SZ-Adventskalender:Alles verloren

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Familie S. kommt jeden Freitag zum Isartaler Tisch wo sie Gemeinschaft finden, in die Sozialsprechstunde gehen und Lebensmittel und Kleidung bekommen. (Foto: Angelika Bardehle)

Familie S. musste im Irak alles aufgeben, dann kamen gesundheitliche Probleme dazu

Von Gudrun Passarge, Pullach

Geduldig sitzt Familie S. beim Isartaler Tisch und wartet darauf, dass ihre Nummer aufgerufen wird. Frau S. und Herr S. kommen regelmäßig am Freitag zur Ausgabestelle, denn das Arbeitslosengeld II lässt keine großen Sprünge zu. Die Waren des Tisches und auch die Sozialberatung "helfen uns sehr", erzählt der Familienvater. Der 42-Jährige, der aus dem Irak stammt, kennt auch ein anderes Leben. Eines als Kaufmann in seiner Heimat, mit großem Haus und sorgenfreiem Leben. Bis zu dem Tag, da die Polizei ihn suchte.

Er habe keine Ahnung gehabt, warum, erzählt S. Er habe sogar auf der Wache angerufen und nachgefragt, aber der Mann am Telefon wusste auch von nichts. Von seinem Onkel erfuhr er dann den Grund: In einem seiner Lastwagen waren nicht nur Obst und Gemüse für Bagdad geladen, sondern auch eine Bombe. Von einer Minute auf die andere war er verdächtig, ein Staatsfeind zu sein, und hatte alles verloren. Wie die Bombe in seinen Lkw kam, wisse er nicht. "Ich habe keine Ahnung davon gehabt", betont er.

Die Familie floh 2002, ließ alles zurück. Da fing es an mit den Depressionen seiner Frau, mit den psychischen Erkrankungen. Ihr Mann kam mit ihr nach Deutschland, auch weil er die Hoffnung hatte, dass sie hier behandelt werden kann. Er nahm jede Arbeit an, die er bekommen konnte, zuletzt war es die Nachtschicht bei einer Putzfirma. Nebenher managte er den Haushalt, begleitete seine Frau zu den Ärzten und in Krankenhäuser, überwachte ihre Medikamenteneinnahme, versorgte Sohn und Tochter.

Doch dann hatte er einen Bandscheibenvorfall. Schwere Arbeit ist ihm seitdem nicht mehr möglich. "Aber ich will arbeiten, auch wegen der Rente", sagt er. Seine Kinder sind mittlerweile schon selbständig, der 18 Jahre alte Sohn besucht das Gymnasium, die Tochter geht auf die Mittelschule. Sie unterstützen ihn bei der Betreuung seiner Frau am Nachmittag, sodass er dann Zeit hätte, einer Beschäftigung nachzugehen. Doch so lange er keinen Job hat, muss die Familie mit dem auskommen, was sie hat, dazu gehört auch, dass sie in einer Drei-Zimmer-Wohnung leben, "die sehr feucht ist".

Herr S. wünscht sich ein wenig Geld, das er zum Beispiel dafür verwenden würde, seinem Sohn die Teilhabe am Schulleben zu ermöglichen. Erst letztens haben er und seine Frau ihr weniges Geld hergenommen, um dem Sohn "schicke Klamotten zu kaufen, weil er mit der Klasse in die Oper gegangen ist. Aber das muss man machen", sagt Herr S. Dann nimmt er seine große Tasche und geht mit seiner Frau vor zur Ausgabetheke. Heute gibt es nicht nur Lebensmittel, er nimmt auch einen Strauß rote Rosen mit.

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© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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