SZ-Serie "Landmarken":Auf der Suche nach dem richtigen Rezept

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Siegertsbrunns Alte Apotheke hat eine lange Geschichte. Nun wird das denkmalgeschützte Gebäude wohl saniert

Von Antonia Hofmann, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Wer die Bahnhofsstraße entlang durch Siegertsbrunn streift, passiert einen Ort der Erinnerungen. 1913 erbaut hat die Alte Apotheke heute augenscheinlich ihre besten Zeiten hinter sich. Das anthrazitfarbene Holz der Fensterläden ist alt und rau, der Lack stellenweise abgeblättert. Über dem Verkaufsraum liest man in ausgeblichenen Buchstaben "St. Leonhards Apotheke", an der Eingangstür steht "Geschlossen".

Ein Blick durch die große, vergitterte Schaufensterscheibe versetzt einen jedoch in die Vergangenheit zurück. Hier sieht noch alles aus wie vor 30 Jahren. Alte Holzregale säumen die Wand, auf Apothekenschubfächern sind Schildchen mit Aufschriften wie "Mullbinden" angebracht. Wer einen Rundgang durch das alte Haus wagt, begibt sich auf eine kleine Zeitreise.

Nicht nur der Apothekenraum zeugt von der früheren Bedeutung des Hauses für die Gemeinde, auch Spuren anderer Bewohner finden sich überall. Bunt bemalte Wände im Raum der ehemaligen Zwergerlstube, die Theke des Café Lichtblick oder zahlreiche Bücher des Literaturkreises. In mehr als hundert Jahren ist hier viel passiert, jetzt könnte das alte Haus mit der Nummer 30 in neuem Glanz erstrahlen.

Ob Kursen, Literaturkreis oder einem Café - die Alte Apotheke hat seit ihrer Schließung vor 30 Jahren vielem Raum geboten.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Immer noch ordentlich und übersichtlich.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Doch für die Vielzahl an Medikamenten, die es heute gibt, reichen die Schränke schon lange nicht mehr.

Für so eine kleine Apotheke gibt es mittlerweile zu viele Medikamente

Wolfgang Bethke kennt die Geschichte der Alten Apotheke. Er hat sie gemeinsam mit denen zahlreicher weiterer Siegertsbrunner Gebäuden vor Jahren in seiner Ortschronik aufgeschrieben. Demnach wurde das zweistöckige Haus vom Münchner Schreinerehepaar Benedikt und Magdalena Ahorner - nach denen später die Ahornstraße benannt wurde - gebaut. Sie verkauften es wenig später an den Siegertsbrunner Sägewerksbesitzer Valentin Sebastian Inselkammer, der es als Wohnhaus nutzte, wie es in Bethkes Chronik heißt. Im ersten Stock mietete sich zeitweise auch eine Zahnarztpraxis ein.

1956 dann eröffnete im Erdgeschoss die "St. Leonhards Apotheke", die erste in Höhenkirchen und Siegertsbrunn. Die ersten Pächter übergaben schon wenige Jahre später an Johann Kothe, der mit seiner Frau aus Amberg nach Siegertsbrunn kam. 1990 zog die Apotheke unter Leitung seiner Tochter Monika Ringer in das neue Sparkassengebäude schräg gegenüber. Hier gab es mehr Platz.

Die Erinnerung an die Geschichte der Alten Apotheke will Mindy Konwitschny erhalten. (Foto: Angelika Bardehle)

Mit der Vielzahl an Medikamenten und Gesetzen sei es heute undenkbar, den alten Verkaufsraum noch als Apotheke zu nutzen, sagt Hermine de Felice, die als Apothekenhelferin schon in der Alten Apotheke arbeitete. "Selbst die Kasse war noch mechanisch." Aber damals sei das alles in Ordnung gewesen, meint sie. Es sei übersichtlicher gewesen, man habe den Bestand gekannt und gewusst, wo man die Dinge findet. "Die Alte Apotheke hat ihren Reiz."

20 Jahre lang war hier der Frauentreff zu hause

Unter der lächelnden Sonne war viele Jahre die Zwergerlstube untergebracht. (Foto: Angelika Bardehle)

1990 mietete die Gemeinde das Haus an, 2013 kaufte sie es der Erbengemeinschaft Inselkammer ab. Während einige Räume im ersten und zweiten Stock zu Wohnzwecken vermietet wurden, diente vor allem der Verkaufsraum in den vergangenen Jahrzehnten als Treffpunkt für Vereine, Kurse, den Literaturkreis und das Café Lichtblick. Über 20 Jahre organisierte Christiane Filgis für den Frauentreff hier einmal in der Woche Kuchen- und Kaffeeverkauf für einen guten Zweck. Die Frauen räumten Geschirr und Bücher in die Regale, drapierten schöne Kissen. Sie hätten den Raum "immer schön hergerichtet und gedeckt", erinnert sich Filgis.

Ein "Riesenglücksgriff" war das Haus auch für die Zwergerlstube, sagt Anita Reiprich, SPD-Gemeinderätin und damalige Leiterin des Mutter-Kind-Treffs. Als dieser 1990 aus seiner damaligen Unterkunft ausziehen musste, stellte die Gemeinde einige Räume der Alten Apotheke zur Verfügung - wie gemacht für die Zwergerlstube, erinnert sich Reiprich. Durch die Küche gelangten die Kinder in den von einem alten Holzzaun umsäumten Garten mit Schaukel, Rutsche und Sandkasten.

Zweimal die Woche trafen sich Mütter und Kinder in den Gruppen, später richtete sich im ersten Stock eine Spielgruppe ein. Die Zwergerlstube, so Reiprich, habe immer auch den Zweck gehabt, neu zugezogene Menschen zu integrieren. So sei es ihr Ende der Achtzigerjahre und im Laufe der Zeit auch vielen weiteren Frauen ergangen. "Generationen von Frauen" aus der Zwergerlstube hätten gute Erinnerungen daran.

Im Sommer 2014 fand das rege Geschehen in der Alten Apotheke ein plötzliches Ende. Der Brandschutz sei unzureichend, hieß es damals, Kurse, Vereine und auch die Zwergerlstube mussten raus. Das Gebäude wurde entkernt. Während das benachbarte Ruf-Gelände in den vergangenen Jahren für ein neues Familienzentrum überplant wurde, war lange nicht klar, was mit der Alten Apotheke passieren sollte. Abriss oder teure Sanierung? Diese Entscheidung wurde der Gemeinde in der Zwischenzeit abgenommen.

Ein Foto in der SZ rief den Denkmalschutz auf den Plan

Ein Foto in der SZ, so vermutet es jedenfalls die Zweite Bürgermeisterin Mindy Konwitschny (SPD), rief den Denkmalschutz auf den Plan. Seit Januar 2015 steht die Fassade der Alten Apotheke nun unter Denkmalschutz. Die Anordnung der Fenster mit den alten Läden, Balkon und Gaube mit den Ornamenten - das alles sei schützenswert, meint die Behörde.

Auch Reiprich war laut eigener Aussage immer gegen einen Abriss - bei entsprechender Sanierung. Und die ist bitter nötig. Denn wer heute durch die Gänge der Alten Apotheke geht, kann nicht glauben, dass die Räume vor zwei Jahren noch so vielseitig genutzt wurden. Verstaubte Dielen, Löcher in den Wänden, alte Tapeten und Spinnweben - teuer wird eine Sanierung sicher: Die Elektrik und die Sanitäranlagen - man müsse "ganz viel machen", sagt Konwitschny. Wie man die Räume nutzen werde, stehe noch nicht fest. Eventuell für eine Großtagespflege, im Verkaufsraum vielleicht für ein Museum.

Seit mehr als hundert Jahren gehört die Alte Apotheke nun zur Gemeinde, sei ein "Teil der Geschichte". Mit einem Abriss, warnt die Zweite Bürgermeisterin, würde auch das Wissen um dieses Haus verloren gehen.

© SZ vom 09.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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