD-Politikerin Angelika Dörrie die Einführung eines "Wohngeld II" vor

Von Hubert Grundner, Obergiesing

Wenn der frühere Vorsitzende des Bezirksausschusses (BA) 17 Obergiesing-Fasangarten beschreiben wollte, wohin sich der Stadtbezirk bewegt, sagte Horst Walter (SPD) gerne: "Giesing wird jünger, moderner, attraktiver - und teurer." Diese Formel hat bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Wobei sie gerade durch das nicht Gesagte, aber deutlich Mitschwingende überzeugt: Gerade ältere Menschen mit bescheidener Rente bleiben beim Verdrängungsprozess, der "Gentrifizierung" auf der Strecke. Wer wissen will, wie und wo das geschieht, muss nur die Augen aufmachen - aktuell zum Beispiel an der Edelweißstraße, St.-Bonifatius-Straße oder Kesselbergstraße. Sobald die Sanierung und/oder Umwandlung in Eigentumswohnungen abgeschlossen ist, wird Giesing wieder ein bisschen schicker sein - und einige alte Menschen werden ihr langjähriges Heim verloren haben.

Diesen scheinbar unaufhaltsamen Mechanismus, der ja stadtweit zu beobachten ist, will Angelika Dörrie nicht länger tatenlos hinnehmen. Im BA 17, in dem sie als Mitglied der SPD-Fraktion und als Mieterbeirätin sitzt, brachte sie am Dienstag den Antrag auf ein "Wohngeld II" für angestammte Quartiersbewohner ein. Ein Vorschlag, für den Dörrie die Zustimmung und Anerkennung aller Fraktionen erntete. So wird jetzt die Stadtverwaltung aufgefordert, ein gesondertes Budget "Wohngeld II" als kommunales Instrument für betagte Bürgerinnen und Bürger dauerhaft einzurichten. Als mögliche Kriterien bei der Vergabe dieses Wohngeldes II schlägt Dörrie vor, dass es an Menschen geht, die älter als 55 Jahre sind und mindestens zehn Jahre in ihrem Stadtteil leben, die nach einem Eigentümerwechsel durch zu Recht erhobene Mehrkosten infolge von Sanierung/Modernisierung betroffen sind und darüber hinaus mehr als 40 Prozent des Haushaltseinkommens für die monatliche Brutto-Miete aufwenden müssen. Bei Einzelhaushalten könnte die Beihilfe bis zu einer Wohnfläche von 60 Quadratmetern gewährt werden, wird in dem Antrag außerdem vorgeschlagen.

Ihre Initiative begründet Dörrie mit der leidlich bekannten Ausgangslage: ein angespannter Wohnungsmarkt in Kombination mit den zunehmenden Interessen privater Investoren und in der Regel notwendiger Sanierungs-/Modernisierungsmaßnahmen. Besonders hart seien davon gerade ältere Mieter betroffen, wenn sie aufgrund ihres schmalen Geldbeutels Mieterhöhungen nicht mehr bezahlen können und zugleich auf dem freien Wohnungsmarkt keinen bezahlbaren Wohnraum finden. Hinzu komme, dass sie wegen ihres Alters bei manchen Vermietern von vorneherein ausscheiden.

Die Erfahrung, die nicht nur Dörrie gemacht hat, ist nun folgende: Eine erhebliche Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern werden aus dieser Notsituation heraus verfrüht zum Beispiel im Betreuten Wohnen, in Altersheimen oder ähnlichen Einrichtungen untergebracht. Und das, obwohl ein selbstbestimmtes Leben im eigenen Haushalt durchaus über viele Jahre noch möglich wäre. Von den seelischen Wunden, die gerade den Älteren geschlagen werden, die ihre Wohnungen oftmals nach Jahrzehnten zwangsweise verlassen müssen, ganz zu schweigen. Dörries Augenmerk liegt stattdessen auf dem finanziellen Aspekt, weshalb es im Antrag heißt: "Entscheidend ist auf der Sachebene, dass die Solidargemeinschaften über viele Jahre mit erheblichen Mehrkosten für die Unterbringung in Betreuungseinrichtungen belastet werden, während ein sogenanntes Wohngeld II lediglich bei 300 bis 400 Euro pro Monat liegen würde." Die im Antrag geforderte Toleranzgrenze bis 60 Quadratmeter für Einzelhaushalte, so erklärt Dörrie, begründe sich in der häufig ungünstigen Raumaufteilung in älteren Mietshäusern - bei mehr als 60 Quadratmetern wäre mit Unterstützung des Amtes für Wohnen und Migration gegebenenfalls ein Wohnungstausch im Stadtbezirk denkbar. "Im Ergebnis ist das Wohngeld II ein zusätzliches Instrumentarium der kommunalen Wohnungswirtschaft, um die finanziellen und psychosozialen Belastungen des betroffenen Personenkreises abzumildern." Zudem wirke dieses Instrument der zunehmenden Gentrifizierung in betroffenen Stadtbezirken entgegen, da es angestammten Quartiersbewohnern einen Verbleib gewohnter Umgebung ermögliche.

Von diesen Argumenten ließen sich ausnahmslos alle Mitglieder im BA 17 überzeugen und beschlossen den Antrag. Doch damit nicht genug: Sie messen ihm angesichts der äußerst angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt so große Bedeutung zu, dass sie ihn jetzt auch allen anderen Münchner Bezirksausschüssen zur Abstimmung zukommen lassen.

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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