Verein für Frauen ohne Obdach:Frucht der Solidarität

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Helene Nestler aus Neubiberg kocht Marmelade ein als Zeichen für Emanzipation. Ihr Verein "Mammalade für Karla" unterstützt obdachlose Frauen und Kinder.

Von Ulrike Schuster, Neubiberg

Ob Marmeladekochen etwas mit emanzipierten Frauen zu tun haben könne, fragt Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler die Frauen, die am Dreikönigstag in der Neubiberger Corneliuskirche sitzen. Im Fall von "Mammalade für Karla", dem neu gegründeten Verein von Helene Nestler, eine ganze Menge. Ihre Marmelade macht nämlich das Leben anderer Frauen ein Stück bunter und hoffnungsvoller. Geholfen wird den Frauen von "Karla 51", die neu anfangen wollen, aber nicht wissen, wo sie unterkommen sollen, wo es mit den Kindern hingeht. Plötzlich haben sie eine besonders Furcht einflößende Form der Armut vor Augen - ohne Obdach zu sein.

Aus aussortierten Früchten wird Marmelade wird Unterstützung

Warum zur Hilfe nicht das nehmen, was andere wegwerfen, weil es nicht perfekt ist, dachte sich Nestler. Manch eine Pflaume, Kirsche oder Birne gerät nun einmal krumm, kurz, schrumpelig - so will es die Natur, aber eben nicht der Handel und nicht die Kunden. "Wir entsorgen uns doch auch nicht, nur weil wir nicht in die Norm passen", sagt Nestler, 61. "Im Gegenteil, wir erfinden uns neu, sind kreativ." Gleiches tut sie mit der Frucht: Aus der drittklassigen Pflaume macht sie erstklassige Marmelade. Haben Supermärkte und Speditionen ihre aussortierten Obstpaletten geliefert, dreht Nestler den Herd auf und rührt Früchte, Zitronensaft und Gelierzucker zusammen. Am vergangenen Freitag ergaben sechs Stunden Kochen 160 Gläschen, die für je zwei Euro zum Gründungsgottesdienst des Vereins verkauft wurden.

Es sind energievolle "Power-Worte", die Regionalbischöfin Breit-Keßler, Schirmfrau von "Mammalade", wählt - "von starker Schwester zu starker Schwester". Es sind keine Segens-Worte, die sie den 60 Frauen, die meisten irgendwo ehrenamtlich in der Kirche im Einsatz, zuruft. Es ist auch kein langes Dankeschön, das der Seele schmeichelt. Die Kirchenfrau beschwört lieber weibliche Solidarität; erinnert, wozu sich die Starken für die Schwächeren einsetzen - weil jede Frau die gleiche Pflicht entdecken sollte: sich ihre Freiheit und Würde zu wahren.

Regionalbischöfin Breit-Keßler ermutigt die Frauen

Die Regionalbischöfin spielt den Titelsong aus dem Neunzigerjahrefilm "Club der Teufelinnen" ab. "Sisters are doing it for themselves" - "Schwestern tun es ganz für sich allein" heißt der Song, in dem Sängerin und Frauenrechtlerin Annie Lennox selbstbestimmte Frauen feiert. Frauen, die erkannt haben, dass die Gleichung "Hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau" nur für den Mann aufgeht. Im Film verlassen die Frauen ihre Häuser, um fortan die Hauptrolle in ihrem eigenen Leben zu spielen, über das nur sie allein regieren, sie machen ihr eigenes Ding.

Die Frauen, die bei "Karla 51" ein Bett, ein Ohr und eine Mahlzeit finden, stehen noch ganz am Anfang dieser Wegstrecke, aber "allein sich der Wahrheit zu stellen, ist eine enorme Leistung", sagt Breit-Keßler. "Es braucht Mut, Stolz und Scham zu überwinden, und Hilfe anzunehmen."

40 Frauen tun das derzeit, so viele wie es Einzelzimmer in der Notunterkunft des evangelischen Hilfswerk gibt. Insgesamt 198 Frauen und 30 Kinder fanden im vergangenen Jahr dort an der Karlstraße in München Unterschlupf. "Theoretisch sollte jede Frau nicht länger als acht Wochen bleiben, aber oft ist die individuelle Situation so problematisch, dass sie länger bleiben", sagt Isabel Schmidhuber, Leiterin der Einrichtung. Am längsten blieben die mit Kindern, für sie sei es am schwierigsten eine "Anschlussunterkunft" zu finden. Und andere wiederum kämen nur für ein paar Stunden, um sich in Ruhe schlafen zu legen, frei von Angst.

In der Einrichtung "Karla 51" finden 40 Frauen ein Obdach

Laut "Jahresbericht 2015" benötigen mehr als 70 Prozent der Frauen die Hilfe, weil sie sich in einer "psycho-sozialen Krise" befinden, gar nicht in der Lage sind, selbständiges Wohnen zu organisieren; zweitens finden sie nach der Trennung vom Partner keine neue, bezahlbare Wohnung. In der Notunterkunft landen sie, sobald sie die Couch bei Bekannten räumen müssen oder sie es in der gemeinsamen Ehewohnung nicht mehr aushalten. Mehr als die Hälfte der Frauen ist älter als 40, die älteste 86. Der Anteil der Frauen ohne deutschen Pass liegt bei 58 Prozent, die meisten haben ungarische, polnische und rumänische Wurzeln. "In aller Regel leben die Frauen schon sehr lange in Deutschland, arbeiten Vollzeit und sind trotzdem bitterarm", sagt Schmidhuber.

Seit zwölf Jahren kocht Nestler für die Frauen im Karla ein warmes Essen, zuletzt an Weihnachten. Es gab Schnitzel mit Kartoffelsalat. Die Mammalade ist Nestlers "Projekt für die Rente", sie soll eine "Unruhezeit" werden. Verkaufen will die Neubibergerin die Gläser in Sozialkaufhäusern wie der Klawotte. Nestler hofft, dass der Marmeladen-Erlös ab und zu einen kleinen Luxus für die Frauen hergibt, "schon einen Lippenstift aufzutragen, macht glücklich".

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Sie schminken sich in Kaufhäusern, decken sich in Kleiderkammern ein und versuchen ihre Lage zu vertuschen, doch auch in München gibt es viele obdachlose Frauen. Der Stadtrat will ihnen nun helfen.

Von Stefan Mühleisen

Schirmherrin Breit-Keßler würde am liebsten auch Männer an den Töpfen sehen, die danach abends stolz über ihre Ernte berichten. Schon Friedrich Schlegel, der Philosoph der Romantik, wusste, dass nur selbstständige Weiblichkeit und sanfte Männlichkeit schön sind. Die Schirmherrin findet, das sei die Zukunft.

© SZ vom 10.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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