Pflege zu Hause:Später Rollentausch

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Damaris Schullerus vom Paritätischen Wohlfahrtsverband bringt Männern wie Peter Sigl (Mitte) und Hans-Ulrich Nickolaus (rechts) das Kochen bei. (Foto: Claus Schunk)

Männer wie Hans-Ulrich Nickolaus und Peter Sigl sind die Ausnahme: Sie pflegen im Alter ihre Frauen und übernehmen den Haushalt. Ein spezieller Kochkurs hilft ihnen dabei.

Von Christina Hertel, Hohenbrunn

Die Petersilie, sie will einfach nicht kleiner werden. Hans-Ulrich Nickolaus schneidet so langsam an ihr herum, dass man ihm gerne das Messer abnehmen würde. Nickolaus ist 76 Jahre alt. Weißes Haar, blaue Augen, Kurzarm-Hemd. "Nimm doch eine Schere", schlägt sein Freund Peter Sigl vor. Er ist auch Mitte 70, die beiden kennen sich schon das halbe Leben. Faschingsball, Kegelklub. Sie haben zusammen gelacht, gefeiert, getrunken. Das war früher, als das Leben noch seine Ordnung hatte. Als jeden Morgen schon der Kaffee auf dem Tisch stand, die Hemden gebügelt waren und das Haus geputzt. Von ihren Ehefrauen - Emmi und Uschi.

Und dann plötzlich war es damit vorbei. Die beiden wurden zu Pflegefällen. Seitdem haben sich die Rollen vertauscht. Nun kümmern sich die beiden Männer um alles, um den Haushalt und um ihre Frauen, die sonst wohl in ein Altersheim müssten. Bei einem Kochkurs für pflegende Männer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband im Seniorentreff Kaiserstiftung in Hohenbrunn sollen Nickolaus und Sigl kochen lernen. Heute gibt es: Rote-Bete-Salat, Kalb mit Nudeln und Pilzen und zum Nachtisch Brownies.

So wie Nickolaus und Sigl bekommen viele von heute auf morgen eine neue Aufgabe: Mehr als zwei Drittel aller Pflegebedürftigen, nämlich 1,86 Millionen Menschen, werden zu Hause versorgt. Trotzdem sind die beiden Männer eine Ausnahme. Denn vor allem Frauen pflegen ihre Angehörigen. Das liegt laut Damaris Schullerus, die den Kurs leitet daran, dass die Rollen in unserer Gesellschaft immer noch klar verteilt sind. Sind Nickolaus und Sigl also besonders emanzipierte Männer? Sie selbst würden das niemals so sagen. Wenn sie nicht müssten, würden sie um Waschmaschine und Herd wohl immer noch einen Bogen machen.

"Meinem Hasen koche ich alles, was er will"

"Meinem Hasen koche ich alles, was er will. Egal, ob Rührei oder Kaiserschmarrn." Peter Sigl sagt das nicht süßlich-verliebt, sondern es klingt selbstverständlich. Sein Hase, Uschi Sigl, sitzt beim Kochen daneben und schaut zu, dass er alles richtig macht. Manchmal gibt sie ihm Tipps, liest Rezepte vor. Seit fast 50 Jahren sind die beiden verheiratet. Sigl glaubt, dass Paare heutzutage, zu schnell aufgeben, zu schnell davonlaufen. "Klar gibt es Probleme, aber dann muss man halt miteinander reden." Und bei der Kommunikation da würde es bei den jungen Leuten gewaltig hapern.

Für Sigl gilt das Versprechen "In guten wie in schlechten Tagen", auch wenn die Tage immer schwerer werden. Seine Frau hat Parkinson, sitzt im Rollstuhl und kann auch die Arme kaum mehr bewegen. Seit fast zwei Jahren braucht sie eigentlich rund um die Uhr Betreuung. "Wir sagen immer, wir machen es wie die Cowboys." Sigl macht eine lange Pause und guckt ein bisschen wie Comedians, die nach einem Gag auf Lacher warten. "Aus unserem Haus lassen wir uns nur mit den Stiefeln nach vorne raustragen."

Damit das klappt, hat Sigl das Bad umgebaut und eine Rampe für den Rollstuhl errichtet, alles alleine. Aufgeben, seine Frau ins Heim schicken, wenigstens einen Pflegedienst beauftragen, kommt für Sigl alles nicht in Frage. So lange, wie es geht, will er es selber machen. Aus Liebe? Aus Stolz? So ganz begreift man es als Außenstehender nicht.

Hans-Ulrich Nickolaus versteht es schon. Zu ihm kam die erste Zeit, nachdem seine Frau vor acht Jahren einen Schlaganfall erlitt, ein Pflegedienst. "Jedes Mal war wer anderes da. Zu zweit haben sie meine Frau gebadet und wie die sich angestellt haben." Nickolaus macht eine Handbewegung, die heißt: Da mache ich es lieber selber. Dazu kommt: Er wollte sein Leben nicht nach den Arbeitszeiten von Pflegekräften richten. Und so geht es, das weiß Schullerus vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, vielen Angehörigen: "Wenn der Pflegedienst kommt, haben sie den Anspruch an sich selbst, nicht mehr im Schlafanzug dazustehen und die Küche schon aufgeräumt zu haben." Das verursache bei vielen Stress.

Spontan in die Kneipe? Schwimmen im See? Das traut sich Nickolaus nicht

Anders als sein Freund Sigl, kocht Nickolaus eigentlich nie. Dafür kennt er sämtliche Imbisse in der Umgebung. Mal holt er Pizza, mal Leberkäs. Gerade hat er mit einem Mixer den Teig für die Brownies gerührt - wohl ein bisschen zu wild, die Ablage ist voller brauner Spritzer. "Emmi und ich sind zufrieden", sagt er und überlegt kurz. "Naja, was heißt zufrieden?" "Ach, so lange man ab und zu mal wieder ausschlafen kann", meint Sigl zu ihm. Für Nickolaus ist das Highlight der Woche der Montagabend, da ist Stammtisch. "Da trinken wir Bier. Mhhhh."

Früher ist er auch mal spontan mit ein paar Freunden in die Kneipe. Jetzt kommt das kaum noch vor. "Meine Spezln sagen immer: Denk doch auch an dich." Aber das fällt Nickolaus schwer. Für seine Frau fühlt er sich verantwortlich. Sie ins Heim zu geben, würde für ihn bedeuten, sie im Stich zu lassen. Und dieses Gefühl bestimmt sein Leben. Früher ging Nickolaus gerne schwimmen, im See. Heute traut er sich nur noch in die Halle. Er fragt sich: Was passiert mit Emmi, wenn ich ertrinke?

Nach etwa zwei Stunden steht das Essen auf dem Tisch und die Männer sitzen drumherum. Nickolaus schaut immer wieder auf sein Handy. "Ich hab immer so eine Unruhe. Kennst du das, Peter?" Und er kennt es. Nach dem Spülen, das merkt man, will auch er möglichst schnell nach Hause - zu Uschi, seiner Frau.

Auch im nächsten Jahr will der Paritätische Wohlfahrtsverband einen Kochkurs für pflegende Männer anbieten. Dann voraussichtlich im Norden des Landkreises. Informationen zum Angebot gibt es unter www.muenchen.paritaet-bayern.de.

© SZ vom 16.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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