Euro-6-Standard für Dieselautos:Warum die neue Norm nichts bringt

Auspuff eines Dieselautos, 2014

In München werden weiterhin die von der EU vorgeschriebenen Stickstoffdioxid-Grenzwerte überschritten - schuld ist der starke Autoverkehr.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Von September 2015 an greift die neue Schadstoffnorm Euro 6 für alle neu zugelassenen Dieselfahrzeuge.
  • Allerdings haben Testfahrten gezeigt, dass die Autos im Alltagsbetrieb bei Stickoxiden das bis zu 8,5-fache dessen ausstoßen, was von September an erlaubt sein wird.
  • Nun ist der Münchner Stadtrat gefragt - er muss Maßnahmen finden, um die Luftverschmutzung einzudämmen.

Von Marco Völklein

Die Belastung der Münchner Luft durch Schadstoffe wie Stickstoffdioxid wird aller Voraussicht nach auch in den nächsten Jahren nicht abnehmen - obwohl von September 2015 an die neue Schadstoffnorm Euro 6 für alle neu zugelassenen Dieselfahrzeuge greift. Testfahrten in München, Stuttgart und Garmisch-Partenkirchen ergaben, dass die Autos im Alltagsbetrieb bei Stickoxiden das bis zu 8,5-fache dessen ausstoßen, was von September an erlaubt sein wird. Dann wird der Grenzwert von derzeit 180 auf 80 Milligramm pro Kilometer verschärft. Das Rathaus könnte nun unter Zugzwang geraten, doch noch Zumutungen für die Münchner Autofahrer zu beschließen.

Verkehrspolitiker im Rathaus hatten immer wieder gefordert, den Schadstoffausstoß der Autos zu senken, um nicht selbst zu einschneidenderen Maßnahmen greifen zu müssen. Der Test zeigt aber, dass sich allein über die Technik der Autos das Problem kaum lösen lassen wird. Gleichzeitig steigt der Druck aus Brüssel auf die Stadt - als eines ihrer ersten Themen wird sich daher die neue Chefin des Umweltreferats, die in der vergangenen Woche gewählt wurde, mit der Luftreinhaltung auseinander setzen müssen.

Testautos stoßen zu viele Schadstoffe aus

Die Tests hatte das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) zusammen mit seinem baden-württembergischen Pendant, der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) in Karlsruhe, vorgenommen. Dabei hatten die Wissenschaftler drei Diesel-Fahrzeuge - einen Volkswagen CC, einen BMW 320d sowie einen Mazda 6 mit unterschiedlichen Techniken zur Abgasnachbehandlung - fast 3000 Testkilometer auf Straßen innerhalb Münchens, Stuttgarts sowie rund um Garmisch-Partenkirchen geschickt und mit speziellen Apparaturen am Heck den Schadstoffausstoß gemessen. Das Ergebnis: Statt maximal 80 Milligramm pro Kilometer stießen die Autos im Stadtverkehr zwischen 130 und 676 Milligramm pro Kilometer aus. Parallel ermittelten die Forscher den Schadstoffausstoß auf einem Rollenprüfstand nach dem für die Hersteller maßgeblichen "Neuen Europäischen Fahrzyklus" (NEFZ). "Dabei erfüllten alle die Euro-6-Norm", heißt es in der Studie.

Das Messverfahren nach NEFZ erlaubt den Herstellern allerdings einige Tricks: So können die Techniker den Reifendruck stark erhöhen, Leichtlaufreifen einsetzen sowie die Klimaanlage und weitere Nebenverbraucher abschalten. Um den Luftwiderstand zu verringern, werden Karosseriespalten abgeklebt. Laut LUBW-Projektleiter Werner Scholz ist das Verfahren daher "realitätsfern". Es setze keinerlei Anreize, weniger Schadstoffe auszustoßen.

Doch genau das wäre aus Sicht vieler Beobachter dringend nötig, um die Luft in Städten wie München sauberer zu machen. Denn nach wie vor werden die von der EU vorgegebenen Grenzwerte regelmäßig überschritten: So wurde laut einer LfU-Übersicht im Jahr 2014 an der Messstation an der Landshuter Allee der maßgebliche Stickstoffdioxid-Grenzwert an insgesamt 24 Tagen überschritten; erlaubt sind aber nur 18. Deshalb appellieren Umweltpolitiker aus CSU und SPD immer wieder an Gesetzgeber wie Autohersteller, mit schärferen Vorgaben und besserer Technik die Emissionen zu senken. Die Kommunalpolitiker fühlen sich bei dem Problem der Luftreinhaltung im Stich gelassen von der großen Politik: Während die EU den Herstellern Tricks wie die beim NEFZ-Verfahren durchgehen lasse, schreibe sie den Kommunen gleichzeitig strenge, kaum einzuhaltende Grenzwerte vor.

Der Druck aus Brüssel steigt

Und tatsächlich steigt der Druck aus Brüssel weiter: So hat die EU-Kommission erst in der vorvergangenen Woche ein Mahnschreiben an die Bundesregierung verschickt und damit eine weitere Stufe hin zu einem Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Am Ende eines solchen Verfahrens könnten hohe Strafzahlungen stehen, die zunächst einmal der Bund zu tragen hätte. Unklar ist bislang, inwieweit der Bund die Länder oder gar die Kommunen dafür in Regress nehmen könnte. Klar ist nur: Sollte es so weit kommen, könnte es teuer werden für den Steuerzahler.

Deshalb wird sich wohl auch die neue Chefin des Referats für Gesundheit und Umwelt, die Umweltjuristin Stephanie Jacobs, gleich nach ihrem Amtsantritt mit dem Problem befassen müssen. Am Mittwoch soll der Stadtrat die 37-Jährige, die von der CSU vorgeschlagen wurde, wählen. Bei ihrer Vorstellung vor gut einer Woche sagte sie, sie wolle vor allem auf Elektroautos und Carsharing setzen, um die Luft sauberer zu machen. Damit liegt sie voll auf der Linie der regierenden CSU-SPD-Koalition. Umweltschützern wie auch den Rathaus-Grünen reicht das aber nicht aus. Sie fordern härtere Maßnahmen, um den Autoverkehr einzudämmen, beispielsweise vorübergehende Zufahrtsperrungen, wenn zu viel Dreck in der Luft gemessen wird, oder eine drastische Anhebung der Parkgebühren. Auch die autofreie Innenstadt wird immer wieder verlangt. Die Deutsche Umwelthilfe hat bereits angekündigt, in Bälde erneut vor das Verwaltungsgericht zu ziehen, um solche Maßnahmen juristisch durchzusetzen. Das Thema dürfte also als eines der ersten auf dem Schreibtisch der neuen Referentin landen.

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