München:Sing mir ein trauriges Lied

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Die Schriftsteller Joseph Roth und Soma Morgenstern verband eine lebenslange Freundschaft. Beide waren Juden aus Galizien, beide mussten vor den Nazis fliehen. Eine Ausstellung im Sudetendeutschen Haus folgt ihrem Weg ins Exil

Von Jutta Czeguhn

Ende der Zwanzigerjahre, zwei Männer spazieren Seite an Seite durch einen Park bei Wien. Sie bleiben stehen, der eine bittet den anderen, ihm ein Lied aus der Heimat zu singen. Die Melodie, die jiddischen Worte bewegen ihn zutiefst, er weint. Auch der Sänger ist ergriffen, er versucht, die Melancholie zu vertreiben mit einem Zitat Rabbi Nachmans von Brazlaw: "Böse Menschen lieben traurige Lieder." Der Spruch scheint verlässlich zu wirken. "So", lächelt der Freund durch seine Tränen hindurch, "ich gehöre dazu!"

Soma Morgenstern erzählt diese Episode in seinen Memoiren "Joseph Roths Flucht und Ende", posthum erschienen 1994. Er erinnert an eine Freundschaft, die über mehr als zwei bewegte Jahrzehnte trug. Bis sich der eine - Roth - zu Grunde soff und im Mai 1939 in einem Pariser Armenhospital elendig verreckte. Morgensterns Roth-Buch war auch Inspiration für eine Ausstellung, die jetzt in der Alfred-Kubin-Galerie im Sudetendeutschen Haus zu sehen ist. "So wurde ihnen Flucht zur Heimat" lautet der Titel der Schau. Präsentiert wird die Ausstellung vom Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek in Kooperation mit dem Adalbert-Stifter-Verein. Vernissage an der Hochstraße 8 ist am Dienstag, 6. Oktober, 19 Uhr.

Flucht, die zur Heimat wurde. Belege für diese These bleibt die Ausstellung letztlich schuldig. Gerade Joseph Roth, der ein Leben aus dem Koffer in Hotelzimmern führte, hat seinem Traum von Heimat - von der untergegangenen Donau-Monarchie - verzweifelt hinterher geschrieben. Der Innere Ring Wiens schien ihm, dem jüdischen Poeten aus Galizien, Paradies. Als Flüchtling in Paris hütet er seine Wien-Wehmut wie eine "Art Reliquie". So hat er es beschrieben. Joseph Roth scheitert am Exil, im vollen Bewusstsein seiner vom Alkohol betäubten Seele. Er gehört zu jenen, die wie Lots Frau zurückblickten - und vom Schmerz über das Verlorene aufgefressen wurden.

Das Pariser Café Le Tournon war Treffpunkt der Emigranten, Joseph Roth (Mitte) und Soma Morgenstern (rechts) wohnten im Hotel darüber. (Foto: Veranstalter)

Was diese Ausstellung zu einer Entdeckung macht, ist die Art, wie sie ungeschwätzig und exakt das Leben zweier Menschen dokumentiert, die sich immer wieder treffen, trennen, treffen, trennen. Soma Morgenstern ist dabei nicht das Beiwagerl für den heute so viel berühmteren Freund. Die Wiener Kuratoren Heinz Lunzer und seine Frau Victoria Lunzer-Talos sowie Sylvia Asmus vom Frankfurter Exilarchiv lassen die beiden Schriftsteller synchron nebeneinander herlaufen. Sie stützen sich großteils auf Morgensterns umfangreichen Nachlass, den sein Sohn Dan dem Exilarchiv 1996 übergeben hat. Erhalten sind Fotografien, Manuskripte, Tagebücher und Briefe, etwa an Siegfried Kracauer oder von Stefan Zweig, einem anderen Verzweifelten, der wie Roth Wien als Phantomschmerz in sich trug.

Das Plakat zur Ausstellung zeigt die Freunde um das Jahr 1938 im Pariser Café "Le Tournon", über dem sie in einem billigen Hotel wohnten. Roth, damals gerade mal 43 Jahre alt, sieht aus wie ein vertrunkener Greis. Morgenstern wirkt um einiges jünger, dabei ist er der Ältere. Beide stammen aus der östlichsten Ecke des Habsburger Reiches, in der die jüdische Minderheit zu keiner Zeit frei von Unterdrückung war. Ihre Vernichtung aber stand noch bevor. Kennengelernt haben sie sich wohl im Winter 1913, als sie in Lemberg studierten. Roth wurde im ostgalizischen Brody geboren. Er wächst überbehütet von seiner alleinerziehenden Mutter auf, den Vater fabuliert er sich zusammen. Rollenspiele, die er später mit der eigenen Biografie fortsetzen wird. Morgenstern kam aus Budzanów, sein Elternhaus war chassidisch und liebevoll. Für beide führt der Weg aus Armut und Enge über die Bildung, sie sind lesehungrige, eifrige Schüler, von Lemberg aus wechseln sie zum Studium nach Wien.

Der Kontakt reißt auch in den Jahren des Militärdienstes und nach dem Ersten Weltkrieg nicht ab. Schreiben bestimmt das Leben der beiden, die Kaffeehäuser und Bars von Wien und Berlin sind ihr Arbeitsplatz. Beide werden Korrespondenten für die "Frankfurter Zeitung". Roths Karriere als Starjournalist und Schriftsteller nimmt in den Zwischenkriegsjahren Fahrt auf. In rascher Folge entstehen die großen Romane wie "Das Spinnennetz" oder "Hotel Savoy", "Hiob" oder "Radetzkymarsch". Bei Morgenstern läuft es nicht ganz so glatt.

Soma Morgensterns "Récépissé de demande de carte d'identité", die Flüchtlingen anstelle eines Ausweises bekamen. Er konnte 1941 in die USA fliehen. (Foto: Veranstalter)

Für Joseph Roth ist Paris seit 1933 Fluchtpunkt - nicht Heimat. In Deutschland kann er nicht mehr publizieren, nicht existieren. Texte, schneidende Abrechnungen mit Hitler, erscheinen nun in diversen Exilmedien und sichern ihm ein Einkommen. Doch die Geldnot ist drückend, auch weil er für die Pflege seiner psychisch kranken Ehefrau Frieda aufkommen muss, die später dem NS-Euthanasieprogramm zum Opfer fallen wird. Auch Soma Morgenstern schlägt sich seit 1934 mehr schlecht als recht durch. Als Nazi-Deutschland 1938 Österreich annektiert, entkommt auch er nach Paris, wo er auf seinen alten, von der Alkoholsucht schwer gezeichneten Freund Roth trifft und erschrickt: "Mein Herz vergibt es mir nicht, dass ich es so aufschreibe, er sah aus wie ein 60-jähriger Säufer." Beide wohnen nun im Hôtel de la Poste über dem Café de Tournon. Die politische Lage spitzt sich zu, Morgenstern droht die Ausweisung aus Paris. Überliefert sind Bittbriefe Roths, unter anderem an Stefan Zweig, der sich für die Einreise seines Freundes in die Vereinigten Staaten einsetzen soll. Erst 1941 wird dies Morgenstern gelingen. Die Dokumente, die sein Sohn Dan dem Exilarchiv vermacht hat, belegen, wie schwer er bis zu seinem Tod 1976 in New York an der Last trug, Zeuge zu sein für eine Welt und Gesellschaft, die "mit bisher unbekannter Wut und Gründlichkeit zerstört wurden". In seinen Erinnerungen notiert Morgenstern, wie er mit Roth kurz vor dessen Tod wieder spazieren ging, diesmal im Jardin du Luxembourg. Der Todkranke bat den Freund, noch einmal jenes jiddische Lied von damals zu singen. Soma Morgenstern beschreibt die Szene wie einen Abschied: "Mit beiden Händen auf seinen Stock gestützt, gesenkten Kopfes, hörte er zu, dann schwieg er eine lange Zeit, und ich sah, wie seine Tränen auf seine bleichen Finger fielen. Mir stockte der Atem, ich hatte Roth in nüchternem Zustand noch nie offen weinen sehen. Es war das letzten Mal, dass ich ihm ein Lied gesungen habe."

"So wurde ihnen Flucht zur Heimat", Sudetendeutsches Haus, Hochstraße 8, bis zum 7. November. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 9 bis 19 Uhr, an Feiertagen geschlossen. Näheres zu Führungen und Begleitprogramm: www.stifterverein.de.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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