München:Die jährliche Dosis Schwermetall

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Frieder Vogelsgesang, Baudirektor im Staatsdienst, hat schon Tickets für Iron Maiden und Iggy Pop

Von Jutta Czeguhn

Tante Elsbeth muss eine Frau mit Sinn für Cross-over gewesen sein. Die Opernsängerin, die ihre Karriere auch auf die ehrwürdige Bühne des Royal Opera Houses geführt hatte, konnte dem alten Schockrocker Alice Cooper durchaus etwas abgewinnen. Mit liebevollem Respekt erzählt Frieder Vogelsgesang von der 2001 verstorbenen Tante. Es scheint, als sei sie die einzige in der Familie gewesen, die seine Passion für Heavy Metal, wenn nicht restlos teilte, so doch rückhaltlos unterstützte. Vater Wolfgang, ein Obermenzinger CSU-Grande, und Mutter Gisela, eine Generalstochter, dürften seinen Musikgeschmack hingegen unter der Kategorie "abstruser Krach" abgeheftet haben. Doch angefochten hat ihn das nie. Frieder Vogelsgesang, mittlerweile 53, ist noch immer Metalhead durch und durch. Ein Wacken-Veteran, der für 2016 schon wieder große Festivals gebucht hat.

Auch beim berüchtigten Schlamm-Open-Air 2013 waren die Vogelsangs dort campen. (Foto: dpa)

Wer in Schubladen denkt, bekommt Vogelsgesang erst mal nicht hinein in die Klischee-Kiste vom langhaarigen, tumben, aggressiven, Dosenbier schwenkenden, mit Teufelshorn grüßenden Heavy-Metal-Fan. Wenn's unbedingt ein Stereotyp sein muss, dann scheint auf ihn eher das eines kreuzkonservativen, heimatverhafteten CSUlers mit solider Karriere im Staatsdienst zu passen: Studierter Architekt, Baudirektor, CSU-Fraktionssprecher im Bezirksausschuss, Vorsitzender der Bürgervereinigung Obermenzing, Ehrenkreuz-Träger des Bayerischen Soldatenbunds. Mitglied bei den "D' Blutenburglern", die sich Volksmusik und Volkstanz verschrieben haben. Wie nun beide Welten zusammenbringen? Nicht ohne Reiz ist die Vorstellung von einem Frieder Vogelsgesang, der sich im Obermenzinger Zehentstadel mitten hinein in die Schuhplattler und Dirndldraher wirft und zum Dröhnen von Black Sabbath, Judas Priest oder Iron Maiden einen schönen Moshpit initiiert. Das ist dieses ekstatische Kreistanz-Rempeln, das man in Metal-Kreisen pflegt.

Frieder und Irina Vogelsgesang sind Wacken-Veteranen. (Foto: privat)

Vogelsgesang weiß, nicht jeder hat den geweiteten Blick seiner Tante Elsbeth. Ironische, von Ignoranz befeuerte Spitzen gegen seine Metal-Leidenschaft pariert er ziemlich entspannt und mit Humor. Eines aber wird klar: Die Musik, die nimmt er sehr ernst. Wie Reliquien hütet er Konzert-Tickets und seine Erinnerungen dazu: ACDC im Schwabinger Bräu anno 1978, als es noch keine Security gab und Angus Young auch aus nächster Nähe noch jung aussah in seiner Schoolboy-Uniform. Oder seine Lieblingsband Led Zeppelin 1980 im Olympia-Park für 23 Mark. Vogelsgesang hat ihn noch gehört, John Bonham, den legendären Schlagzeuger, der 1980 mit nur 32 Jahren an seinem eigenen Erbrochenen erstickte.

Viele Geschichten aus der Metal-Mythologie könnte Frieder Vogelsgesang erzählen. Und auch davon, dass er seine Frau Irina über die Liebe zu Metal kennengelernt hat. Doch man muss nun über Wacken reden, das für Metalheads - Tante Elsbeth müsste man das so erklären - ist wie Bayreuth, die Scala und die Met in einem. Vogelsgesang war viele Male auf diesem weltgrößten aller Metal-Festivals. Als seine drei Söhne alt genug waren, ging's mit der ganzen Familie ins Zeltdorf nach Schleswig-Holstein, mit Camping-Ausrüstung, Armee-Ohrenstöpsel, Bier und Gummistiefeln. Auch beim Festival 2013 waren die Vogelsgesangs in Wacken dabei, als das Open Air im Schlamm versank und sich die Fans suhlten, wie einst die Hippies in Woodstock. Heuer habe er keine Wacken-Tickets gebucht, räumt Frieder Vogelsgesang ein. Aber mindestens ein Festival im Jahr müsse sein. "Ich habe bereits Karten für Rockavaria mit Iron Maiden und Iggy Pop", erzählt er stolz. Und bei diesem Stichwort, es hilft nichts, muss man übers Alter reden. Iggy Pop, die Lederhaut, ist auch schon 68. Da lacht Vogelsgesang und muss an einen Stoßseufzer seines Vaters denken, damals in den Siebzigern: "Gott sei Dank hört sich das irgendwann auf mit dieser Musik!" Wie sehr sich der Herr Papa doch geirrt habe. "Es hat nie aufgehört."

© SZ vom 31.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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