Massenmord in Orlando:Das bittere Glück, überlebt zu haben

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Die Überlebenden von Orlando versteckten sich, rannten davon oder gerieten durch Zufall aus dem Visier des Todesschützen. Einige von ihnen plagen Schuldgefühle.

Von Johannes Kuhn, Orlando

Sie sind ganz in die Nähe des Ortes zurückgekehrt, der ihr Leben verändert hat. Nicht weit entfernt von den Absperrungen und den blinkenden Polizeilichtern erzählen Jeannete McCoy und Yvens Carrenard den TV-Teams von ihrem Überleben.

"Ich ging mit meinen Hetero-Freunden ins Puls, weil es mir nicht gut ging", erzählt die Fitnesstrainerin McCoy. "Aber in dem Moment, als die ersten Schüsse fielen, war es wie im Krieg."

McCoy steht in der Nähe der Bar, als Omar Mateen zu schießen beginnt - da hatte sich ihre Clique schon bereit gemacht, nach Hause zu gehen. Die ersten Menschen um sie herum beginnen hinzufallen, von der Decke fallen Trümmer. "Ich sah die Waffe, die Blitze der Kugeln, die aus ihr kommen."

McCoy flüchtet, an Clubbesuchern vorbei, über Menschen, die bereits am Boden liegen. Sie rettet sich, doch draußen vor dem Klub sieht sie einen Freund, den Barkeeper. Er ist am Bein getroffen, sie bindet seine Wunde ab. Einer anderen blutenden Frau redet sie gut zu und drückt ihre Verletzung mit der Hand ab.

Im Büro vor dem Killer versteckt

Ihr guter Freund Yvens Carrenard lehnt gerade etwas müde an einer Wand neben der Bar, als er die Mini-Explosionen hört. Der Afroamerikaner hat schon in weniger friedlichen US-Städten gelebt: "Ich wusste deshalb sofort, dass das Schüsse waren." Neben der Bar des Pulse befindet sich eine Tür, die in einen kleinen Nebenraum führt. Dort versteckt er sich mit einer Handvoll anderer Besucher, einer blutet bereits. "Ich blickte oben in die Ecke und sah eine Leiter, die nach oben führte. Wir kletterten hinauf und versteckten uns unter dem Tisch."

Während unter ihnen Menschen schreien und um Hilfe rufen, harrt die Gruppe im Büro des Pulse unter den Schreibtischen aus, bis ein Einsatzkommando eintrifft. Als sie den Club endlich verlassen, liegen überall Tote. Carrenard versucht, zu erkennen, ob McCoy oder andere Freunde darunter sind. Von ihrem Schicksal erfährt er erst viele Stunden später.

Jeannete McCoys bester Freund ist inzwischen eines der Gesichter des Massakers. Die Bilder seines Auftritts auf einer Krankenhaus-Pressekonferenz flirren immer wieder über alle Sender. Eindringlich, schmerzhaft, erzählt er den Moment, als er ins Bein getroffen wird: "Ich fiel um und wollte wieder aufstehen, doch die Menschen rannten über mich hinweg und zertrümmerten die Knochen in meinem linken Bein."

Später, als er am Boden liegt, verschwindet der Täter für einige Minuten in einem Nebenraum. Colon kann sich nicht aufrichten und sieht, wie er zurückkommt und nacheinander alle am Boden liegenden, selbst die bereits Getöteten, nochmals erschießt. "Ich sehe nach drüben und er bringt das Mädchen neben mir um", erzählt er weinend.

Als Colon an der Reihe ist, rechnet er damit zu sterben - doch der Schütze verfehlt seinen Kopf und trifft ihn in Hand und Hüfte. Er stellt sich tot und der Täter geht weiter. Am Ende zieht ein Polizist Colon aus dem Club, über Glasscherben hinweg, die seinen Körper aufschneiden.

"Er wirkte derangiert"

"Wir hatten die beste Zeit unseres Lebens und von einer Minute auf die andere war es die schlimmste Nacht unseres Lebens", erzählt Patience Carter am Dienstag den anwesenden Journalisten im Krankenhaus.

Die 20-Jährige ist am Samstagabend mit ihren Freundinnen Tiara Parker, 21, und Akyra Murray, 18, im Pulse. Als sie gerade den Klub verlassen wollen, beginnt die Schießerei.

Unter Tränen erzählt Carter, wie sich Mateen durch den Club schießt und sich die drei jungen Frauen in der Panik zunächst verlieren. Sie und Akyra Murray schaffen es zunächst sogar nach draußen, verlieren Parker aber. Sie gehen wieder zurück in den Club, um ihre Freundin zu suchen.

Die Überlebende Patience Carter kämpft mit den Tränen (Foto: AP)

Die drei verstecken sich schließlich wie viele andere auf den Toiletten. Als der Killer dort auftaucht und wild um sich ballert, werden sie alle drei von Kugeln getroffen. Murray ist schwer am Arm verletzt und blutet stark. Parker liegt in der engen Kabine auf ihr und versucht mit ihrem Körper, die Blutung zu stillen.

Mateen ruft von den Toiletten aus den Notruf an. "Er sagte, er tue das, weil er wolle, dass Amerika aufhört, sein Land zu bombardieren", erzählt Carter. Mateen ist in den USA geboren, seine Eltern stammen aus Afghanistan. "Er wirkte derangiert. Er sah aus, als wäre mental etwas nicht in Ordnung mit ihm", erinnert sich Parker. Carter zufolge fragt er, ob Afroamerikaner anwesend seien. Eine Frau meldet sich. Er sagt: "Ich habe kein Problem mit Schwarzen. Es geht um mein Land. Ihr habt genug gelitten."

"Schuldig, glücklich darüber zu ein, überlebt zu haben"

Carter glaubt, dass sie ihr Leben einem der Todesopfer verdankt: "Mein Bein war angeschossen und ich war unter einer anderen Person eingeklemmt. Das war mein Schutzschild, ohne diese Person wäre ich erschossen worden und jetzt nicht mehr hier."

Stundenlang liegen die Frauen mit großen Schmerzen in der überfüllten Toilette, bis sie von Rettungskräften abtransportiert werden. Akyra Murray schafft es nicht, sie erliegt ihren schweren Verletzungen. Mit 18 Jahren ist sie das jüngste Opfer des Schusswaffen-Massakers.

Akyra Murray, das jüngste Opfer Omar Mateens, wollte ihre Freundin nicht zurücklassen. (Foto: REUTERS)

Die Tragik: Sie hätte überleben können, sie hatte den Club schon verlassen. Sie kam nur zurück, weil sie ihre Freundin nicht zurücklassen wollte. Unter Tränen sagt Carter: "Ich fühle mich schuldig, glücklich darüber zu sein, überlebt zu haben."

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