Migranten:Das Leben riskieren für ein neues Leben

Vor dem Lokführerstreik

Güterzüge stehen am Rangierbahnhof München Nord auf den Abstellgleisen.

(Foto: dpa)

Die Bundespolizei fasst in München wieder mehr Flüchtlinge, die sich auf Güterzügen zwischen Lastwagen verstecken. Zuletzt 22 Menschen auf nur einem Zug.

Von Martin Bernstein

Menschen kauern unter Sattelzügen, möglichst flach pressen sie sich auf den offenen Transportwaggons der Güterzüge in die Radmulden. Fährt der Zug langsamer oder kommt er zum Stillstand und trifft dann der Schein einer Taschenlampe die Menschen, dann springen sie, rennen los, über 30 parallele Gleise am Güterbahnhof in Berg am Laim, inmitten fahrerlos und fast lautlos rollender Anhänger anderer Züge. "Wir sind froh über jeden, den wir lebend herunterholen", sagt Bundespolizeisprecher Wolfgang Hauner über jene, die so verzweifelt sind, dass sie ihre Heimat in Afrika verlassen und die lebensgefährliche Reise als blinde Passagiere über den Brenner unternehmen. 206 dieser Entwurzelten haben es in diesem Jahr schon bis München geschafft.

Nicht jeden Flüchtling können die Bundespolizisten lebend vom Güterzug holen. Im Juni ist bei Großkarolinenfeld im Landkreis Rosenheim ein junger Migrant aus Afrika vom Waggon gefallen und überrollt worden. Es war der erste tödliche Unfall in Bayern bei einem solchen Versuch der illegalen Einreise. In Tirol waren im Dezember am Bahnhof Wörgl drei Männer von Sattelzügen überrollt worden, unter denen sie sich versteckt hatten.

Am Sonntag haben es sechs Menschen aus Afrika bis München geschafft: zwei Männer und zwei Frauen von der Elfenbeinküste, ein Mann aus Guinea - und ein dreijähriges Kind. Auf einem Sattelauflieger des Güterzuges 42146 aus Verona hatten Bedienstete der Deutschen Bahn sie gegen 9.35 Uhr bei der Einfahrt am Rangierbahnhof Nord entdeckt.

Sechs von 104 illegalen Einwanderern, die die Bundespolizei in München im Juni und Juli am Güterbahnhof Ost und am Rangierbahnhof Nord aufgegriffen hat. Und das trotz vorangegangener umfangreicher Kontrollen der Rosenheimer Kollegen. Diese fanden am Wochenende 22 Personen auf nur einem Zug, darunter 14 Minderjährige. Insgesamt wurden im Juli in Rosenheim bisher etwa 80 Flüchtlinge aufgegriffen. Vergangenen Herbst hatten 256 Menschen, zumeist aus Schwarzafrika stammend, bei oft eisigen Temperaturen über den Brenner kommend München erreicht. Dann gingen die Zahlen im Winter und Frühjahr zurück, jetzt steigen sie wieder rasant an.

Wenn die Flüchtlinge, etliche von ihnen krank, unterkühlt oder dehydriert, vor den Bundespolizisten stehen, prüfen die erst einmal, ob sie einen Arzt oder Sanitäter holen müssen. Danach werden die Immigranten der Landespolizei übergeben, denn die Münchner Bundespolizisten sind nicht für den Grenzschutz zuständig. Wenn gegen die Einwanderer nichts vorliegt, kommen sie in der Regel in eine Erstaufnahmeeinrichtung. Warum die Zahlen jetzt wieder so stark steigen, darüber kann der Bundespolizeisprecher nur spekulieren. Ein Grund sei sicher das verhältnismäßig gute Wetter entlang der Brenner-Route.

Momentan sind es meist kleinere Gruppen, die sich auf den Weg machen. Doch in Raubling bei Rosenheim fanden vergangene Woche Bundespolizisten bei einer Zugkontrolle gleich 21 Migranten aus Gambia, Nigeria und Somalia unter Lkw-Aufliegern. Die bisher größte in diesem Jahr in München aufgespürte Migrantengruppe hatten Bundespolizisten Anfang April entdeckt. In den Radmulden hatten sich zwölf Männer aus Afrika und Syrien versteckt. Ein paar Tage zuvor waren am Rangierbahnhof neun Afrikaner aufgespürt worden.

Bundespolizei-Sprecher Hauner denkt an die Bilder aus Libyen, vom Mittelmeer und aus Süditalien und schüttelt den Kopf: Nein, dass es bald weniger Menschen sein werden, die die lebensgefährliche Fahrt antreten, sei wohl nicht zu erwarten.

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