LGBT-Community in München:"München ist wesentlich schwulenfreundlicher als Berlin"

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"Ich rieche es gern, ich fühle es gern und ich trage es gern." Bei Werner Hall dreht sich viel um Leder. (Foto: Taco Smit)

Werner Hall vertritt als Bavarian Mister Leather alle schwulen, lesbischen, bisexuellen und Transgender-Mitglieder mit einem Fetisch. Doch nicht alle in der Szene mögen ihn - vielen ist er zu tolerant.

Von Isabel Winklbauer, München

Mit dem Leder ist das so eine Sache bei Werner Hall. Fragt man ihn danach, lacht er gleichzeitig belustigt und wissend und sagt: "Ich rieche es gern, ich fühle es gern und ich trage es gern. Sogar im Hochsommer brauche ich irgendein Lederteil an mir, und wenn es nur ein Gilet ist. Es ist eine Leidenschaft." Nun hat der "Münchner Löwen Club" im Frühjahr Werner Hall zum Bavarian Mister Leather 2016 erkoren. Bis zum Starkbieranstich 2017 vertritt der 49-Jährige den ältesten Schwulen-Klub der Stadt - und darüber hinaus alle schwulen, lesbischen, bisexuellen und Transgender-Mitglieder der bayerischen Szene mit einem Fetisch.

Das Amt sei durchaus ernst zu nehmen, sagt Hall, es gebe viel zu tun. Gerade jetzt in der Sommersaison habe er praktisch jedes Wochenende Repräsentationstermine, das sei eine Geduldsprobe für seinen Mann. Bei der Wahl zur Maikönigin Ende April kam er mit Hetero-Trachtlern ins Gespräch - "die Frauen sind da besonders aufgeschlossen". Auch bei der Wahl des Mister Leather und beim anschließenden Christopher Street Day in Warschau war er als Ehrengast zugegen. "Polen liegt mir sehr am Herzen", sagt er in einem freundlichen, schwäbischen Dialekt. "Durch den Rechtsruck in der Regierung haben die Schwulen dort starken Gegenwind. Die europäische Community soll zusammenstehen. Das ist mir wichtig." Hall begreift sich als vereinendes Moment. "Nur gemeinsam sind wir stark", lautet sein Motto.

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Zuletzt reiste er zur Wahl des International Mister Leather nach Chicago, wo er in seiner ledernen Motorradkluft und mit Schärpe Bayern vertrat. Auch in den USA klagten Homosexuellenverbände zuletzt über eine Welle offen gezeigter Feindseligkeiten. Nach dem Massaker von Orlando sorgen sie sich vor weiteren homophoben Angriffen. "Hass gegen die Community ist immer noch präsent", sagt auch Hall, dies beweise auch das schreckliche Attentat. "Daher dürfen wir uns nicht einschüchtern lassen und müssen weiterhin noch mehr Präsenz zeigen."

Während der Münchner "Pride-Week" Anfang Juli gibt Werner Hall auch der schwulen Fetischszene an der Isar ein Gesicht. Besonders freut er sich dabei auf eine Podiumsdiskussion mit Politikern verschiedener Fraktionen. Ihnen will er klar machen, dass Vielfalt grenzenlosen Respekt verdient. "München ist schließlich eine Pink-City", sagt er, "eine der wenigen der Welt und wesentlich schwulenfreundlicher als Berlin. Akzeptanz und Respekt sollten hier selbstverständlich dazu gehören."

Auch wenn München im Grunde genommen vorbildlich ist, ist noch lange nicht alles erreicht. Schwulenhasser gibt es nicht nur in Russland oder Florida, sondern auch am Sendlinger Tor: Erst vor wenigen Wochen habe dort eine Clique von Männern seinen Kumpel verprügeln wollen, sagt Hall, nur weil er sich gegen Pöbeleien gewehrt hatte. "Einfach zu sagen: So, jetzt sind wir gleichgestellt und leben eins zu eins zusammen - da ist es noch lange hin."

Engagiert in der Jugendarbeit

Um schwulen und lesbischen Fetisch-Fans die Ängste zu nehmen, engagiert sich der bayerische Mister Leather auch in der Jugendarbeit. Er gibt Workshops für all jene, die noch Mut fassen müssen, sich nicht nur als schwul oder lesbisch zu outen, sondern womöglich auch zu ihrer Liebe zu 18 Zentimeter hohen High Heels zu stehen. Wenn ein Mann gerne Frauenkleider anzieht, ist das in Ordnung, lautet seine Botschaft. Das Leben mit einem Fetisch kann immerhin kompliziert werden, wenn die Arbeitskollegen oder Lehrer kein Verständnis haben oder Eltern in Tränen ausbrechen.

Hall versucht, den Teenagern und jungen Erwachsenen von seinem Selbstbewusstsein etwas abzugeben. Er selbst war schon einmal in einer Hetero-Ehe verheiratet, aus der er eine Tochter hat. Die Scheidung, das Sorgerecht für die Tochter, die bei ihm und seinem neuen Mann aufwuchs, die Gespräche mit Schuldirektoren, Erklärungen an Außenstehende, der Umzug vor eineinhalb Jahren aus Ravensburg nach München und der Eintritt in die neue Münchner Schwulengemeinde - das hat ihn stark gemacht.

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Zudem ist der Betriebswirt aus dem baden-württembergischen Weingarten Geschäftsführer seiner eigenen Maschinenbaufirma. Auch in dieser Position trägt er übrigens Leder, entweder schwarze Lederhosen oder eine Trachtenlederhose. "Ich gehe damit offen um. Das macht alles einfacher."

Mister Leather gilt als Revoluzzer

Nicht alle Queers sind begeistert von Werner Hall. In der Szene gilt er als Revoluzzer, weil er Lesben gegenüber aufgeschlossen ist. "Für manche schwulen Hardliner geht das überhaupt nicht", erklärt er, "die wollen mit Frauen wirklich gar nichts zu tun haben." In der Sache könne man noch viel von den USA lernen, findet er. Zuletzt in Chicago sei selbstverständlich auch eine Miss Leather zur Wahl eingeladen gewesen, und die lesbischen Fetisch-Klubs solidarisierten sich ganz natürlich mit denen der Jungs, es gebe viele gemeinsame Veranstaltungen. Das sei in München undenkbar.

"Über mir wohnt ein lesbisches Ehepaar", erzählt er, "die beiden wollten gerne zu meiner Wahl im Februar kommen. Doch ich musste ihnen absagen, weil Frauen bei dieser Veranstaltung nicht zugelassen sind. Das fand ich sehr schade. Wenn wir Schwulen Respekt wollen, müssen wir doch auch mit gutem Beispiel voran gehen und selbst Andere respektieren."

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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