München:Kühl im Sommer, warm im Winter

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Wer seine Hausfassade begrünt, verschönert die Stadt und tut nebenbei auch noch etwas für den Klimaschutz. Die Umweltorganisation Green City zeigt auf einer Exkursion besonders gelungene Beispiele

Von Renate Winkler-Schlang, München

Das Haus leuchtet in allen Schattierungen von Hell- über Olivgrün bis zu den warmen, intensiven Rottönen, die nur der Herbst herbeizaubert. Einzelne Ranken des dreilappigen Wilden Weins tasten sich bereits zum Nachbargebäude vor. Ein Musterbeispiel für üppige, gelungene Gebäudebegrünung, zentral gelegen gegenüber der Schrannenhalle an der Utzschneiderstraße 1. Hier begann am Freitagabend die Exkursion von Green City im Rahmen des Münchner Klimaherbstes.

Green City, sonst spezialisiert auf Radtouren mit Öko-Inhalt, hat diesmal eigens einen Doppeldeckerbus gechartert. Landschaftsarchitektin Alexandra Schmidt weist mal nach rechts, mal nach links. Sie weiß, wovon sie spricht, denn Green City hat seit dem vergangenen Jahr ein Begrünungsbüro, gefördert vom Referat für Gesundheit und Umwelt. Jeden Mittwoch von 13 bis 16.30 Uhr oder nach Vereinbarung werden Hausbesitzer, Bauherren und Eigentümergemeinschaften kostenlos aufgeklärt über Klimmer und Kletterer und Rankpflanzen, über solche, die sich mit ihren kleinen Saugfüßchen in der Fassade festsetzen und solche, die eine professionell gefertigte Rankhilfe brauchen - die sich mit Wärmeschutz kombinieren lässt. 90 Beratungen wurden bereits absolviert, oftmals mit Ortstermin und Tipps für Zuschussmöglichkeiten.

"Gebäudebegrünung ist Klimaschutz", erklärt Schmidt, und alle im Bus nicken wissend. Mehr Hitzetage, mehr Tropennächte - das könne zum Gesundheitsrisiko werden. Gleichzeitig werde die Stadt dichter bebaut, Freiraum fürs Grün geringer. Da bieten sich die Fassaden an. Grün kühlt im Sommer und dämmt im Winter. Das zeigt Wolfgang Heidenreich von Green City mit seiner Wärmebildkamera. Das Grün absorbiert Feinstaub, dimmt Lärm, gibt Insekten und Vögeln Heimat.

Und es ist schön. Das beweist der erste Stopp im Hinterhof Kaiserstraße 47. Der Showroom von Lichtdesigner Ingo Maurer befindet sich in diesem urbanen Idyll, in dem ringsum laut Schmidt elf verschiedene Kletterpflanzen gedeihen. "Ich freue mich jeden Tag darüber", sagt Maurer-Mitarbeiterin Angelika Wipf. Sie erzählt, wie die Designer im Sommer draußen arbeiten. Vorurteile existierten gegen Hausbegrünung, auch das will die Führerin nicht unerwähnt lassen. Spinnen etwa würden via Efeu und Co. den Weg in die Schlafkammer finden. Die Experten unter den Teilnehmern verneinen das: Draußen hätten die Tiere es doch viel angenehmer.

Wenn Gärten und Wände nicht reichen, gibt es noch die Chance für lebendiges Grün auf dem Dach - wie hier bei der Genossenschaft Wagnis 4. (Foto: Robert Haas)

Es gibt allerdings auch Ernsteres zu bedenken. Man kann ja, gerade in der Innenstadt, nicht einfach den Bürgersteig aufbuddeln und Glyzinien, Hortensien oder Clematis pflanzen. Eine Genehmigung ist nötig, bleibt jedoch bei Denkmälern oft versagt - die nach dem Krieg wiederaufgebaute Stadt habe so wenige davon, die müssten sichtbar bleiben. Außerdem darf der Grüngestalter keine Kabel und Leitungen beschädigen. Wichtig, so Schmidt, sei auch eine intakte Fassade, denn einige Klimmer und Schlinger seien "negativ fototroph": Sie zieht es ins Dunkle. Hinter Fensterläden, in Rollladenkästen, hinter Regenrinnen, aber auch in schadhaften Ritzen breiten sie sich aus.

Eine "Entscheidung fürs Leben" sei eine Fassadenbegrünung, sagt Schmidt. Ohne Pflege und Rückschnitt gehe es nicht, dafür müsse man nie mehr streichen. Im Bus entstehen lebhafte Diskussionen. Wilhelm Zimmermann aus Forstenried zeigt Fotos seines mit Kletterrosen übersäten Hauses, Tilo Tapesser aus dem Norden Münchens würde sein bewachsenes Haus gerne präsentieren bei dezentralen Exkursionen in den Stadtvierteln. Andreas Bauer, Grüner aus dem Bezirksausschuss Bogenhausen, überlegt, welche Schulen und öffentlichen Gebäude man verschönern könnte. Eine Dame aus Sendling-Westpark erzählt, sie habe den alten Efeu an ihrem Reihenhaus entfernen müssen: "Aber ich will wieder einen." Eine andere würde am liebsten an einem der Häuser gleich einen Ableger abzwicken. Schmidt rät ab.

Letzte Station ist der Dachgarten von Wagnis 4 in Schwabing, ein echter Garten mit allem Drum und Dran, mit Gewächshaus und Beeten und Sitzecken und Grillplatz in luftiger Höhe. Alexandra Schmidt hofft, dass auch diese Idee viele Nachahmer findet. Gute Beispiele kann jeder auf der Green-City-Homepage eintragen.

© SZ vom 19.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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