SZ-Schulratgeber:Raus aus dem Elfenbeinturm

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In der Fach- und Berufsoberschule wird das Wissen nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch vermittelt. Bei Eltern und Schülern erfreuen sich die berufsbildenden Schulen so großer Beliebtheit, dass ein Neubau in Haar erwogen wird.

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim/Haar

Wer die Freitreppe hinauf schreitet und nach dem Passieren der Kolonnade das Atrium betritt, das sich im Zentrum der Fach- und Berufsoberschule Unterschleißheim weithin öffnet, der staunt erst einmal. Ein stattlicher, zur Rechten immerhin fünfgeschossiger Bau, tut sich vor dem Besucher auf. Das hat etwas von Universität, von Campusleben - und passt so gar nicht zum Begriff vom zweiten Bildungsweg, der doch suggeriert, es handle sich um eine Schule zweiter Wahl. Auf diese Schule hier zu gehen, das müsste doch ein großes Ziel sein.

Tatsächlich sind die Wege, die auf die sogenannten berufsbildenden Schulen führen, vielfältig und oftmals verschlungen. Schüler kämpfen mit Latein und dem Druck auf dem achtjährigen Gymnasium. Sie wechseln auf die Realschule oder auf die Mittelschule, um dann doch - in einem zweiten Anlauf - nach Höherem zu streben. Andere entdecken von Haus aus erst spät, dass sie an der FOS/BOS weiterlernen wollen. Wie auch immer: Die Schülerzahlen an den berufsbildenden Schulen jedenfalls steigen.

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Probeeinschreibung soll Bedarf zeigen

Gemessen daran fasste die FOS/BOS als Schulform erst spät im Landkreis München Fuß. Seit diesem Schuljahr läuft der Betrieb an der ersten staatlichen FOS/BOS im Landkreis. Und schon peilt der Landkreis die zweite an. Kommende Woche soll eine Probeeinschreibung zeigen, wie groß der Bedarf für eine weitere staatliche Schule dieser Art in Haar ist.

Die stellvertretende Leiterin der FOS/BOS in Unterschleißheim, Gabriele Menzel, hat selbst über den zweiten Bildungsweg Karriere gemacht, nachdem sie eine Ausbildung zur Informationselektronikerin absolviert hatte. Sie hält die Kombination von Theorie und Praxis, so wie sie an der FOS/BOS verwirklicht ist, für ein Modell mit Zukunft. Raus aus dem Elfenbeinturm, rein in die Werkstatt. Sie sagt, Deutschland verfüge über eine starke Industrie, ein starkes Kleingewerbe und hochwertige Dienstleistungsunternehmen, in denen kreative und fachlich gut ausgebildete Menschen arbeiteten. "Gerade diese Leute brauchen wir", sagt Menzel, und diese bilde ihre Schule aus.

Sonnendurchflutete statt miefige Räume

520 Schüler besuchen im ersten Jahr im neuen Gebäude die Schule, die der Landkreis München für 1080 Schüler direkt am Bahnhof in Lohhof und am Rand eines ausgedehnten Gewerbegebiets errichten ließ. Was für Qualifikationen die FOS/BOS mit den Fachrichtungen Wirtschaft und Verwaltung, Sozialwesen, Technik und Gestaltung vermittelt, ist am besten bei einem Blick in die Werkstätten zu verstehen, die der Münchner Architekt Peter Schwinde ins Zentrum des Schulkomplexes gerückt hat.

Es ist eine deutliche Abkehr von früher, als in berufsbildenden Schulen die Werkstätten im Keller platziert wurden, in dunklen und miefigen Räumen. In dem zweigeschossigen Mittelbau, hinter der Mensa, befinden sich sonnendurchflutete Werkräume für Metall- und Elektrotechnik. Es könnten Büroarbeitsplätze sein, und sind doch Schweißstationen, die hinter Sichtschutzlamellen platziert sind.

Kunstwerke in der Keramikwerkstatt

Davor stehen moderne CNC-Fräsen und Drehbänke, und nebenan, in einem eigenen Raum, moderne Computerarbeitsplätze. Im Obergeschoss befinden sich die Räume für den Bereich Gestaltung - die FOS/BOS in Unterschleißheim ist die einzige staatliche Schule in Oberbayern, die diesen Fachbereich anbietet. Kleine Kunstwerke entstehen dort in der Keramikwerkstatt. Schüler verfassen im Raum daneben Drehbücher und ziehen mit Filmequipment los. Andere fabrizieren an Nähmaschinen Stoffkunstwerke. Der eine oder andere künftige Design-Student dürfte dabei sein.

Dass viele Eltern Angst haben, ihr Kind könnte den Sprung aufs Gymnasium verpassen, hält Gabriele Menzel für unbegründet. Die FOS/BOS sei leider noch nicht bei allen Eltern ins Bewusstsein gedrungen. Das Schulsystem biete auch später noch viele Möglichkeiten. "Wir können hier alle Abschlüsse bis hin zum Abitur verleihen."

Unterschiedliches Niveau

Die FOS/BOS steht sehr vielen Schülern offen. Wer eine abgeschlossene Berufsausbildung hat, kann die BOS besuchen. Und wer einen mittleren Schulabschluss mit einem Notenschnitt von 3,5 in Deutsch, Mathematik und Englisch vorweist, der kann sich an der FOS anmelden. Das Niveau der Schüler sei sehr unterschiedlich, sagt Menzel. Manche Schüler wählten die FOS, weil sie noch nicht wüssten, was sie machen wollten, und weil es ihnen als relativ bequem erscheine. An der BOS wird versucht, mit dem Angebot einer Vorklasse Lücken in den Hauptfächern zu schließen.

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Trotzdem verlassen laut Menzel 15 bis 20 Prozent der Schüler eines Jahrgangs die FOS/BOS nach der halbjährigen Probezeit wieder. Von kommendem Schuljahr an wird es laut Menzel auch an der FOS eine solche Vorklasse geben. Andererseits wird dann in Unterschleißheim erstmals auch eine 13. Klasse Schüler zur allgemeinen Hochschulreife führen. Sogar die Liebe zum Latein hat mancher an der FOS/BOS entdeckt. Ein Lateinlehrer kommt schon jetzt stundenweise an die Schule.

Wer kann, der soll lernen. Und keiner soll hängen gelassen werden. So finden sich im übrigen auch sehbehinderte Schüler an der Schule, die sich der Inklusion verschrieben hat, gut zurecht. Ein taktiles Leitsystem mit aufgerauten Flächen am Boden und mit Brailleschrift-Tafeln an den Klassenräumen hilft ihnen, sich zu orientieren. Für einen schwerbehinderten Schüler, der auf eine ständige Begleiterin im Unterricht angewiesen ist, erwies sich die FOS/BOS als hervorragende Wahl. "Es könnte sein", wie Menzel sagt, "dass er als einer der Schulbesten die Schule verlässt."

© SZ vom 24.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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