Maxvorstadt:Schellingstraße 134: Die Angst geht um

Lesezeit: 5 min

Im Mai kauft ein Investor das Haus, lässt sofort ein Gerüst aufstellen, kündigt die "Aufwertung" der Wohnungen und Mieterhöhungen an. Nun fürchten die Mieter um ihr Zuhause.

Von Stefan Mühleisen

Als das Schreiben im Briefkasten lag, haben alle Bewohner erst einmal gegoogelt: Wer ist und was macht eigentlich die Kiefer & Remberg Immobilien Group GmbH, ansässig in Königsbrunn bei Augsburg? "Da brauchen Sie bloß auf die Webseite schauen, dann ist alles klar", sagt Sabine Pfohl. Im Gang toben die Kinder; auf der Wohnzimmer-Couch schüttelt Pfohls Lebenspartner Benedikt Meier derart grimmig den Kopf, dass die rückenlangen Rastalocken ums Gesicht peitschen.

Auf der Webseite haben die beiden folgendes gelesen: "Kiefer & Remberg bietet hochwertige Immobilien für eine Zielgruppe mit Anspruch und Charakter. Dabei stehen wir für eine Wohnkultur ohne Kompromisse und treten an, Luxusobjekte für ein Klientel mit eben diesem Verständnis zugängig zu machen."

Luxusobjekte. Ohne Kompromisse. Charakter. "Eine Frechheit ist das", wettert Benedikt Meier, 32 Jahre, Erzieher von Beruf. Er streicht über seine Khaki-Shorts, als müsste er sich die Hände sauber wischen. Sabine Pfohl, 36, Biologin, grünes Longshirt, die Stirn in strengen Falten: "Wir dachten alle: Aha, jetzt sind wir also dran. Und werden entmietet."

Marktbericht
:Mieten in München erreichen neuen Rekordwert

Im vergangenen halben Jahr sind die Preise für Wohnungen erneut um 1,4 Prozent gestiegen - im Herbst dürfte die Marke von 15 Euro pro Quadratmeter fallen.

Von Pia Ratzesberger

Entmietet. Da ist das Schreckenswort, das nun auch im Haus Schellingstraße 134 umgeht. Die Mieter in den zwölf Wohnungen sind verängstigt und fassungslos, seit der neue Eigentümer kurz nach dem Kauf ein Gerüst aufstellen ließ - und sogleich die Mieterhöhung ankündigte. Es ist einer von vielen Fällen in München, in denen Mietshäuser verkauft, eingerüstet und anschließend aufgewertet werden. Und wie so häufig bangen die Mieter, ob sie sich ihr Zuhause dann noch leisten können. Die Investoren stehen häufig unter Generalverdacht: Heuschrecken seien das, die ihre Altmieter im Spiel um Profit wie lästige Bauernopfer behandeln.

So geht die Rede über die Gentrifizierung, und so reden sie auch in dem Haus an der Schellingstraße. Ihre Furcht vor dem Verlust der Wohnung haben die Mieter Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) in einem Brief geschildert. "Soweit wir die aktuelle Lage überblicken können, reiht sich das Schicksal unseres Hauses nahtlos in die Welle von Luxussanierungen im Münchner Stadtgebiet ein", heißt es.

Kiefer & Remberg hat das Haus am 17. Mai 2016 erworben, wie aus einem Brief des Alteigentümers an die Mieter hervorgeht. Die neuen Hausherren stellen sich am 30. Mai per Brief bei den Bewohnern vor und konstatieren, "dass wir beabsichtigen, das Objekt zu renovieren und hierbei auch energetisch zu verbessern". Schon neun Tage danach, am 8. Juni, rücken Arbeiter an und bauen ein Gerüst an den Fassaden auf. Erst tags darauf, so versichert es Benedikt Meier, habe der neue Vermieter - wieder per Brief - darüber informiert, was er eigentlich vorhabe. Geschäftsführer Julian Kiefer kündigt darin an, die Wohnungen "sanieren und aufwerten" zu wollen. "In einem ersten Schritt" sei dies "zunächst der Einsatz neuer Fenster". Am 9. September 2016 soll es losgehen, heißt es im Papier. Für die "Unannehmlichkeiten" bietet Kiefer dem Paar eine "einmalige Entschädigung in Höhe von 150 Euro" an. Auch die voraussichtliche Mieterhöhung wird den Bewohnern mitgeteilt - bei Pfohl und Meier 228,94 Euro monatlich.

Sabine Pfohl glaubt schon zu wissen, wo das hinführt: "Es kommt eine Mietererhöhung nach der anderen, bis wir aufgeben und ausziehen." Das Paar lebt mit seinen beiden Kindern seit 2008 in der knapp 58 Quadratmeter großen Wohnung, sie zahlen derzeit 955 Euro Warmmiete. Meier deutet auf abgeblätterten Putz an der Wohnzimmerwand. Eine "marode Bude", sei dieses Haus, seit langem schon: "Der Keller ist feucht, die Heizung veraltet, es gibt Risse in der Fassade. An dem Haus muss etwas gemacht werden." Pause. Wütendes Händereiben auf der Khaki-Hose: "Aber nicht auf diese Art und Weise."

Karl Haas sieht das ebenso. Geladen knetet der 56-Jährige seine Hände auf der Eck-Couch in der Drei-Zimmer-Wohnung im dritten Stock, neben ihm sitzt seine Frau Veronique, 56. "Eine Frechheit", nennt er das Gebaren des neuen Eigentümers. Der habe einen persönlichen Termin vereinbart, sei aber nicht erschienen. Einen Aufschlag von 327,70 Euro auf die Miete sollen sie nach seinen Worten bald bezahlen. "Wir können doch nicht nur für die Miete arbeiten", sagt Veronique Haas.

Die gleiche Wut schwingt einen Stock darunter in Brunhilde Kübbemanns Stimme mit. "Ich bin fassungslos, dass die nicht einmal mit uns reden", sagt die Mitarbeiterin eines französischen Stoffhändlers. Wie die meisten kann sie mit der derzeitigen Miete ganz gut leben - doch die Erhöhung würde ein drastisches Loch ins monatliche Budget reißen: "Wir zählen alle zur Mittelschicht, wir wirken mit am Wohlstand dieser Stadt. Und jetzt kommen wir unter die Räder", zürnt Kübbemann.

Wohnen
:München verfärbt sich von grün zu betongrau

Wegen des fehlenden Wohnraums werden viele Viertel immer dichter bebaut - und die Natur verdrängt. Immerhin: In Grünwald ist noch Platz.

Von Irmengard Gnau

Indes: Es ist das gute Recht von Hauseigentümern, elf Prozent der Kosten für "Modernisierungsmaßnahmen" auf die Mieter umzulegen. Es muss dabei um Energieeinsparung oder Verbesserung des Wohnwertes gehen, nicht aber um Reparaturen maroder Gebäudeteile; solche "Instandhaltungsmaßnahmen" darf der Eigentümer nicht umlegen. Wird durch den Austausch der Fenster nun modernisiert oder repariert? Der Mieterverein sagt: Seriöse Hauseigentümer belegen dies haargenau, oft mit Gutachten. Kiefer & Remberg tut das nicht. "Die vorhandenen Fenster werden durch Isolierglasfenster ersetzt", heißt es in den Briefen an die Mieter. Was also haben die vor? Das fragen sich die Bewohner.

Volker Rastätter, Geschäftsführer des Münchner Mietervereins, sagt: "Immer mehr Modernisierungen laufen häppchenweise ab." Als "Herausmodernisierungswerkzeug" bezeichnet er das: Die Bewohner lebten jahrelang auf einer Baustelle, "und sie wissen nicht, was am Ende an Mieterhöhung rauskommt". Das Vorgehen von Kiefer & Remberg lege den Verdacht nahe, dass die Mieter absichtlich im Unklaren gelassen werden sollten. Seine Befürchtung: "Es könnten schwierige Zeiten auf die Mieter zukommen."

Der Veröffentlichung des Gesprächs widersprochen

Kiefer & Remberg will zu den Vorwürfen und Unterstellungen, den Sorgen der Mieter, dem Zustand des Hauses und den Modernisierungsplänen offiziell nichts sagen. Beziehungsweise: Man wollte zunächst, hat es sich aber anders überlegt. Die Süddeutsche Zeitung hatte am Montag mit Geschäftsführer Kiefer gut 40 Minuten telefoniert. Dabei vermittelte er einen freundlichen Eindruck und ließ sinngemäß erkennen, den Mietern nichts Böses zu wollen. Er ließ durchblicken, wohl keine Aufteilung in Eigentumswohnungen im Sinn zu haben. Dabei deutete er an, dass es nur bei dieser einen Mieterhöhung bleiben soll - die Sanierung von Fassade, Heizanlage, Treppenhaus soll dem Vernehmen nach nicht auf die Miete umgelegt werden.

Gerne würde die SZ wesentliche Inhalte des Gesprächs wörtlich wiedergeben, eine Niederschrift wurde Kiefer zur Autorisierung zugeschickt. Kurze Zeit später kam ein Schreiben einer Anwaltskanzlei. Diese behauptet darin, der Gesprächsinhalt sei nicht richtig und unvollständig wiedergegeben. Daher widerspreche man der Veröffentlichung ausdrücklich.

Durch den Onlineauftritt entsteht indes der Eindruck, dass die Firma bisher als "Aufteiler" auf dem Münchner Immobilienmarkt in Erscheinung tritt, wie Branchenkenner das Geschäft mit Eigentumswohnungen nennen. Dort präsentieren Kiefer & Remberg zwei Häuser in der Fasaneriestraße und der Tegernseer Landstraße, die sie gekauft, modernisiert - und zumindest teilweise in Eigentumswohnungen aufgeteilt haben, wie ein Makler berichtet, der überdies Einblick in das Dossier zur Schellingstraße 134 hat. Seines Wissens beharrte der Alteigentümer des Maxvorstädter Anwesens jahrelang auf einem Kaufpreis in Millionenhöhe; und seiner Einschätzung nach habe wegen des hohen Preises und des Sanierungsstaus wohl niemand zugeschlagen. Sein Fazit: "Die müssen da noch viel Geld reinstecken. Nach rein wirtschaftlichen Überlegungen müsste man eigentlich versuchen, das Haus in Eigentumswohnungen aufzuteilen, um zumindest den Kaufpreis rauszuholen."

Das Gerüst ist ein erstes Zeichen der angekündigten "Aufwertung". (Foto: Florian Peljak)
© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: