40 Jahre Gebietsreform:Das gallische Dorf

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Ein eigener Ort braucht eine eigene Ortschronik. (Foto: SEBASTIAN GABRIEL +4917696610685)

Auch vier Jahrzehnte nach dem Anschluss an Grasbrunn haben sich die Harthauser ihre Eigenheiten bewahrt. Deshalb können sie mit dem Verlust ihrer einstigen Selbständigkeit auch gut leben.

Von Lars Brunckhorst

Vor drei Wochen, da kamen sie kurzzeitig gehörig ins Schwitzen. Beim Aufstellen wäre ihnen doch fast der Maibaum weggerutscht. Es gehört viel Kraft, Geschick und noch mehr Koordination dazu, so einen 35-Meter-Stamm nur mit Schwalben - zusammengebundenen Stangenpaaren - und Muskelschmalz über Stunden in die Senkrechte zu hieven.

Ein Fehler - und der tonnenschwere Baum kracht um und bricht in Stücke, wenn er nicht gar Umstehende erschlägt. Wie in Treuchtlingen, wo heuer eine Frau von der abbrechenden Maibaumspitze getroffen wurde. Aber die Harthauser hielten zusammen und bekamen den schwankenden Baum nach brenzligen Minuten in den Griff. Am Ende stand er kerzengerade am Dorfplatz und um ihn herum wurde ausgelassen gefeiert.

Der Maibaum, der vor drei Wochen aufgestellt wurde, steht für den Stolz und die Eigenständigkeit des Dorfes. (Foto: Sebastian Gabriel)

Die Harthauser bewiesen damit am 1. Mai wieder einmal, was sie auszeichnet: ihr Zusammenhalt. Ob beim Maibaumfest, bei der 1200-Jahr-Feier vor vier Jahren oder im Alltag - wer einen Harthauser fragt, was er an seinem Dorf am meisten schätzt, hört immer wieder diese Worte: die Gemeinschaft, das Miteinander - eben das Zusammenstehen. "Wir haben unsere Eigenständigkeit bewahrt."

Haradhusun - der älteste Teil der Gemeinde

Der Dorfladen von Johanna Mayer (im Bild mit den Vereinsvertretern Günter Okon, Ralf Wagner und Hans Leibig) ist Treff- und Mittelpunkt des Ortes. (Foto: Sebastian Gabriel)

Dieser Satz fällt mehrmals am Tisch vor dem Dorfladen, und der Zuhörer kann am Ende nicht mehr genau sagen, wer ihn gesagt hat. Wahrscheinlich alle. Günter Okon, Ralf Wagner und Hans Liebig sitzen hier an einem sonnigen Spätnachmittag, um beim Kaffee zu erzählen, was Harthausen von der übrigen Gemeinde Grasbrunn unterscheidet, zu der das Dorf fast auf den Tag genau 40 Jahre gehört. Die drei, die entweder schon immer oder zumindest doch sehr, sehr lange hier zu Hause sind, tun das mit viel Stolz. Schließlich ist Harthausen, das 814 als Haradhusun erstmals urkundlich erwähnt wurde, der älteste Teil der Gemeinde.

Der Dorfladen ist ein guter Ort, um Harthausen und die Harthauser kennenzulernen - und ihre Eigenständigkeit und Eigenheiten, die andernorts in der Gemeinde mitunter auch als Eigensinnigkeit empfunden werden. Das Lebensmittelgeschäft wurde vor zehn Jahren von Bürgern gegründet.

Die erst kürzlich erfolgte Umbenennung der Kirchenstraße zeigt indes, dass man sich 40 Jahre nach der Gebietsreform dem größeren Nachbarort beugen muss. (Foto: Sebastian Gabriel)

Am Ort gab es schon lange kein Geschäft mehr, auch keinen Bäcker und der letzte Metzger hatte ebenfalls zugemacht. Im alten Feuerwehrhaus öffneten Johanna Mayer und ihre Mitstreiter - mit Hilfe der Gemeinde und viel Mut - ihren kleinen Laden. Dort gibt es von Obst und Gemüse über Milchprodukte und Konserven bis zu Wurst, Brot und Bio-Eiern alles, was man in der Küche braucht.

Und die Harthauser kaufen hier nicht nur ein, wenn gerade mal das Mehl aus ist. "Viele erledigen ihren ganzen Wocheneinkauf", sagt die Chefin. Dabei bleibt - denn der Dorfladen ist auch Treffpunkt und nicht nur Umschlagplatz für Waren, sondern auch für Nachrichten - Zeit für einen Ratsch. Und die Kinder kaufen sich von ihrem Taschengeld für ein paar Zehnerl aus den offenen Dosen eine Gummischlange oder Bonbons. Hier ist das Dorf noch fast wie in der guten alten Zeit.

Interessenswahrer Harthausens: Ewald Wagner. (Foto: Sebastian Gabriel)

"Früher war hier schon mehr."

Die liegt dabei schon eine ganze Weile zurück. Früher gab es einmal zwei Tante-Emma-Läden, eine eigene Post, zwei Gasthäuser - in einem davon konnte man auch Billard spielen - und sogar ein Kino. Jetzt gibt es nicht einmal mehr eine Wirtschaft, sondern nur noch eine Pension, wo unter der Woche Monteure absteigen. Und das alte Schulhaus ist einem Nachbau mit modernen Wohnungen gewichen. "Früher war hier schon mehr", sagen sie hier und zucken mit den Achseln.

Den Mangel an Infrastruktur gleichen die Einwohner aus durch Aktivitäten: Acht Vereine gibt es, vom Burschenverein über das Dorftheater bis zum Stopselclub, der bereits 1957 gegründet wurde. Darauf ist man stolz und auf das, was diese Vereine alles auf die Beine stellen: Etwa die 1200-Jahr-Feier vor vier Jahren oder das Maibaumaufstellen vor drei Wochen, als mehrere tausend Besucher kamen - "so viele wie noch nie".

Auch auf das Programm ihres Amateurtheaters bilden sich die Harthauser etwas ein - nicht nur, weil zu den Aufführungen regelmäßig der Milliardär August von Finck aus der Schweiz zu Besuch kommt, der in Möschenfeld, auf dem Familiengut, aufgewachsen ist. Auf den Baron halten sie in Harthausen immer noch große Stücke und können nicht verstehen, warum die Grasbrunner und Neukeferloher vor zehn Jahren die Pläne der Finckschen Güter für einen Golfplatz verhindert haben. Weil diese sich - aus Revanche - seither standhaft weigern, der Gemeinde Grund abzutreten, wartet man weiter vergeblich auf einen Radweg nach Grasbrunn, was das Zusammenwachsen beider Orte nicht unbedingt erleichtert. "Es war nicht immer das innigste Verhältnis", sagt Josef Karl, der Vorsitzende des Heimatkreises und selbst Harthauser.

Aber was soll der Harthauser auch in Grasbrunn? Dort gibt es noch weniger Einkaufsmöglichkeiten und allenfalls einmal im Jahr ein Sonnwendfeuer. Rathaus, Schule, Bürgersaal und Bücherei stehen im größeren Ortsteil Neukeferloh. Und ein Bürgerhaus hat Harthausen, ebenso wie einen Kindergarten und eine Feuerwehr selbst.

Das Bürgerhaus ist so ein Clou, den die schlitzohrigen Harthauser sich in den Verhandlungen mit Grasbrunn 1977 ausbedungen hatten. Mit der Zusage, dass das katholische Jugendheim ausgebaut wird, sicherten sie ab, dass ihr im Gemeindesäckel angespartes Vermögen nach der Reform auch im Dorf investiert wurde. Der langjährige Gemeinderat Ewald Wagner, nach dem Krieg als Kind in Harthausen sesshaft geworden, führte damals als Vorstand der eigens gegründeten Bürgervereinigung mit Bürgermeister Jakob Karg die Verhandlungen mit Grasbrunn und findet heute noch: Der Anschluss an Grasbrunn sei "das Beste" für Harthausen gewesen. Das sieht auch Günter Okon, der Sprecher der Ortsvereine, so: "Die Entscheidung für Grasbrunn war richtig."

"Was der Wald getrennt hat. soll der Mensch nicht zusammenführen."

Dennoch: Obwohl die Gebietsreform vier Jahrzehnte zurückliegt, die Kinder seit zwei Generationen zusammen mit den Grasbrunnern in Neukeferloh zur Schule gehen und ihre Väter in Grasbrunn Fußball spielen, legen die etwa tausend Einwohner Wert darauf, Harthauser und nicht Grasbrunner zu sein. Als solcher würde sich hier draußen an der Grenze zum Landkreis Ebersberg niemand bezeichnen. "Grasbrunn hat nichts mit Harthausen zu tun und Harthausen nichts mit Grasbrunn", sagt ein Alteingesessener. "Das war schon immer so und ich kann keine andere Tendenz erkennen."

"Was der Wald getrennt hat, soll der Mensch nicht zusammenführen", stößt Vereinssprecher Okon ins gleiche Horn. Er selbst ist zwar seit fünf Jahren in Grasbrunn zu Hause, legt aber wert auf die Feststellung: "Ich wohne da nur. Mein Lebensmittelpunkt bleibt Harthausen." So kämpft er weiter für einen Vereinsstadel im Dorf - und gegen die Vorbehalte, die es dagegen im Gemeinderat gibt, vor allem wegen der Kosten, mehreren hunderttausend Euro. So viel wollen die Harthauser von der Gemeinde - für sich, ihre Feste und ihre Traditionen.

"Das Eigenständigkeitsdenken der Harthauser ist schon sehr ausgeprägt", sagt dazu Grasbrunns Bürgermeister Klaus Korneder, und es ist nicht ganz herauszuhören, ob er das mehr anerkennend oder entnervt meint. Jedenfalls spricht Korneder gerne von "meinem gallischen Dorf" - was er keineswegs böse meint und was in Harthausen als "Ehre" verstanden wird. Immerhin hatten sie im Grasbrunner Rathaus so viel Respekt vor den Harthausern, dass es 40 Jahre gedauert hat, bis drei Straßen umbenannt wurden: Weil es die Namen seit der Gebietsreform in der Gemeinde doppelt gab, wurden die Gartenstraße, die Waldstraße und die Kirchenstraße heuer umbenannt. Sie heißen jetzt Lindenweg, Rosenstraße und Kirchweg. Damit bestätigte sich mal wieder, was viele Harthauser denken: Dass sie stets zurückstecken müssen, weil sie die wenigeren sind. Denn in Neukeferloh wurde gleichzeitig nur eine Straße umbenannt, in Grasbrunn gar keine.

Und doch: Wenn was los ist, dann kommen sie auch aus Grasbrunn und Neukeferloh nach Harthausen. Vor drei Wochen etwa zum Maibaumaufstellen. Um dann gemeinsam kurz den Atem anzuhalten - und danach vereint zu feiern.

© SZ vom 19.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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