München:Auf Augenhöhe

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Professionelle Versöhnerinnen: Die Konfliktmanagerinnen Brigitte Gans und Marriah Patterson-Wildschek (re.) bemühen sich stets um Neutralität. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Seit einem Jahr sind die Mitarbeiter des "Allparteilichen Konfliktmanagements" im Einsatz, um bei Reibereien zu vermitteln. Ob Ärger um Feier-Lärm oder wilde Biesler: Die Schlichter hören stets beide Seiten an

Von Renate Winkler-Schlang, München

Die Männer sitzen in der Sonne auf den Bänken am Kolumbusplatz, der Lärm der Humboldtstraße scheint sie nicht zu stören. Der eine hat Wodka in der Flasche, der andere ein Bier. Einer schläft auf dem Rasen unter der Eisenbahnbrücke, ein anderer hat seine Sandalen ausgezogen, macht es sich gemütlich. Marriah Patterson-Wildschek bleibt stehen, lächelt, grüßt, gibt jedem die Hand. Dann geht sie in die Hocke, auf Augenhöhe. Sie wolle nur mal fragen, ob es hier in jüngster Zeit Ärger gegeben habe? Die Männer schütteln den Kopf. Nein, von ihnen habe sich gewiss niemand beschwert, versichern sie. Brigitte Gans ist dabei, hört zu. "Seid ihr vom Gemeinderat?", fragt einer die beiden zutraulich.

Marriah Patterson-Wildschek ist Konfliktmanagerin, Brigitte Gans Koordinatorin der Stelle Akim, das Kurzwort für "Allparteiliches Konfliktmanagement in München". Der Name klingt zwar sperrig, erklärt aber doch gut, worum es geht: bei Auseinandersetzungen auf Straßen und Plätzen in München alle anhören und Ernst nehmen - jene, die Lärm machen, und jene, die Ruhe brauchen.

Am Kolumbusplatz haben die beiden Frauen auf die roten Akim-Shirts und auch auf die leuchtenden Buttons verzichtet, denn sie wollen niemanden verschrecken bei diesem ersten Kontakt. Er kam zustande, weil natürlich nicht die Leute auf der Bank, sondern Bewohner der umliegenden Häuser sich beschwert haben: über lautes Lachen, herumliegenden Müll. Auf dem Gärtnerplatz aber oder in der Müllerstraße, den Hotspots des innerstädtischen Feierns, da tragen die Akim-Mitarbeiterinnen ihre Erkennungszeichen, die sie als dem Sozialreferat angehörig legitimieren.

Sechs Teilzeitkräfte und einige Honorarkräfte hat Akim. Sie werden seit vergangenem Sommer überall dort eingesetzt, wo der Druck steigt. An all jenen Stellen, wo der öffentliche Raum nicht mehr für alle Bedürfnisse gleichzeitig zu reichen scheint; wo nicht schon Streetworker soziale Brennpunkte befrieden oder die Polizei echte Straftaten wie Drogenmissbrauch ahndet und wo auch keine klassische Mediation möglich ist. Denn oft gibt es keine klar benennbaren Interessenvertreter, die man an einen Tisch bringen könnte.

Patterson-Wildschek und ihre Kollegen arbeiten dann, wenn andere frei haben und draußen sind, ihr einziges Mittel ist ihre Stimme, ihre Mimik, ihr Lachen, ihr Verständnis, ihre Offenheit. Platzverweise würden nur Autoritätskonflikte hervorrufen, sind sie sicher. Ihre Methode: Tatsachen anerkennen, alle ernst nehmen, Kooperation anstoßen, "auf das Menschliche eingehen". Deshalb macht es auch nichts aus, dass Patterson-Wildschek eine zarte Person ist. "Wir wollen nicht bullig auftreten, im Gegenteil", sagt Gans.

Mulmig sei ihr nie geworden, eine Judo-Gürtelprüfung sei nicht nötig bei den Einsätzen, und dumme Sprüche wie "Spaßbremse" kontere sie mit Humor, erzählt Konfliktmanagerin Patterson-Wildschek. Wichtig sei das aktive Bemühen, neutral zu sein, auch wenn Bezirksausschüsse oder Anwohner sich an Akim wenden und sich damit als eine Art "Auftraggeber" sehen. Die Bedürfnisse der "Parteien" stehen meist gleichberechtigt nebeneinander. "Ich schaue mir alle Gesichter an und frage: Was braucht ihr? Das schafft eine ganz andere Beziehungsbasis." Gut, dass die Sozialarbeiterin auch eine Mediatorenausbildung hat. Ist der Kontakt erst einmal hergestellt, kann sie meist die Konfliktparteien bewegen, die Perspektive zu wechseln, sich in die Lage der jeweils anderen zu versetzen - damit sie die Haltung von denen verstehen, die seit Jahrzehnten hier wohnen oder umgekehrt, einfach mal draußen sitzen und reden wollen. Dann kommt man gemeinsam auf Lösungen, die auch alle tragen können. Das Schach-Eck auf dem Hans-Mielich-Platz zum Beispiel war lange von den sogenannten Wohnungsflüchtern belegt: "Die haben auf der Kiste mit den Figuren ihre Bar aufgebaut", erinnert sich Patterson-Wildschek. Klar, dass die Schachspieler sauer waren. Inzwischen haben sich alle arrangiert.

Doch immer wieder ploppen neue Konflikte auf, um die Akim sich kümmern muss: am Gärtnerplatz, wo jetzt mobile Toiletten helfen, die Hauseingänge sauber zu halten; an der Müllerstraße, wo es zumindest keine neuen Kneipen mehr geben wird, weil die Stadt nicht länger Stellplatzablöse erlaubt; am Bordeauxplatz, wo neuerdings die Pokemon-Go-Spieler lästig werden. Brigitte Gans sagt: Jeder Konflikt werde angeschaut und bewertet. Sie setze ihre Leute nach Verhältnismäßigkeit ein, manchmal reiche ein Termin, am Gärtnerplatz etwa schaue Akim regelmäßig vorbei. Sie werde nun auch öfter zum Kolumbusplatz kommen, sagt Patterson-Wildschek zu den Männern. Sie strahlen. Es klingt wie ein Versprechen.

© SZ vom 26.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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