München:Objekt der Begierde

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Im Münchner Umland verändert sich die Bildungslandschaft rasant. Immer mehr Kommunen wollen ein eigenes Gymnasium. Im Nordosten konkurrieren gleich zwei Landkreise um eine neue Schule. Ausgang offen

Von Martin Mühlfenzl

Bildungseinrichtungen sind immer auch Prestigeobjekte. Rosenheim rühmt sich schon am Ortseingang mit dem Verweis "Hochschulstadt" auf der Ortstafel. In Aschaffenburg begrüßt der Begriff "Fachhochschulstadt" die Autofahrer. Und im vergleichsweise kleinen Garching im Landkreis München prangt sogar der Zusatz "Universitätsstadt" auf dem Ortsschild. Es soll schließlich ein jeder wissen, dass hier die künftige Elite des Freistaats ausgebildet wird.

Poing hingegen würde es reichen, sich als "Gymnasiumsgemeinde" bezeichnen zu dürfen. Seit Jahren buhlt die Kommune im nördlichen Landkreis Ebersberg darum, neben einer Realschule auch endlich ein Gymnasium zu bekommen. Und dass es dabei auch ums Prestige geht, kann Bürgermeister Albert Hingerl (SPD) nicht ganz verhehlen: "Wir haben die besten Karten und die besten Argumente für ein neues Gymnasium. Hier passt es her, denn wir haben das nötige Wachstum, die Infrastruktur und die Arbeitsplätze."

Diese selbstbewusste Ansage des Poinger Bürgermeisters zielt vor allem auf zwei Nachbarn im Landkreis München. Gymnasien sind schließlich Objekte der Begierde - und plötzlich stehen in der Diskussion um mögliche Neuansiedlungen von Schulen Kommunen in Konkurrenz. Und Landkreise suchen nach den richtigen Argumenten, um Nachbarlandkreise auszustechen.

Obwohl doch - und das ist nicht nur im Münchner Nordosten der Fall - alle Beteiligten immer wieder betonen, wie wichtig der Dialog miteinander sei. "Wir müssen miteinander sprechen. Es geht darum, die beste Lösung zu finden", sagt Münchens Landrat Christoph Göbel (CSU). "Wir sind Partner", sagt sein Ebersberger Amtskollege und Parteifreund Robert Niedergesäß.

Im Landkreis München tobt derzeit eine Bildungsoffensive im Bereich der weiterführenden Schulen, die ihresgleichen sucht. In Haar wird mit einer neuen Realschule sowie einer Fach- und Berufsoberschule gleich ein ganzer Bildungscampus entstehen. Im vergangenen September eröffnete in Unterschleißheim die Berufliche Oberschule. In Ismaning zieht ein Gymnasium in das ehemalige Commundo Tagungshotel; und auch in Unterföhring wird sich der lange ersehnte Wunsch nach einem eigenen Gymnasium erfüllen.

Kirchheims Schüler werden in ein paar Jahren ihr neues Schulhaus auf der anderen Straßenseite beziehen. (Foto: Robert Haas)

Und fest steht: Im Münchner Nordosten wird ein weiteres Gymnasium entstehen. Die Frage ist nur: Im Landkreis Ebersberg in Poing? Oder doch im Landkreis München - in Aschheim oder Feldkirchen?

"Zwei Gymnasien wird es auf der Linie der S 2 nicht geben", schließt Poings Bürgermeister Hingerl die Variante eines weiteren Gymnasiums aus. "Aber es ist bereits jetzt klar, dass eine neue Schule gebaut werden muss", sagt Kirchheims Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU). Schließlich ist das Gymnasium in seiner Gemeinde dafür mitverantwortlich, dass eines der zentralen Kriterien des Freistaates für eine Schulneugründung in der Region erfüllt wird: Es platzt aus allen Nähten und wird auch nach dem Neubau, den der Schulzweckverband vor wenigen Tagen beschlossen hat, seine Kapazitäten vollends ausschöpfen. Und der Schulneubau in Kirchheim, der durch den mehr als desolaten Zustand des alten Gebäudes nötig wird, ist auch bewusst so angelegt, um ein weiteres Gymnasium in der unmittelbaren Nachbarschaft zu erzwingen. Zwar wird die Kirchheimer Einrichtung mittelfristig mehr als 1500 Schüler aufnehmen können, nach dem geplanten Abriss des jüngsten Erweiterungsbaus in etwa zehn Jahren wird sich die Kapazität aber auf etwa 1300 Schüler reduzieren. "Und dann braucht es definitiv ein neues Gymnasium", sagt Landrat Göbel. Aus Sicht des Landkreises München also entweder in Aschheim oder in Feldkirchen.

Perfekt ins Bild passt, dass Feldkirchen etwa einen Gemeinderatsbeschluss gefasst hat, der die Verwaltung beauftragt, nach geeigneten Grundstücken für ein Gymnasium zu suchen. Einen entsprechenden Antrag hat die Aschheimer SPD in der vergangenen Woche in der Nachbargemeinde eingebracht. Die Kommunen scheinen es eilig zu haben - und bringen sich in Position.

Die politisch Verantwortlichen im Nachbarlandkreis beobachten diese Tempoverschärfung freilich kritisch. Denn dort bremste unlängst eine Studie des Planungsverbands Äußerer Wirtschaftsraum München die Poinger Ambitionen ein. Nach derzeitigem Stand, heißt es in dem Papier, sei ein Gymnasium in der prosperierenden Gemeinde nicht zu realisieren. Und Schuld daran trägt ein weiteres Kriterium des Freistaats: die Frage der Beeinträchtigung für Nachbarschulen. Im Landkreis Ebersberg gibt es vier Gymnasien; zwei im Süden in Grafing und Kirchseein, die aufgrund der geografischen Trennung keine Berührungspunkte mit der Nordgemeinde Poing aufweisen. Das größte Gymnasium des Kreises in Vaterstetten hingegen wird von vielen Poinger Schülern besucht. Hauptanziehungspunkt für die Poinger ist aber die Schule in Markt Schwaben - und die droht, den Ausführungen des Planungsverbandes zufolge, unter einem neuen Gymnasium in Poing zu leiden. "Das ist Unsinn", kontert Bürgermeister Hingerl. "Die Markt Schwabener und auch die Vaterstettener wären froh über ein weiteres Gymnasium in Poing. Denn beide Schulen sind längst an ihren Grenzen angelangt", sagt der Bürgermeister. "Aber momentan sehen der Planungsverband und das Kultusministerium das noch anders." Seine Aufgabe - und die des gesamten Landkreises Ebersberg - sei es nun, "diese Meinung mit guten Argumenten zu ändern".

SZ-Grafik (Foto: N/A)

Die Bürgermeister Werner van der Weck (SPD) und Thomas Glashauser (CSU) hingegen glauben, die wirklich guten Gründe auf ihrer Seite zu haben - und der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum gibt ihnen recht. Die kommunale Institution hat auch die beiden Standorte im Münchner Nordosten untersucht - und ist dabei zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen als im Falle Poing.

Der Landkreis München boomt wie kein anderer Kreis im Freistaat - wirtschaftlich und aus demografischer Sicht. Und das hat enorme Auswirkungen auf die Bildungslandschaft und natürlich auch die Prognosen des Planungsverbandes. Bis zum Jahr 2032 wird die Einwohnerzahl im Landkreis von heute etwas mehr als 330 000 Menschen auf nahezu 380 000 explodieren. Am Beispiel des Gymnasiums Kirchheim wird deutlich, welche Auswirkungen dies auf den Bildungsstandort hat: Heute besuchen 1281 Schüler das Gymnasium, im Jahr 2023 werden es 1400 sein und im Jahr 2029 mehr als 1600. Schulen dieser Größenordnung werden von Kritikern gerne als "Lernfabriken" geschmäht. Kirchheims Bürgermeister Maximilian Böltl meidet diesen Begriff zwar wie der Teufel das Weihwasser, wird aber nicht müde, diese Zahlen bei jeder Gelegenheit nach oben zu korrigieren. Denn seine eigene Gemeinde hat sich bewusst für massives Bevölkerungswachstum entschieden: "Wir wollen und wir werden wachsen", sagt Böltl, dessen Kommune mittelfristig einen Sprung von 14 000 auf 16 000 Einwohner anpeilt. "Und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Schülerzahlen. Auch die werden stärker steigen."

Die Simulation des Planungsverbands kommt daher für die Standorte Aschheim und Feldkirchen zu dem Ergebnis, dass in beiden Gemeinden ein neues Gymnasium nicht zu Lasten der bestehenden Schulen in Garching, Haar, Kirchheim und der neuen in Ismaning und Unterföhring gehen würde. Für beide Alternativen sagt der Planungsverband eine mittelfristige Größe von 800 bis 900 Schüler vorher.

Das freilich erzürnt die Befürworter des Standorts in Poing. Dort setzt sich seit 2013 sogar eine Bürgerinitiative für den Bau eines Gymnasiums ein. Die stärkt auch Bürgermeister Hingerl den Rücken, der mit der Kraft des Wirtschaftsstandorts punkten will - und ebenfalls das Bevölkerungswachstums seiner sich rasant vergrößernden Kommune ins Spiel bringt: "Das hat zur Folge, dass uns eine Schülerzahl von 1200 Schülern vorausgesagt wird. Und ein Gymnasium bei uns würde natürlich bis Aschheim und Feldkirchen hineinwirken." Die Zugkraft der Unternehmen am Ort würde er gerne nutzen, um Kooperationen einzugehen: "Eine Schule, die als Pilotprojekt mit der Wirtschaft zusammenarbeitet, Praktika anbietet. Das schwebt uns vor."

Der Traum vom neuen Gymnasium aber wird sich nur für eine Kommune im Nordosten erfüllen - vorerst. Doch das Tempo in Sachen Schulneugründungen hat sich enorm beschleunigt, das zeigt der Weg hin zu einer neuen Schule in Ismaning. Im Jahr 2012 hat der Landkreis München den Standort beschlossen - im kommenden September wird die Schule mit drei Vorläuferklassen eröffnen. "Das Beispiel zeigt, wie schnell es gehen kann", sagt Aschheims Bürgermeister Thomas Glashauser.

"Am Ende aber wird der Freistaat die Entscheidung treffen." Bis dahin werden die Gemeinden und auch die Landkreise weiter für sich werben. Sie werden die Statistiken auf ihre Plausibilität überprüfen, wie es Poings Bürgermeister Hingerl formuliert. Und sie werden sich letztlich doch an einen Tisch setzen, um eine Lösung zu finden, die allen Schülern in der Region gerecht wird. Denn um die geht es in erster Linie. Trotz der nicht zu unterschätzenden Prestigefrage.

© SZ vom 01.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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