Wohnungsnot bei Studenten:"München sägt an seinem Sozialgefüge"

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Da es zu wenig Plätze in Wohnheimen gibt, können es sich oft nur Studenten aus reichem Elternhaus leisten, hier ein Studium zu beginnen. Vor allem ausländische Kommilitonen haben es schwer

Von Tim Sauer, München

Seit fast fünf Monaten ist Lola nun schon auf der Suche nach einer Wohnung. Etwa 30 Bewerbungen hat sie seit Anfang Juli verschickt, doch alle Bemühungen blieben erfolglos. Einem glücklichen Zufall verdankt sie, dass sie jetzt zur Zwischenmiete in einer Wohngemeinschaft leben kann - eine Lösung auf Zeit. Bald muss sie wieder ausziehen und von vorne anfangen.

Solche Geschichten dürften die wenigsten Münchner schockieren: Der Wohnungsmarkt ist überlaufen - das ist nichts Neues. Leidtragende gibt es viele. Besonders betroffen sind solche, die wenig Geld verdienen. Denn es ist in München schon schwierig, überhaupt eine Bleibe zu finden, aber fast unmöglich, zu erschwinglichen Preisen etwas zu mieten.

Auch Lola zählt zu der Gruppe mit wenig Geld. Sie studiert seit 2012 Architektur in München. Weil sie kürzlich ein Studienjahr in Antwerpen verbracht hat, ist sie nun in akuter Wohnungsnot. Und sie ist nicht alleine: 8089 Studenten standen Anfang des Wintersemesters auf der Warteliste für einen Platz in einem Wohnheim des Studentenwerks - etwa fünfeinhalb Mal so viele wie noch 2006. Der Grund ist einfach: Neben einigen kirchlichen Wohnheimen stellen die Plätze im Studentenheim die einzigen preiswerten Wohnmöglichkeiten dar: "Es gibt keine günstigeren Plätze in München", sagt Ingo Wachendorfer, der Pressesprecher des Studentenwerks.

Er beschreibt die Situation trotz der hohen Zahlen als kompliziert, aber nicht dramatisch: "Man hat durchaus eine Chance auf einen Platz. Zum Wintersemester haben wir in München 1350 Wohnheimplätze neu vergeben." Er sagt aber auch, dass die geringe Zunahme von Wohnraum in München momentan in keinem Verhältnis zum Anstieg der Studentenzahlen stehe. Bei Maximilian Heisler hört sich das weit drastischer an: "In Anbetracht der Situation sind wir ohnmächtig", erklärt der Gründer des Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum.

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(Foto: Florian Peljak)

Ob im Studentenviertel im Olympischen Dorf oder sonst in der Stadt: Es fehlt an billigen Zimmern.

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(Foto: Natalie Neomi Isser)

Bleibe auf Zeit: Windu Prasetya in der Notunterkunft.

Die Situation ist folgende: Es gibt in der Stadt kaum noch Zimmer, die weniger als 500 Euro monatlich kosten. Für Studenten ist das eine Menge Geld. Die Betrachtung der jüngsten Sozialerhebung des Studentenwerks von 2012 macht das Problem deutlich: 973 Euro hat der durchschnittliche Student monatlich zur Verfügung, heißt es da. Im Schnitt kommt mehr als die Hälfte von den Eltern, neun Prozent aus BAföG-Mitteln. Leicht auszumalen also, dass nicht ausreichend Budget für die Miete vorhanden ist, wenn die Eltern nicht viel beisteuern können oder wollen. Und wenn das nicht nur ein paar Dutzend Studenten betrifft, sondern Hunderte, hat es aus Heislers Sicht Folgen: "München sägt an seinem Sozialgefüge", kritisiert er. Heisler ist sich sicher, dass angehende Studenten zwar häufig nach München wollen, den Plan aber immer öfter ad acta legen müssen, weil sie die Chance, eine Wohnung zu finden, für zu gering halten oder sich die üblichen Mieten nicht leisten können.

Stephan Hadrava bestätigt diesen Trend. Er berät im Jugendinformationszentrum seit 2013 junge Menschen in akuter Not, die kein Dach über dem Kopf finden. "Zunächst müssen Erwartungshaltung und Wirklichkeit in Einklang gebracht werden", sagt er. Häufig stehe am Ende das bittere Fazit: Eine Wohnung in München ist zu teuer. Hadrava rät den jungen Leuten dann, sich eine andere Stadt auszusuchen, die den gleichen Studien- oder Ausbildungsplatz im Angebot hat.

Laut Heisler ist das exakt der Grund dafür, dass die Warteliste des Studentenwerks, so lang sie auch sein mag, einigermaßen konstant bleibt: Viele Studenten kommen erst gar nicht mehr nach München. "Die Miete wird hier zu einem der entscheidenden Standortfaktoren", erklärt Maximilian Frank, Geschäftsführer der Studentenvertretung und selbst Student. Er hat den Eindruck, dass immer mehr angehende Studenten aus dem Münchner Raum kommen. Die können noch bei ihren Eltern wohnen und müssen sich nicht zwangsläufig mit der schwierigen Zimmersuche beschäftigen oder damit, das Geld für die Miete zusammenzubringen.

Auch in der Studentenstadt in Freimann fehlt es an Wohnraum. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Auch deshalb sind die Plätze des Studentenwerks für Zuziehende reserviert. Etwa 11 000 Personen finden in den Wohnheimen Platz. Daneben geht Wachendorfer von 4000 Plätzen kirchlicher und 5000 Plätzen privater Träger aus. Weil auch die Preise für Zimmer in privaten Wohnheimen monatlich schnell 500 Euro und mehr betragen, bleiben in München also etwa 15 000 preiswerte Wohnmöglichkeiten. 2014 betrug die Zahl der Studenten aber 122 000 - eine gute Quote ist das nicht.

Die Stadt sucht man in der Liste der Vermieter vergebens. Zwar erhalten Investoren, die Wohnheime bauen, Erleichterungen, und die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewofag errichtet derzeit am Frankfurter Ring ein Wohnheim für 200 Studenten. Ansonsten sind bisher kaum Bemühungen erkennbar, Wohnraum explizit für Studenten zu schaffen. "Unsere finanziellen Mittel zum Wohnungsbau sind voll ausgeschöpft", erklärt Christian Amlong, Sprecher der SPD im Stadtratsausschuss für Stadtplanung und Bauordnung. Allein die Tatsache, Student zu sein, reiche nicht aus, um größere Aktivitäten zu rechtfertigen, so Amlong. Es gebe Menschen, die bedürftiger seien. Folgt man Maximilian Heisler, nimmt die Stadt also in Kauf, dass sich die Zusammensetzung der Studentenschaft verändert, weil vermehrt die nach München kommen, die finanziell unterstützt werden. Heisler geht noch weiter: "Die Münchner soziale Mischung, die so gerne propagiert wird, ist nur noch Utopie."

Auch in anderer Hinsicht wird ein Ungleichgewicht spürbar: Zwar fischt München seit Jahren eifrig nach internationalen Studenten - dank Exzellenzinitiative ist das Renommee von Ludwig-Maximilians-Universität und Technischer Universität weltweit hervorragend. Die Vermieter aber wollen auf Nummer sicher gehen und bevorzugen Mieter aus dem Inland. Das führt zu bizarren Situationen wie der, in der sich Windu Prasetya gerade befindet. Der Indonesier ist 24 Jahre alt, folgte dem Münchner Ruf und hat kürzlich begonnen, Informatik im Master zu studieren. Er könnte monatlich 500 Euro für Miete ausgeben und findet dennoch nichts.

Prasetya ist in einer Notunterkunft des Studentenwerks untergekommen. Dort stehen für etwa 40 Studenten sehr einfache Apartments zur Verfügung - ein Angebot für echte Notfälle. Fünf Euro kostet die Nacht, und der Aufenthalt soll ein paar Wochen möglichst nicht übersteigen. Bezeichnend ist die Ausländerquote - nahezu 100 Prozent. Prasetya hofft, bald einen festen Platz zu finden, seine einzige Chance ist wohl das Studentenwerk. Da reiht er sich ein in die gut 8000 Zeilen lange Warteliste. Wenn er kein Glück hat, muss er nach Indonesien zurückkehren. Das Projekt "Studieren in München" wäre für ihn gescheitert.

© SZ vom 25.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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