Ludwigsvorstadt:Lust auf mehr

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Ein gutes Team: Erika Erbach (rechts) arbeitet für die Schreiberklinik und macht dort zusammen mit der Direktionsassistentin Gabriele Kuhr Büroarbeit. (Foto: Catherina Hess)

Das Pilotprojekt "Senioren vermitteln Senioren" unterstützt Ruheständler dabei, trotz ihres Rentner-Lebens noch einen bezahlten Job zu finden - und auf diese Weise etwas dazuzuverdienen

Von Ellen Draxel, Ludwigsvorstadt

"In den Köpfen ist es einfach noch nicht drin, dass Senioren arbeiten." Eva Dittrich wirkt ernüchtert. Vor dreieinhalb Jahren hat sie das Pilotprojekt "Senioren vermitteln Senioren" (SvS) ins Leben gerufen - eine Initiative, die Ruheständler dabei unterstützt, trotz Rentner-Lebens noch einen bezahlten Job zu bekommen. Aber nach wie vor blitzen sie und ihr Team bei Arbeitgebern oft ab. "Dabei verliert man ja nicht sein Wissen und seine Erfahrung, nur weil man von einem Tag auf den anderen 65 geworden ist."

Viele Rentner, das weiß die 72-Jährige aus zahlreichen Gesprächen, wollen gerne arbeiten. Ihr Leben lang waren sie aktiv und möchten es auch weiterhin sein. Andere suchen eine Tagesstruktur, eine Aufgabe. Wer nur zu Hause sitzt, vereinsamt schnell. Zu Dittrich in die Schwanthalerstraße kommen aber auch viele Senioren, die wirklich Geld dazuverdienen müssen. Weil es ansonsten vorne und hinten nicht reicht: "Die Renten sind verheerend niedrig, da darf kein Kühlschrank kaputtgehen oder die Waschmaschine." Für rund 13 000 Münchner, die 65 Jahre oder älter sind und Grundsicherung erhalten, ist der Begriff der Altersarmut keine leere Worthülse.

Klar wurde das Eva Dittrich erst, als sie selbst kurz vor der Rente stand. Sie arbeitete damals für die gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung beruflicher und sozialer Integration (gfi) in der Erwachsenenbildung. Für Senioren organisierte sie Kurse - "wie buche ich Tickets bei der Bahn und so". Einen "Heidenspaß und enormen Elan" hätten die Rentner in diesen Kursen an den Tag gelegt, erinnert sie sich: "Das hat mich berührt". Dittrich gründete daraufhin den Salon Bavaria, zwanglose Treffen mit Vorträgen und Ausflügen, die anfangs nichts, später fünf Euro pro Aktion kosteten. Geld für Getränke und Referenten. "Aber selbst diese geringe Summe konnten viele Senioren nicht bezahlen - weil sie die paar Euro für ihre Zahnbehandlung oder Tabletten zusammensparen mussten." Dittrich wurde bewusst: "Wir müssen den Menschen die Chance geben, nochmals Geld zu verdienen."

An die 300 Namen finden sich in Dittrichs Vermittlungskartei. Für sie sucht die Initiative, für die die gfi immer noch als Träger fungiert, Jobs. Telefon-Akquise wird momentan angeboten, ein Hausmeisterposten, Parkhausbetreuung und Sekretariatsdienste. Häufig nachgefragt von Arbeitgeber-Seite werden Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen, "einmal hat sogar ein Internist aus Baden-Baden einen Arzt für vier Wochen als Praxisvertretung gesucht". Privatpersonen wenden sich an die Vermittlungsbörse, weil sie jemanden suchen, der für sie einkaufen geht und ab zu kocht. Oder weil sie jemanden brauchen, der die Hecke im Garten schneidet. "Jobs als Fahrer, Putzfrau oder Kantinenmitarbeiter bekommen wir auch öfter angeboten, und einige unserer Senioren machen das dann, weil sie keine andere Wahl haben - obwohl viele von ihnen exzellent ausgebildet sind und über jahrelange Berufserfahrung in ihrem Metier verfügen", sagt Dittrich.

Erika Erbach hatte mehr Glück. Seit etwa einem Jahr arbeitet die 66-Jährige in der Verwaltung der Schreiber-Klinik, sie unterstützt dort die Buchhaltung, sortiert Akten, heftet Lieferscheine ab. 45 Stunden im Monat, als Mini-Jobberin. Ihr Vertrag wurde gerade um ein Jahr verlängert. "Ich bin gelernte Buchhalterin und Bürokauffrau und wollte nach Rentenbeginn weiter berufstätig sein - zumal die Rente eh' nicht reicht, um weit zu springen." Wie viele Mütter hat auch sie nicht durchgängig in die Rentenkasse einbezahlt: Während der Erziehung ihres Sohnes war sie eine Zeitlang selbständig, Geld in die Altersvorsorge floss damals keines. Also suchte Erbach einen Job. "Ich habe mich bei Personalvermittlungen beworben, Steuerberatern, einem Anwalt - ohne Erfolg. Keiner wollte mich haben." Erst als sie sich an SvS wandte, klappte es ganz schnell.

Gabriele Kuhr, Direktionsassistentin in der Schreiber-Klinik, hatte von der Seniorenvermittlung im Internet gelesen und reagiert, weil sie sich jemanden mit Berufserfahrung wünschte: "Ständig hört man, dass Senioren nicht aufs Abstellgleis geschoben werden, sondern aktiv bleiben wollen." Ältere Menschen, das ist Kuhrs Erfahrung, machen auch mal gerne Arbeiten, die vielleicht nicht klassisch ins Berufsbild passen. "Hauptsache, es macht Spaß." Mit Erika Erbach ist Gabriele Kuhr hochzufrieden. Entsprechend gut sei die Stimmung im Büro, bestätigt Erbach.

Das Projekt "Senioren vermitteln Senioren" ist ein Modellversuch. Bei monatlichen Infoveranstaltungen oder in Einzelgesprächen bekommen die Rentner Tipps, wie sie sich bei Bewerbungsgesprächen verhalten sollen. Sie erfahren, dass sie keine Festanstellung und keine gründliche Einarbeitungszeit erwarten können, dass sie Probearbeit anbieten sollten, und dass joviales Auftreten von Vorteil ist. "Zu akzeptieren, dass der Job nur eine Beschäftigung ist und keine Lebensaufgabe, tut vielleicht weh - aber anders geht es nicht", sagt Eva Dittrich. Das digitale Zeitalter sei oft ein zusätzliches Handicap: Die meisten Senioren, sagt die SvS-Chefin, hätten noch nie einen Lebenslauf verfasst, besäßen keinen Computer und könnten ihn auch nicht bedienen. Deshalb übernimmt die Arbeitsvermittlung diesen Part für sie.

Auf Dauer allerdings, fürchtet Dittrich, werde sich die Initiative so nicht halten lassen. Die einzigen Einnahmen derzeit sind die Vermittlungsprovisionen der Arbeitgeber, meist 225 Euro, die Hälfte eines Monatseinkommens bei Mini-Jobbern. 2013 gab es einmalig einen Zuschuss von der Stadt, vergangenes Jahr vom Arbeitsministerium. Aber heuer muss Dittrichs früherer Arbeitgeber, die gfi, die das Projekt von Anfang an unterstützt hat, alle anfallenden Kosten selbst tragen. Das Projekt brauche dringend Sponsoren, sagt deshalb Dittrich. Und Firmen, die punkten wollten, indem sie dafür sorgen, dass die Wirtschaft auch in 20 Jahren noch funktioniert.

© SZ vom 02.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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