Mitten im Olympiadorf:Ein Auto sucht seine Heimat

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Ein Brief klemmt an der Windschutzscheibe. Man erwartet mächtig Ärger - doch es kommt ganz anders

Von Ulrike Steinbacher

An den Straßen unter dem Olympiadorf wohnen die Autos in vergitterten Drahtkäfigen, die sich ähneln wie ein Ei dem anderen. Diese Klone sind scheußlich, aber begehrt, denn längst gibt es auch hier viel mehr Autos als Parkflächen. Ein halbes Jahr lang musste die Mieterin jüngst ohne ihren Stellplatz auskommen, Sperrholzplatten verrammelten die Garagenzeile an der Nadistraße. Betonsanierung. Unumgänglich. "Weil es tät' Ihnen ja auch nicht g'fallen, wenn die ganze Gaudi zsammbricht", hatte der nette Mann von der Hausverwaltung im Januar erklärt.

Also sucht sich die Mieterin für sechs Monate mühsam einen anderen Parkplatz. Und ist umso glücklicher, als es endlich Anzeichen gibt, dass "die ganze Gaudi" bald fertig saniert sein wird und das Auto nach dem Urlaub in seinen alten Käfig zurück darf. Doch das ist dann viel schwieriger als gedacht. Denn der Parkplatz ist weg. Wo die Mieterin ihn erwartet hat, liegt plötzlich eine Doppelgarage, die eine Hälfte schon besetzt.

Ja, aber ... Aber das ist doch die Garage Nummer 100! Und das Abflussrohr hat doch immer da hinten links gegurgelt! Und dieser Mini, der stand doch auch immer zwei Plätze weiter! Hat der Vermieter etwa einfach im Stillen den Vertrag gekündigt? Oder irrt man sich in der Nummer? Die Fragen bleiben offen, denn natürlich ist der Mietvertrag nicht auffindbar, wenn man ihn braucht. Und wohin jetzt mit dem Auto? Schweren Herzens und mangels Alternativen stellt die Mieterin es in die ominöse Doppelgarage. Sie rechnet mit dem Schlimmsten.

Der gefürchtete Brief hängt am nächsten Morgen prompt an der Windschutzscheibe. Oje. Vermutlich wird der rechtmäßige Parkplatz-Besitzer bei der Hausverwaltung petzen, mit dem Abschleppdienst drohen, rechtliche Schritte ankündigen. Der Mieterin graut, als sie den Umschlag aufreißt. Sie liest: "Bitte verzeihen Sie die Störung." Es ist der Garagennachbar, und er fragt vorsichtig: "Kann es sein, dass vor den Bauarbeiten zwischen unseren Boxen ein Trenngitter war?" Vielleicht hätten die Arbeiter vergessen, es wieder einzusetzen, vermutet er. "Nun bin ich in einer Zweierbox und weiß nicht, ob ich hier richtig bin." Es wäre nett, fährt er fort, "wenn Sie mich aus der misslichen Lage befreien könnten, nicht zu wissen, wo ich hingehöre."

© SZ vom 04.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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