München:Neuland im Norden

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Das Umschwenken auf ein kooperatives Siedlungsmodell soll die Eigentümer der Grundstücke stärker beteiligen. Dennoch behält sich die Stadt Vorkaufsrechte vor - und will gegebenenfalls nur den Verkehrswert bezahlen

Von Simon Schramm

Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) Nord mag beerdigt sein - ihr Vorhaben, im Münchner Norden ein neues Wohnquartier zu bauen, hat die Stadt nicht aufgegeben. Im Gegenteil, das Planungsreferat bereitet so ambitioniert wie bisher ein Verfahren vor, das sie "Kooperatives Stadtentwicklungsmodell" nennt. Die Vollversammlung des Stadtrats hat am Mittwoch gegen die Stimmen der Grünen- und der Linken-Fraktion den neuen Plan auf dem Weg gebracht. "Wir setzen darauf, dass die Bebauung mit diesem kooperativen Modell ohne Streit abgeht", sagte SPD-Fraktionschef Alexander Reissl im Hinblick auf die massiven Proteste im Norden gegen die SEM. Neu entfacht ist nun die Diskussion, wie Gewinne und Kosten der künftigen Bebauung verteilt werden sollen. Und auch ohne SEM will die Stadt es schaffen, spekulative Geschäfte mit den Grundstücken im Norden der Stadt zu verhindern.

Bisher hatte die Stadt signalisiert, dass sie trotz der Entwicklung im Norden zumindest im nordöstlichen Siedlungsgebiet an der dort ebenfalls geplanten SEM festhält. Offenbar ist aber auch dort ein Umschwenken denkbar: Dem Beschlusspapier zufolge will das Planungsreferat in Gesprächen ausloten, ob auch im Nordosten "eine kooperative Entwicklung erfolgversprechend sein könnte". Dass die SEM Ost nun auch im Feuer steht, bezeichnete Stadträtin Katrin Habenschaden (Grüne) als "Brand", der mit dem Fall der SEM Nord "mitentfacht wurde".

Einig waren sich die Stadträte, dass eine Bebauung des Nordens auch größere Infrastrukturprojekte voraussetzt, eine neue U-Bahn zum Beispiel. Aber wer zahlt's? Bei einer SEM hätte die Stadt Gewinne einer Bebauung und anfallende Kosten wie folgt verteilt: Erst wenn infolge eines SEM-Verfahrens Flächen zu Bauland werden, entsteht ein Gewinn, aus dem die Stadt die Kosten der Bebauung deckt, vor allem für größere Maßnahmen. Was übrig bleibt, soll den Eigentümern zugute kommen.

Ohne dieses spezielle städtebauliche Instrument müsste die Stadt alleine für größere Infrastrukturmaßnahmen aufkommen. Ziel im neuen Koop-Verfahren soll nun dennoch ein "gerechtes Kosten- und Lastenverteilungssystem" sein, heißt es. Die Verwaltung will sich am Modell der Sozialgerechten Bodennutzung (Sobon) orientieren, das Profiteure von Planungsgewinnen an den Kosten beteiligt. Sie will den Umgriff der Siedlung aber nach wie vor in großer Perspektive beplanen - während im Sobon-Verfahren überwiegend kleinteilig gearbeitet wird. Was an Kosten für das neue Stadtquartier anfällt, soll dabei "möglichst" aus den erwarteten Bodenwertsteigerungen finanziert werden, "und nicht aus dem städtischen Haushalt". Gleichzeitig sollen den Grundeigentümern "substanzielle Planungsgewinne" verbleiben. Weil das alles neue Wege sind, deutet das Planungsreferat an, dass es für das Projekt im Norden "neue wirtschaftliche Verfahrensgrundsätze" erarbeiten werde.

Spekulation auf Ackerflächen hofft die Stadt zu verhindern. (Foto: Florian Peljak)

Kann das alles funktionieren? Brigitte Wolf von den Linken stellte in der Vollversammlung die rechtlichen Grundlagen in Frage. Sie erwartet, dass eine faire Verteilung der Kosten nicht gelingen wird: "Das heißt doch nur, dass es für die Stadt unglaublich teuer wird." CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl versicherte, dass die Beteiligung von Eigentümern an den Kosten der Infrastruktur größer ausfallen werde als beim Sobon-Verfahren.

Herbert Danner von den Grünen deutete an, dass im neuen Verfahren die befürchtete Explosion der Bodenwerte drohe. "Die private Immobilienwirtschaft steht schon in den Startlöchern. Bis wir mit unserem System in die Gänge kommen, hat die sich bereits die Filetstücke gesichert. Bezahlbarer Wohnraum im Norden steht dann auf Sparflamme." Die Verwaltung will deshalb ein Vorkaufsrecht nutzen, das der Stadtrat dem Planungsreferat am Mittwoch genehmigt hat, um Spekulationen mit den Grundstücken vorzubeugen. Will ein Eigentümer aus dem Umgriff seine Flächen (ob bebaut oder nicht) verkaufen, hat die Stadt nun das Recht, die Flächen selbst "zum Zwecke der Entwicklung zu erwerben", wie es heißt. Gerade aber bei den Flächen der Landwirte im Norden will die Stadt sorgfältig prüfen, ob die Flächen zwingend benötigt werden. Sollte der Kaufpreis weitaus höher liegen als der Verkehrswert, will die Stadt dennoch nur den Verkehrswert bezahlen. Sollte der willige Käufer bereit sein, sich beim Großvorhaben der Stadt einzubringen, will das zuständige Kommunalreferat nicht einschreiten.

Das Planungsreferat will in enger Abstimmung mit den rund 200 zur Entwicklung bereiten Eigentümern herausfinden, welche Flächen bebaut werden können. Das bedeutet Bestandserhebungen, Machbarkeitsstudien und eine Aufstellung, wie viel das Ganze kostet und wie Planungsgewinne und -lasten verteilt werden könnten. Die Stadt sieht nun außerdem eine größere Beteiligung der Öffentlichkeit vor.

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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