Sie hoffen auf ein besseres Leben - und setzen dafür ihre Gesundheit aufs Spiel. Manchmal riskieren sie sogar ihr Leben. Zahlreiche Flüchtlinge sind in den vergangenen Wochen als blinde Passagiere auf Güterzügen nach München gekommen. Die Bundespolizei sieht diese neue, oft lebensgefährliche Fahrt mit großer Sorge. Seit Anfang Oktober sind von den Münchner Beamten bereits 105 Flüchtlinge aufgegriffen worden, die diesen Weg gewählt hatten, 59 allein in den vergangenen zwei Wochen.
Die meist aus Eritrea und den Staaten Schwarzafrikas stammenden Flüchtlinge klettern in Italien auf die offenen Güterwaggons. Dann fahren sie bei Nacht und Kälte über den Brenner. Wenn es schließlich hell wird und der Zug abbremst, springen sie wieder ab, meistens in München vor dem Ostbahnhof oder auf dem Rangierbahnhof München-Ost. Allein am vergangenen Dienstag griff die Bundespolizei zwei Gruppen mit neun und vier Migranten auf.
BKA:Mehr Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte
Drohungen im Netz, ausländerfeindliche Handzettel und sogar Brandanschläge: Im vergangenen Jahr hat die Zahl der politisch motivierten Straftaten bayernweit um 261 Prozent zugenommen.
Weil etliche der Flüchtlinge in Berg am Laim zwischen den Gleisen umherirrten, kam es im S-Bahn-Verkehr zu Behinderungen auf der Stammstrecke sowie auf den Richtung Osten führenden Linien. Über Berg am Laim kreiste ein Hubschrauber der Bundespolizei, dessen Besatzung nach den Flüchtlingen suchte. Eine junge Frau mussten die Beamten anschließend dem Rettungsdienst übergeben. Es bestand der Verdacht, dass sie sich auf der stundenlangen Fahrt im offenen Waggon Erfrierungen zugezogen hatte.
"Die Flüchtlinge kommen oft in sehr schlechter körperlicher Verfassung hier an", sagt Bundespolizeisprecher Wolfgang Hauner. Viele seien ohnehin auf ihrer langen Fluchtroute unterversorgt gewesen und hätten nun seit Stunden nichts mehr gegessen oder getrunken. Sie verstecken sich in flachen Reifengruben von Waggons, auf denen Lkw-Sattelaufleger transportiert werden. Bei nächtlichen Kontrollen mit Taschenlampen sind sie dort kaum zu erkennen.
Früher, so erinnert sich Hauner, hätten sich Flüchtlinge oft in Waggons mit Planen zwischen der Ladung versteckt. Oft habe man das erst im Nachhinein durch aufgeschnittene Planen bemerkt. Jetzt werden die Einwanderer vor allem dann sichtbar, wenn sie von den Waggons der Züge abspringen und im Gleisbereich herumirren. Wo und wann sie den Zug verlassen müssen, werde ihnen wohl von Schleusern oder von anderen Flüchtlingen per Handy mitgeteilt.
Oft wüssten die blinden Güterzugpassagiere gar nicht, in welcher Gefahr sie sich befänden, sagt Hauner. In Berg am Laim gibt es an manchen Stellen bis zu 30 parallele Gleise, auf denen Fernzüge, Güterzüge und S-Bahnen unterwegs sind. Besonders gefährlich ist die Situation am Rangierbahnhof. Dort rollen die Züge ohne Lokomotiven auf ihren voreingestellten Fahrwegen - nahezu lautlos und ohne Fahrer, der noch eingreifen und bremsen könnte. "Das wissen die Flüchtlinge nicht", sagt Hauner.
"Wir hatten doch keine Perspektive in Italien"
Bereits am 28. Oktober mussten bei einem Einsatz die Gleise in Berg am Laim gesperrt werden. Am 1. November kam es erneut zu Einsätzen am Rangierbahnhof Ost, bei denen 15 Migranten entdeckt wurden. Einige Eritreer irrten zwischen Rangierbahnhof und Leuchtenbergring umher, zwei saßen noch auf dem Güterzug. Wenige Stunden später entdeckten Mitarbeiter der Deutschen Bahn erneut zwei Eritreer auf einem Güterzug, der aus Verona gekommen war.
Ein besonders gefährliches Versteck hatten sich Ende Oktober zwei Migranten aus Nigeria und Guinea ausgesucht. Sie machten mit einem Notruf auf sich aufmerksam, nachdem sie am Bahnhof Brannenburg von einem Güterzug gesprungen waren. In Bozen, so die Flüchtlinge, hätten sie sich auf einem Waggon unter einem Container in der Nähe der Wagenräder versteckt.
Als sie glaubten, München erreicht zu haben, seien sie abgesprungen. "Wir hatten doch keine Perspektive in Italien", erklärten sie. Aufgegriffene Migranten werden von der Bundespolizei zuständigkeitshalber der Landespolizei für die weitere Bearbeitung übergeben. Oder sie werden, wie im Brannenburger Fall, sofort zurückgeschickt.
Die vier Männer aus Eritrea, die am Dienstagmorgen in München in einem Güterzug entdeckt wurden, waren laut Hauner in einem relativ guten gesundheitlichen Zustand - anders als ihre neun Landsleute, die eine Stunde später von einer Hubschrauberbesatzung entdeckt wurden. Sie waren stark unterkühlt. Am Brenner hatten in dieser Nacht Temperaturen um minus sieben Grad geherrscht.