Kabarett:Angriffslustiger Aufklärer

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Total Banane? Nein, was der Kabarettist Hagen Rether im Garchinger Bürgerhaus zu sagen hatte, war ein geistreicher, boshafter und sprachlich geschliffener Parforceritt. (Foto: Stephan Rumpf)

Hagen Rether ist zwar ein enttäuschter, aber immer noch kämpferischer Intellektueller, der nicht aufgegeben hat. In Garching macht der Kabarettist deutlich, worum es ihm geht: um Anstand und Werte

Von Udo Watter, Garching

Was würde ein 96-jähriger, ehemaliger KZ-Kommandant sagen, wenn er in seinem Altersheim herumrollt und die mörderischen Aktionen des IS im Fernsehen sieht? "Weicheier", meint Hagen Rether. Die Enthauptungen der Islamisten? Kosten nur Zeit. Kein Vergleich zur deutschen Effizienz. In jeder Form. "Unsere Großväter haben Lampenschirme aus Familien gemacht. Und Seifen." Wenn Rether an die bis ins Detail unfassbaren Verbrechen des Holocaust erinnert, dann ist das vielleicht nicht die feinste Klinge, nicht ein durch subtile Andeutungen auf den Weg gebrachter Erkenntnisprozess. Nein, das ist empörend deutlich, und eine Spitze gegen Politiker, die sich gerne auf die "christlich-jüdische Tradition" des Abendlands berufen und dabei offenbar die Nazi-Vergangenheit und den kirchlichen Antijudaismus ignorieren - um sich von den Moslems abgrenzen zu können. "Widerwärtig" findet der Kabarettist.

Hagen Rether, 1969 als Sohn deutschstämmiger Eltern in Bukarest geboren und mit den wichtigsten deutschen Kabarettpreisen prämiert, lässt einen nicht in wohlfeile bürgerliche Entlastungswelten entkommen. Wer, wie die Besucher im ausverkauften Garchinger Bürgerhaus einen Abend mit dem 48-Jährigen erlebt, der wird mit einer moralischen und intellektuellen Schärfe konfrontiert, die auszuhalten so herausfordernd wie inspirierend ist. Dabei mag Rether, der wie immer auf einem Bürosessel vor einem mit Bananen dekorierten Flügel sitzt, das Wort "Moral" nicht besonders: zu "paternalistisch". Ihm geht es primär um Haltung, um Anstand, um Werte. Die pervertierte Dialektik, mit der zahlreiche Politiker und sonstige Schreihälse Werte und Wahrheiten überziehen - sie zu bekämpfen, ihre Verlogenheit zu decodieren, das ist seine Passion.

Den ersten größeren Applaus des Abends erhält Rether, der sein Programm seit vielen Jahren "Liebe" nennt und mittlerweile das sechste Update präsentiert, als er die Scheinheiligkeit des neuen bayerischen Ministerpräsidenten bloßstellt. "Der Söder kackt ab, weil er keine Werte in der Hose spürt." Einen Begriff wie Leitkultur brauche nur der, dessen Wertesystem letztlich hohl sei. "Leitkultur? Was ist das? Beethoven? Der heißt woanders Mozart. Oder Ravel. Sibelius oder Skrjabin." Das gleiche gelte für Goethe, Dante, Shakespeare. Das einzige, was an Deutschland leitkulturell anders sei als bei den europäischen Nachbarn, sei der Holocaust.

Rether ist böse und scharfzüngig, er kann mit fein geschliffenen Sätzen und lässig gesetzten Pointen weh tun, er ist aber nie zynisch, allenfalls im melancholischen, aber nicht im destruktiven Sinne. Wenn er einen Politiker wie Christian Lindner als "narzisstische Luftpumpe in der Adoleszenz" bezeichnet, wenn er Facebook "den feuchten Traum von Erich Mielke" nennt, wenn er über AfD-Wähler und -Politiker sagt: "Leute, die sich nicht verstanden fühlen, wählen Leute, die sich nicht ausdrücken können", dann ist das feine Sprachkunst. Aber Rether beißt rhetorisch nicht zu, weil er reine Lust am Beißen hat. Hier ist ein enttäuschter, aber immer noch kämpferischer Intellektueller am Werk, der sich über die Infantilisierung von Moral, über doppelte Standards und Heuchelei deswegen so eloquent aufregt, weil er nicht aufgegeben hat. Und das trotz des gesellschaftlichen Mangels an Empathie, den er erkennt. Trotz einer ich-bezogenen, unreflektierten Konsumgesellschaft und der zunehmenden Hegemonie des "Rückgrats über den Neocortex". Letztlich wüssten wir ja, was falsch läuft, aber der Westen habe sich seit 1945 ja ganz schön zusammenreißen müssen und langsam keine Lust mehr. "Unsere Gewöhnung ist der Zynismus." Oder über die Bekämpfung von Fluchtursachen: "Unser Lebensweise ist deren Fluchtursache." Was in den vergangenen Jahrzehnten an echten gesellschaftlichem Fortschritt erreicht worden sei und womit sich jetzt gerne auch die Union schmücke, sei im Prinzip alles Verdienst der "linken Multikulti-Öko-Spinner-Humanisten". CSU und CDU stünden gar nicht für konservativ, da sie nichts bewahrten, sondern nur Stillstand verkörperten. Worin die Politik und die Medienwelt indes gut seien: Entlastungsargumente, Scheindebatten, Bauernopfer zu finden. Rether macht das gut, er argumentiert stringent und mit fiesem Charme. Er schont sein Publikum noch weniger als andere Kabarettgrößen, sein Angriff auf den westlichen Lebensstil, gegen kirchliche Verfehlungen, gegen das wohlfeile Verhalten aufgeklärter Bürger sitzen. Immer wieder betont er im Laufe des vierstündigen (!) Abends maliziös, dass ja alle hier auf der "guten Seite" stünden. Überhaupt gehört es zu seinem Stil, Pointen oder Erkenntnisse häufig zu wiederholen - Rether gewährt Erkenntnisverweigerung keinen Raum und dem Publikum kaum Optionen zur Entlastung. Interessant ist, wie er, der leidenschaftliche Veganer und bekennende Grünen-Wähler - also zwei Gruppen, die unter dringendem Gutmenschen-Verdacht stehen und häufig der Humorlosigkeit geziehen werden - es dennoch schafft, hochmoralische Treffer zu setzen, ohne dabei spießig, pädagogisch oder so "pastoral" zu klingen wie die gern geschmähte Katrin Göring-Eckardt. Mitunter polemisiert er heftig - nicht alle Fleischesser stinken wie Iltisse und Alkohol ist auch nicht die Inkarnation des Bösen - er verkürzt ein bisschen, und manch ökologische These klingt arg apokalyptisch. Aber er ist ein angriffslustiger Aufklärer im Sinne von Kant und Voltaire, und manche seiner Sätze sind so schön erhellend, etwa wenn er das Wort "sozial schwach" zerlegt, das im herkömmlichen Sinne nicht anders verwendet wird als für "ökonomisch schwach". Rether sagt dazu: "Meiner Erfahrung nach sind oft die ökonomisch Starken die sozial Schwachen."

© SZ vom 04.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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