München:Alice im Glück

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Alice Weber spielt die Bratsche in einem der führenden Orchester der Welt. Unter den Musikerkollegen gehört die 27-jährige Münchnerin zu den Jüngsten. (Foto: Astrid Ackermann)

Feste Stellen sind rar für Absolventen von Musikhochschulen. Alice Weber, 27, hat es geschafft, die junge Bratschistin wurde ins Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks aufgenommen

Von Daniel Sippel

Schokolade spielt eine enorme Rolle in Alice Webers Leben. Genau wie Gummibärchen und ihre Schwester. Das war schon im Jahr 1993 so: Die vierjährige Alice pilgert jede Woche zum Cellounterricht. Nach den Stunden bekommt sie Gummibärchen vom Lehrer. Die mag sie nicht so recht. Auch Alices Schwester lernt ein Instrument, die Geige. Der Geigenlehrer belohnt seine Schüler mit Schokolade. Und weil Alice Schokolade lieber mag als schnöde Gummibärchen, wechselt sie den Lehrer und das Instrument. Fortan lernt sie Geige, wie ihre Schwester. "Ich bin ihr schon immer hinterhergedackelt", kommentiert Alice Weber heute.

Jahre später, Weber musiziert schon im Bundesjugendorchester, wechselt sie wieder das Instrument. Seither spielt sie die Bratsche. Heute ist sie eine der jüngsten Musiker im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO). Alice Weber tanzt leichtfüßig durch ihr Leben - wie eine hochbegabte Pippi Langstrumpf. Ihr Lebenslauf: Eine Liste von Wunschträumen jedes Musikstudenten - begehrte Stipendien, Auslandsstudium, Akademistin im Amsterdamer Concertgebouworkest. Dabei spielte Weber nach dem Abitur am Münchner Theresien-Gymnasium mit dem Gedanken, ein Auslandsjahr in Spanien einzulegen, oder Psychologie zu studieren. Aber eigentlich war es klar, was sie studieren wird: Immerhin hatte die Schwester schon mit dem Geigenstudium begonnen.

"Für den Körper ist es unglaublich"

Wenn sie auf ihr bisheriges Leben zurückblickt, sagt sie nur: "Ich hatte wahnsinnig viel Glück - es ist fast peinlich." Denn eine feste Stelle in einem so renommierten Orchester wie dem BRSO zu bekommen, grenzt an ein Wunder. Hunderte Instrumentalisten kämpfen jedes Jahr um wenige Plätze. Alice Weber hat im vergangenen Jahr ihr Glück versucht, mit 26 Jahren. Erfahrene Kollegen rieten ihr damals davon ab: Sie solle sich Zeit lassen mit der Bewerbung, besser weitere Erfahrungen im Ausland sammeln. Heute weiß Alice Weber: "Ich wollt's einfach ausprobieren."

Also bewirbt sie sich 2015 für ein Probespiel für eine Bratschen-Stelle im BRSO. Sie rechnet sich aus: Wahrscheinlich ist es die letzte Tutti-Stelle in der Bratschen-Gruppe, die in den kommenden zehn Jahren frei wird. Während des Probespiels plagen Weber Kopfschmerzen: "Für den Körper ist es unglaublich, der Stress, die Anspannung." Den ganzen Tag spielt Weber vor. In der ersten Runde konkurriert sie noch mit 19 anderen Musikern. Am Abend sitzen noch drei Bratschisten im Zimmer hinter der Bühne und warten auf das Urteil. Alice Weber ist eine von ihnen. Dann öffnet sich die Tür: Die 70 Musiker des BRSO haben für sie, Alice Weber, gestimmt.

Von nun an wird sie Bratsche spielen, in einem der besten Symphonieorchester des Landes. "Da habe ich ein bisschen geweint - aber nur ein bisschen, damit sie es nicht sehen." Viele Erinnerungen hat sie an diesen Abend nicht: "Ich war ein bisschen weg." Nur eines weiß sie noch: Sie musste viele Hände schütteln. Was hat die 70 Profis des BRSO überzeugt? Was hat ihr Spiel im Vergleich zu den anderen Bewerbern ausgezeichnet? Alice Weber ist zu bescheiden, um diese Fragen zu beantworten. Ihre Antwort: "Es gibt ja keine Checkliste, das ist total subjektiv. Am Ende hatte ich einfach Glück." Das Orchester suche unbewusst auch nach passenden Charakteren für das Ensemble: Jemand, der sich gut einfügen kann, sozial gut in die Gruppe passt. Sie habe eben in die Gruppe gepasst.

Wenn Alice Weber nach Misserfolgen in ihrem Leben gefragt wird, schweigt sie lange. Viel ging nicht schief in ihrem Leben. Daher rät sie jungen Musikabsolventen: "Ich habe immer das gemacht, worauf ich Lust hatte. Selbst, wenn einige Leute mir davon abgeraten haben." Selbst, wenn es mit der Orchesterstelle nicht klappt: "Die Leute finden immer etwas. Musik ist so flexibel, dass sich jeder seine Nische sucht. Man muss nur fokussiert darauf sein, was man will." So wie die junge Alice, als sie sich für Schokolade und gegen Gummibärchen entschied.

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spielt am Freitag, 11. November, 20 Uhr, im Herkulessaal unter Leitung von Zubin Mehta Werke von Péter Eötvös, Schönberg und Bruckner, Solist ist Martin Grubinger. Tickets unter der Telefonnummer 59 00-108 80.

© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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