Maxvorstadt/Schwabing:Der Traum vom eigenen Atelier

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90 Maler, Bildhauer, Grafiker, Fotografen und Handwerker öffnen bei "Kunst im Karee" ihre Räume fürs Publikum. Dabei wird klar, wie schwer es junge Kreative haben, in der Stadt Räume zum Arbeiten zu finden

Von Stefan Mühleisen, Maxvorstadt/Schwabing

Eine weiße Wolke wabert durch das Bild. Bäume, Büsche, Steine zerfließen zu einer abstrakten Landschaftsimpression. Das Gemälde von Setareh Khosravani verströmt eine geheimnis- und verheißungsvolle Stimmung, wie die Erinnerung an einen hoffnungsfrohen Traum. Der Traum vom eigenen Atelier vielleicht, wie ihn Agnes Galova träumt. Die 20-Jährige, bauchfreies Top und Bubikopffrisur, steht vor dem Gemälde und sagt: "Es ist seht interessant, sich mit Künstlern auszutauschen und zu erfahren, wie man es soweit bringt, sich ein eigenes Atelier leisten zu können." Khosravani, schwarze Locken, bunter Rock, steht daneben in der großen Wohnung in Schwabing. "Wir hatten Glück", sagt sie und fügt hinzu: "Doch das ist selten."

Erhellende Einblicke: Zwei Besucherinnen vertieft in eine Lichtinstallation von Matthias Stadler im Hinterhof der Türkenstraße 60. (Foto: Robert Haas)

Setareh Khosravani zählt zu einer selten gewordenen Spezies im einstigen Künstlerviertel. Sie war am Wochenende eine von nur einer Handvoll Nachwuchskünstler, die bei "Kunst im Karree" mitmachten - beziehungsweise mitmachen konnten. Zum 12. Mal öffneten dabei an 60 Orten in Schwabing und der Maxvorstadt gut 90 Kunstschaffende ihre Ateliers und Werkstätten für die Öffentlichkeit. Wieder einmal nutzen Hunderte Menschen die Gelegenheit, Maler, Bildhauer, Grafiker, Instrumentenbauer, Fotografen zu treffen, ihre Werke zu sehen. Für die Kunst-Akteure ist es zudem eine mitunter seltene Gelegenheit, ihre Arbeiten dem kunstinteressierten Publikum zu präsentieren. Die Veranstaltung war jedoch erneut ein Indiz dafür, dass junge Künstler in der Stadt und besonders im einstigen "Wahnmoching" kaum eine Chance auf eine Wirkungsstätte haben - und von Glück reden können, wenn sie von Etablierten unterstützt werden.

Gute Performance: Künstlerin CBR (re.). (Foto: Robert Haas)

Khosravani hat mit einem Kollegen eine Atelierraum im St-Benno-Viertel ergattert, für "Kunst im Karree" hat ihr der 73-jährige Bildhauer Wulf Schiel seine Atelierwohnung in der Clemensstraße als Ausstellungsfläche zur Verfügung gestellt. "Die meisten Galerien nehmen die jungen Leute nicht. Und hier im Viertel haben sie wegen der hohen Mietpreise keine Chance auf ein eigenes Atelier", sagt er.

Einen Kilometer weiter südwestlich steht Sylvia Katzwinkel in ihrem Grafik-Designbüro 84 GHz an der Georgenstraße. Sie hat "Kunst im Karree" erfunden und organisiert das Kunst-Happening auch heuer wieder mit großem Engagement. Die Frau mit dem schwarzen Haarzopf schwärmt erst einmal davon, wie inspirierend es für die Schwabinger Künstlergemeinde sei, ein ganzes Wochenende lang Horden von Besuchern durch ihre Ateliers zu schleusen. Doch dann verdüstert sich ihre Miene. "Wir haben dieses Jahr auffallend wenig junge Künstler. Das ist besorgniserregend." Der Nachwuchs könne sich die hohen Mieten nicht leisten.

Gute Gespräche: Günter Mattei (Mitte). (Foto: Robert Haas)

Unten im Keller von 84 GHz weiß das Günter Mattei nur zu genau. Der 68-jährige Grafiker - graue, zurückgekämmte Haare, grauer Schnauzer - hat München mit seinen wunderbaren Illustrationen seinen Stempel aufgedrückt: Von ihm stammen die früheren Tierpark-Plakate, von denen jenes, auf denen ein Schimpanse eine Banane als Telefonhörer benutzt, das berühmteste war. Im 84-GHz-Keller zeigt er eine Werkschau, die seinen Arbeitsprozess an den ebenso im Stadtbild präsenten Plakaten für die Schauburg am Elisabethplatz dokumentiert. Auch er weiß, dass der Traum vom eigenen Atelier für viele unerreichbar ist - und dass viele zwar nicht den Traum aufgeben, ihn aber wegen der hohen Ateliermieten woanders verwirklichen. "Ich kenne viele Zeichner und Illustratoren, die aus München weggegangen sind und jetzt in Berlin arbeiten", sagt er.

Matthias Stadler ist hier geblieben. Der 30-Jährige hat vor vier Jahren das Künstlernetzwerk Tam Tam im Rückgebäude der Türkenstraße 60 gegründet, er selbst kreiert vor allem Lichtinstallationen; mit im Großraumbüro sind noch Grafiker, Designer, Maler, Performance-Künstler. An diesem Tag zeigt der agile Mann mit dem Dreitagebart und dem Flanellhemd sein Licht-Kunstwerk: Ein Projektor strahlt ein verschachteltes Lattengestell an, dahinter an der Wand glimmt pulsierend ein zick-zack-förmiger Schriftzug wie ein zum Leben erwachtes Graffito. "Von den Besuchern bekomme ich sehr positive Resonanz. Die sind froh, wenn sie mal etwas Frisches von einem jungen Künstler sehen", sagt Stadler. Doch ohne einen Protegé würde es Tam Tam nicht geben: Hubert Kretschmer hat gleich gegenüber sein Kunstbuch-Archiv nebst eigenem Verlag; er hat Stadler und Kollegen einzelne Raum-Abschnitte zur Untermiete überlassen. "Als Kunstlehrer weiß ich, dass die Absolventen nach dem Studium große Probleme haben, Räume zu finden", sagt er.

Agnes Galova, die 20-Jährige mit der Bubikopffrisur, hat ihr Studium noch vor sich, sie will sich an der Akademie bewerben. "Kunst ist mein Lebenselixier", sagt sie über ihren Herzenswunsch, Profi-Künstlerin zu werden. Dann weicht die Euphorie aus ihrer Stimme, der Überschwang aus ihrem Blick. "Ich weiß, dass es nicht einfach wird. Doch ich gebe nicht auf."

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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