Flüchtlingshilfe im Irak:Training im Tschador

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Dehnen im Flüchtlingslager: Rouven Bürgel aus Grünwald fährt regelmäßig in den Norden des Irak, um den Menschen dort mit Sport zu helfen. (Foto: privat)

Der Grünwalder Fitnesstrainer Rouven Bürgel gibt Flüchtlingen im Irak Sportunterricht, um sie von ihrem Alltag abzulenken. Dabei hat er gelernt, dass in den Zeltlagern der UN eigene Regeln gelten.

Von Lenka Jaloviecova, Qushtapa/Grünwald

Wenige Kilometer trennen die kurdische Hauptstadt Erbil vom Flüchtlingslager Qushtapa. Dort angekommen, ist der erste Blick aus dem Auto gewöhnungsbedürftig. Ein riesiger Wall aus Erde und Schlamm und ein hoher Stacheldrahtzaun sind alles, was man sehen kann. Dahinter, in der kahlen Landschaft, verbirgt sich eine weiße, 426 000 Quadratmeter große Fläche aus Zelten der Flüchtlingshilfe der Vereinten Nationen, kurz UNHCR. Rouven Bürgel aus Grünwald tut sich schwer, seine Eindrücke bei der ersten Ankunft im Flüchtlingslager zu beschreiben. Einfach trist, das treffe es wohl am besten, sagt er nach langem Überlegen.

Bürgel kennt diese Gegend, die als Hochburg der Terrormiliz Islamischer Staat gilt, mittlerweile sehr gut. Erst kürzlich war der ehemalige Bundeswehrsoldat wieder im Norden des Irak, dabei das dritte Mal in Flüchtlingslager. Nicht nur in Qushtapa, sondern auch in Baherka - ein anderes sogenanntes refugee camp. Bürgel ist für die Hilfsorganisation RWANDA unterwegs und versucht in Kurdistan die ansässigen Flüchtlinge für Sport zu begeistern. "Ich habe mit fünf Kollegen ein Trainingsprogramm für die Menschen dort erstellt, es handelt sich dabei um Körpergewichts-Übungen ohne jegliche Geräte", erzählt der 33-jährige Fitnesstrainer.

Mit seinem Konzept geht er zunächst in die Schulen der Flüchtlingscamps. Bürgel und sein Team machen die Übungen vor und erklären mit Hilfe eines Dolmetschers, worauf zu achten ist. Nach den Schülern sind die Erwachsenen an der Reihe. Der 33-Jährige erinnert sich mit einem Lächeln an seine ersten Besuche im Lager. So war ihm nicht bewusst, dass er trotz sehr hoher Temperaturen von über 40 Grad Celsius keine kurze Hose tragen darf. "Das nennt man Haram, es bedeutet ,gegen Gottes Willen', also musste ich mich der Kultur anpassen."

Als er im Qushtapa- Camp, wo zirka 5600 Flüchtlinge aus Syrien in den Zelten des UNHCR untergebracht sind, Frauen dazu animierte, Ausfallschritte zu machen, musste er feststellen, dass das auf Grund ihrer langen Gewänder mitsamt Kopftuch gar nicht geht. "Zudem hielten sie oft ein kleines Kind auf dem Arm."

In Baherka dürfen die Frauen nicht aus den Containern

Dennoch: Sie trainierten mit, zeigten sich offen und machten mit ihren Smartphones sogar viele Selfies. In Baherka hingegen, wo circa 3000 Sunniten und Schiiten vorübergehend leben, zeigte er sein Fitnessprogramm lediglich Männern. "Die Frauen durften dort nicht einmal aus ihren Containern raus." Bürgel schüttelt seinen Kopf. Normalerweise ist der Grünwalder anderes Klientel gewohnt.

Wie ist es für ihn mit Flüchtlingen zu arbeiten? "Mit den Erwachsenen ist es viel Arbeit, da sie auf diesem Gebiet eher ungebildet sind. Die Frauen wissen beispielsweise gar nicht, ob sie während oder nach der Schwangerschaft trainieren dürfen. Mit der nächsten Generation hingegen können wir viel erreichen. Die Kinder waren einfach grandios."

Flüchtlingslager wie das in Qushtapa muss man sich wie ein kleines Dorf vorstellen. Es ist eingeteilt in Viertel. Frisöre oder Ärzte gibt es dort. Jedes Viertel bekommt Lebensmittelpakete, die auf die Zelte aufgeteilt werden. "Es ist gut zu wissen, dass diese Hilfe zumindest ankommt", sagt Bürgel. Obwohl es Ziel der Hilfsorganisationen wie der Barzani Foundation oder Unicef ist, dass alle Kinder Bildung erfahren, können zur Zeit nur 75 Prozent der Minderjährigen aus dem Qushtapa-Flüchtlingslager die Schule am Ort besuchen.

"Schuhe mit Löchern oder eben gar keine"

Schuld an der Lage ist die Aufnahme neuer Flüchtlinge aus der syrischen Region Kobane. Zudem seien Kinder zwar mit Schuluniformen und -taschen von Unicef ausgestattet, hätten aber oft kein richtiges Schuhwerk. Das heißt: "Schuhe mit Löchern oder eben gar keine", berichtet Bürgel. Die Hilfsorganisation RWANDA habe dort kürzlich einen Spielplatz und ein Fußballfeld errichtet. Bei seinen früheren Reisen in den Irak hat der Grünwalder durch Zufall einen UN-Verantwortlichen kennengelernt, der alles in die Wege leitete. Und dann entschied auch er: "Ich wollte aktiv werden und helfen."

Die Reisen dorthin und seine Erlebnisse haben ihn geprägt. Die Menschen zu erleben, die weit von ihrer Heimat nichts zu tun haben und darauf warten, vielleicht irgendwann nach Hause zurückzukehren, das sei oft schwer zu ertragen. Ein wenig Ablenkung tue ihnen gut, sagt Bürgel. Eigentlich dürften sie höchstens neun Monate in den Lager bleiben. Bürgel bleibt ein, zwei Wochen. Dann steigt er in ein Flugzeug und fliegt in eine ganz andere Welt.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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